"Unerhört"-Protokoll Bettina Boll: "Atomkraft verlängern? Wäre fatal"
Bettina Boll wohnt neben dem AKW Krümmel. Oft will sie weg, aber wohin? Nach 27 Jahren in der Anti-AKW-Bewegung fürchtet sie eine Verlängerung der Laufzeiten.
Ich hab schon lange unten im Flur drei Koffer stehen. Weil mich der Gedanke, wegzugehen, ewig umtreibt. Aber wo soll ich hin? Ich bin hier geboren. Ich lebe hier. Und ich kann nur versuchen, da, wo ich bin, das Rad zu drehen.
Ich leb an einem sogenannten Energiestandort, Geesthacht-Krümmel. Unmittelbar beim Atomkraftwerk. Und was mich bewegt, ist natürlich der Ausstieg aus der Atomenergie. Das ist für mich der absolut wichtigste Wunsch. Vielleicht der Allerwichtigste überhaupt! Erst der Ausstieg. Dann der Weitereinstieg in die regenerativen Energien.
Das muss unwahrscheinlich beherzt weiter betrieben werden. Und wenn es tatsächlich zu einer Laufzeitverlängerung bei uns käme - das wäre einfach fatal für die Menschen hier. Und, ja, auch speziell für mich. Das geb ich ganz ehrlich zu. Wir machen das jetzt gute 27 Jahre. Den Wechsel voranzutreiben. Und das ist einfach auf Dauer richtig heftig.
Ich finde es auch wichtig, dass jeder Bürger begreift, dass er die Zukunft mit in der Hand hat. Dass Politik nicht nur von Politikern gemacht wird. Der Bürger muss begreifen, dass er, auch wenn er nicht zur Wahl geht, eine politische Aussage macht. Und es liegt an jedem Einzelnen, zu überlegen, wie es auf dieser Erde weitergehen soll. Energiepolitik ist da ein unwahrscheinlich wichtiger Aspekt. Jetzt gehen wir einfach nur zerstörerisch mit unserer Mutter Erde um. Das ist mir unheimlich.
Und es ist ja auch so: Viele Dinge, die wir gerade hier im Bezug auf unser AKW - unser AKW, das hört sich fast nett an -, also, wovor wir als Bürgerinitiative gewarnt haben, treffen immer wieder ein. Das ist ein alter Meiler. Der hat Materialermüdung. Das geht einfach nicht. Wir wussten es quasi irgendwie! Ich habe es ganz tief im Inneren gespürt, dass das auf jeden Fall ein Fehlstart wird. Und trotzdem, du kommst kaum dagegen an. Und ich möchte auf keinen Fall den Moment erleben, dass ich hier nicht mehr sitze und atme.
Es gibt ja auch noch einen anderen schlimmen Aspekt an der Sache. Wir haben hier ein heftiges Leukämiecluster bei Kindern unter fünf Jahren. Wenn du hier eine Familie hast, hast du auf die Dauer einfach nicht das Gefühl der Geborgenheit. Weil ständig irgendwas passiert.
PROTOKOLL: KIRSTEN KÜPPERS
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