piwik no script img

Ungewollt Kinderlose in DeutschlandDas Gesetz aus einer anderen Zeit

Viele sind ungewollt kinderlos. Das liegt auch daran, dass in Deutschland neben der Schweiz das restriktivste Reproduktionsrecht in Europa gilt.

Entnommene Spender-Eizellen werden für den Transfer vorbereitet: Tbilissi/Georgien Foto: Bluephoto Agency/imago

W egen der Pflegeversicherung wurde zuletzt viel von „Kinderlosen“ gesprochen, deren Beitrag erhöht werden soll. Eine gute Gelegenheit, über die Politik und ihren Beitrag zur „Kinderlosigkeit“ in Deutschland nachzudenken. Denn nicht alle Menschen sind gewollt kinderlos. Sehr viele sind es nicht. Das liegt auch daran, dass in Deutschland neben der Schweiz das restriktivste Reproduktionsrecht in Europa gilt.

Die Reproduktionsmedizin wird in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 geregelt. Reproduktionsmedizinisch war 1990 noch Mittelalter. In vielen Bereichen wurden die Gesetze dem Fortschritt der Wissenschaft angeglichen – nicht aber in der Reproduktionsmedizin. Konservative Po­li­ti­ke­r:in­nen wollen über das Gesetz nicht einmal diskutieren.

Beispiel Eizellspende: Sie ist in Deutschland verboten, im Gegensatz zu fast allen europäischen Ländern. Jedes Jahr gehen zwischen 3.000 bis 5.000 Frauen ins Ausland, um mithilfe einer Eizellspende schwanger zu werden.

Es ist schwer, eine Kinderwunschbehandlung durchzustehen – diesen Prozess in einem anderen Land durchzumachen, ist ungleich belastender. Die Frauen halten es außerdem meist geheim, da es illegal ist; auch mit ihren Ärz­t:in­nen dürfen sie nicht darüber sprechen – die machen sich strafbar, wenn sie dazu beraten.

Das Leid interessiert den Gesetzgeber kaum

Beispiel künstliche Befruchtung: Beim Elective Single-Embryo Transfer werden mehrere Eizellen, die der Frau zuvor entnommenen wurden, im Labor befruchtet und die Embryonen einige Tage beobachtet. Nur der Embryo mit den besten Entwicklungschancen wird in die Gebärmutter implantiert. So steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft. Auch das ist in Deutschland verboten.

Hierzulande werden der Frau mehrere Embryonen implantiert und man hofft, dass einer durchkommt. Die Schwangerschaftsrate bei künstlicher Befruchtung liegt in Deutschland nur bei 23,6 Prozent, während sie in Schweden bei 29,5 Prozent liegt. Dort wird der Single-Transfer routinemäßig durchgeführt und vielen Frauen bleibt eine erneute psychisch und körperlich belastende Behandlung erspart.

Letztes Jahr appellierte die Bundesärztekammer an die Regierung, die Fortpflanzungsmedizin dem internationalen Stand der Forschung anzugleichen. In einem Memorandum schreibt die Kammer, dass das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 auf damaligen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe: „Viele der seitdem eingetretenen Entwicklungen ließen sich Ende der 1980er Jahre nicht vorhersagen.“ Ach was.

Interessiert den Gesetzgeber aber nicht besonders. Der CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß wünscht sich „eine gelassene Debatte zum Embryonenschutzgesetz“. Man brauche „keine Schnellschüsse“. Nach 30 Jahren. Das Leid der Frauen, Familien und all jener, die nicht dem Bild der „klassischen“ Familie entsprechen, besteht damit fort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Warum sollte man in Deutschland etwas ändern? Es läuft doch schon schlecht genug.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Statt Kinderlose zu bestrafen sollte man sie belohnen, denn das größte Problem ist die Überbevölkerung.

    Wer unbedingt Kinder möchte, sollte sie recht einfach, aber mit Kontrolle, adoptieren können.



    Die Flüchtlingslager sind voll von Waisen, die froh sein können, wenn sie das 10. Lebensjahr erreichten.

    Hier läuft was gewaltig schief!

  • Ich versteh die Konservativen nicht. Abtreibung wollen sie nicht, Reproduktionsmedizin auch nicht... die sollen sich mal entscheiden!