Unerwartete Wendung im NSU-Prozess: Zschäpe schmeißt Anwälte raus
Von ihren Pflichtverteidigern hat sich Zschäpe losgesagt. Das Münchner Gericht muss nun die Konsequenzen für den NSU-Prozess prüfen.
MÜNCHEN taz | Es ist 14.20 Uhr, als Richter Manfred Götzl in den Saal A 101 tritt, die Mittagspause ist da bereits weit überzogen und mehrfach verlängert. Dann gibt Götzl den Grund für die Verzögerung preis. Die Angeklagte, Beate Zschäpe, habe soeben ihrer Verteidigung das Vertrauen entzogen. „Die Verhandlung wird ausgesetzt.“
Die Worte Götzls hallen im Saal nach – es ist ein Paukenschlag. Seit mehr als einem Jahr verhandelt das Oberlandesgericht München in einem Großprozess die zehnfache Mordserie, zwei Bombenanschläge und 14 Banküberfälle des rechtsextremen „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Hauptangeklagte: Beate Zschäpe, nach dem Selbstmord ihrer Mitstreiter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos einzige Überlebende des Trios.
Mit dieser Wendung hatte im Saal A 101 niemand gerechnet. Wie immer hatte Zschäpe am Morgen den Saal durch eine Seitentür betreten, wurde von ihren Anwälten Wolfgang Stahl, Anja Sturm und Wolfgang Heer vor den Fotografen abgeschirmt. Später nahm der frühere Thüringer Kameradschaftsführer und Verfassungsschutzspitzel Tino Brandt auf der Zeugenbank Platz.
Am Mittag aber offenbarte Zschäpe einem Wachbeamten, nicht mehr hinter ihren Verteidigern zu stehen. Der Mann informierte das Gericht. Ob die Angabe so richtig sei, fragt Götzl nach der Pause Zschäpe. Die nickt. Wenig später stehen Sturm und Stahl vor dem Gerichtsgebäude. „Wir geben keine Stellungnahme ab“, sagen beide. „Bitte respektieren Sie das.“ Nicht dabei ist Wolfgang Heer, der dritte Verteidiger. Möglicherweise baut Zschäpe weiter auf ihn.
„Desaster für den Senat“
Nun herrscht Hektik. Gerät der Prozess ins Wanken? Was sind Zschäpes Motive? „Das ist mehr als eine Überraschung“, sagt Gül Pinar, Nebenklagevertreterin der Familie des ermordeten Lebensmittelhändlers Süleyman Tasköprü. Sie spekuliert über eine Indiskretion, die Zschäpe in der Pause erfahren haben könnte. „Sie will vielleicht doch reden.“ Das jedenfalls, so Pinar, wäre der Wunsch der Opfer des NSU-Trios. Olaf Klemke, Verteidiger des als NSU-Waffenlieferanten beschuldigten Ralf Wohlleben, spricht von einem „Desaster für den Senat“.
In den letzten Monaten hatten sich bereits Beobachter des NSU-Prozesses über die Zschäpe-Anwälte gewundert. Heer, Stahl und Sturm wurden als Pflichtverteidiger bestellt und sind renommierte Strafverteidiger. Mit der rechten Szene haben sie nichts zu tun. Anfangs stellten sie Befangenheitsanträge gegen das Gericht, dann verfolgten sie den Prozess eher passiv.
Ihre Strategie blieb das Schweigen Zschäpes. Bis heute hat sich die 39-Jährige nicht zu den Vorwürfen geäußert, Mittäterin des NSU-Trio zu sein und den letzten Unterschlupf in Zwickau in Brand gesetzt zu haben – obwohl sie bei ihrer Festnahme 2011 noch ankündigte, aussagen zu wollen. Die Verteidiger setzten allein darauf, Aussagen von Zeugen in Zweifel zu ziehen und Fragezeichen in die Indizienkette einzuspeisen.
Das Problem nur: Eine Gegenerzählung, die etwa erklärt, dass Zschäpe nichts von den Taten Böhnhardts oder Mundlos’ wusste, gab es so nicht. Stattdessen sammelte bisher eher die Bundesanwaltschaft Punkte für ihre Anklage. Einiges spricht deshalb für eine langjährige Haftstrafe für Zschäpe.
„Fachwissen zum Germanentum“
Auch der aktuelle Zeuge, Tino Brandt, hatte die 39-Jährige belastet. Der einstige Kameradschaftskollege beschrieb sie als ideologisch gefestigte Rechtsextremistin, mit „Fachwissen zum Germanentum“, die sich an „politischen Sachen“ beteiligt habe. Keineswegs habe Zschäpe „in der Ecke gestanden und Trübsal geblasen“. Stahl, Sturm und Heer setzten auch dieser Zuschreibung wenig entgegen.
„Frau Zschäpe zog die Reißleine“, mutmaßt Mehmet Daimagüler, Anwalt von zwei Opferfamilien. „Im Verfahren ist längst die gesamte Anklage gegen Zschäpe bestätigt worden.“ Dies scheine der Angeklagten nun bewusst geworden zu sein. Bis Donnerstag, 14 Uhr, muss Zschäpe nun eine schriftliche Begründung für ihren Vertrauensentzug beim Gericht einreichen. Auch die Anwälte müssen Stellung nehmen. Dann entscheidet der Senat, ob ihr Ansinnen auch förmlich trägt. Auch bleibt abzuwarten, ob die Rechtsextremistin nun doch noch ihr Schweigen bricht.
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