Unfall in Aluminiumwerk: Giftschlamm schafft Geisterdörfer

Nach dem Unfall in einem ungarischen Aluminiumwerk kritisieren Umweltschützer die ungesicherte Lagerung von Aluminiumabfällen. Das Management des Werks bestreitet eigenes Verschulden.

Kein Grund mehr für die Bewohner, zurück zu kehren: 100 bis 200 Quadratkilometer Erde sind so nachhaltig verseucht, dass dort in den nächsten vier Jahrzehnten nichts mehr wachsen wird. Bild: dpa

Etwa 500 Helfer sind in Ungarns Katastrophengebiet westlich von Budapest im Einsatz, wo am Montag ein Unfall in einem Aluminiumwerk etwa eine Million Kubikmeter toxischen Schlamms freigesetzt hat. Eine Kleinstadt und vier Ortschaften wurden unter der hochgiftigen und bleihaltigen Schlammlawine begraben. Rund 300 Familien verloren ihre Häuser, vier Menschen starben durch schwere Verätzungen und sechs ältere Menschen, die noch vermisst werden, dürften unter dem Giftschlamm begraben liegen.

Die Bewohner der Gemeinde Kolontár hatten keine Ahnung, welche tödliche Gefahr ihre Stadt seit Jahrzehnten bedrohte. Viele versuchten noch elektronische Geräte und andere Wertgegenstände aus ihren Häusern zu bergen. Nun warten sie im Budapester Militärkrankenhaus und anderen Spitälern auf eine Hauttransplantation. Nicht alle der über hundert Verletzten dürften nach Ansicht der Ärzte die nächsten Tage überleben.

Unvorbereitet war offenbar auch der ungarische Katastrophenschutz, der erst am Tag nach dem Unglück voll in Aktion trat und zunächst wie bei einem gewöhnlichen Hochwasser daran ging, die Häuser zu reinigen. Die meisten Einwohner der verwüsteten Ortschaften wollen aber gar nicht mehr zurück. 100 bis 200 Quadratkilometer Erde sind so nachhaltig verseucht, dass dort in den nächsten vier Jahrzehnten nichts mehr wachsen wird. Die Erde kann auf dieser Fläche weder abgetragen noch unter einer frischen Humusschicht begraben werden. Die Flüsschen Marcal und Torna sind jetzt schon tot. Verendete Fische treiben auf dem Wasser. In fünf Tagen könnte das verseuchte Wasser auch die Donau erreichen.

Herwig Schuster, Chemiker, Verfahrenstechniker und bei Greenpeace Österreich auf Bergbau in Ost- und Mitteleuropa spezialisiert, erwartet die Ergebnisse der Labortests für kommenden Freitag. Die am Dienstag entnommenen Proben müssen vorsichtig getrocknet werden, damit sich das Quecksilber nicht verflüchtigt. Schuster vermutet, dass außerdem Arsen und Chrom im Schlamm enthalten sein könnten, Gifte mit denen das Aluminium-Erz Bauxit oft verunreinigt ist: "Wir wissen nicht, wo die Ungarn das Bauxit eingekauft haben." Was ihn beunruhigt, ist, dass weder das Unternehmen noch die Behörden bisher über den Ursprung der Metalle Auskunft gegeben haben: "Entweder die Regierung weiß es nicht. Das wäre ein Fehler im System. Oder sie sagt es nicht." Wohl um weitere Panik zu vermeiden.

Anhaltender Regen im Katastrophengebiet erschwert die Rettungsarbeiten. Experten meinen, er sei aber auch ein Segen, da er das schnelle Austrocknen des Schlamms verhindert. Sie fürchten, dass die Schwermetalle sonst durch den Staub eine weit größere Fläche gefährden würden. Nachts patrouilliert schwer bewaffnete Polizei in den Geisterdörfern, um Plünderungen zu verhindern. Der ätzende Geruch in der Luft, der die Schleimhäute angreift, hat zwar nachgelassen, doch tragen die meisten Helfer immer noch Gesichtsmasken. Die rötlichen Spuren an den Häusern zeigen, dass die Schlammlawine bis zu zwei Meter hoch gewesen sein muß. Premier Viktor Orbán versprach den Opfern dennoch, sie würden vor dem Winter wieder ein Dach über dem Kopf haben.

Die Unternehmensführung von Magyar Alumínium übt sich derweil in Zynismus. Sie hat zugesagt, die Bestattungskosten zu übernehmen, und bot den Familien für den Verlust ihres Hauses umgerechnet 370 Euro Entschädigung an. Die Produktion in der Aluminiumhütte wollte sie in vollem Umfang weiterlaufen lassen, wurde aber schließlich von der Regierung gezwungen, den Betrieb vorerst einzustellen. Das Management bestreitet eigenes Verschulden. Es beruft sich auf Messungen aus dem Jahr 1987, die eine Belastung unter den Grenzwerten erbracht hatten. Obwohl Umweltverbände immer wieder gewarnt hatten, der giftige Rotschlamm sei viel zu schlecht gesichert, ist das Unternehmen fahrlässig unterversichert. Die maximale Deckung von 350.000 Euro dürfte gerade einem Hundertstel der tatsächlichen Schäden entsprechen.

Ungarns Aluminiumindustrie geht auf die arbeitsteilige Schwerindustrie der ehemaligen COMMECON-Staaten zurück. Ungarn, reich an Bauxit, war zuständig für die Gewinnung von Aluminiumoxid und die Lagerung des dabei entstehenden Giftschlamms. Das für die Rüstungs- und Luftfahrtindustrie unentbehrliche Aluminium wurde dann in der Sowjetunion hergestellt.

Nach der Wende brach die industrielle Kooperation zwischen den Ostblockstaaten weg. Die ungarische Aluminiumindustrie hätte eingestellt werden müssen, wenn man westliche Maßstäbe eingeführt hätte. Doch die Regierungen entschieden sich für den Aufbau eigener Aluminiumwerke, die dann privatisiert wurden. Als Anreiz wurden billiger Strom und die Befreiung von der "landfill tax" angeboten. Diese Steuer wird auf Rückstände aus dem Bergbau erhoben, die gereinigt und eingegraben werden müssen. Ungarns Aluminiumproduzenten haben aber weder entgiftet noch fachgerecht entsorgt. Nach halboffiziellen Angaben lagern 25 Millionen Tonnen Rotschlamm in offenen Depots. Die ungarische NGO "Arbeitsgruppe Luft" schätzt die Menge auf 30 Millionen Tonnen. Da die Entgiftung einer Tonne Rotschlamm umgerechnet etwa 370 Euro kostet, müsste die Industrie elf Milliarden Euro aufbringen, um den giftigen Müll zu entsorgen.

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