Uneinigkeiten im Klimakabinett: Warten auf den großen Wurf
Während auf der Straße gestreikt wird, berät im Kanzleramt das Klimakabinett. Vor allem beim CO2-Preis fällt eine Einigung schwer.
UPDATE 20.09.: Am Freitagmorgen dauerten die Verhandlungen noch an.
Aus Sicht der SchülerInnen von Fridays for Future, die parallel zur Sitzung des Klimakabinetts deutschlandweit zum Klimastreik aufgerufen haben, ist der Anspruch klar: „Das Klimakabinett muss Verantwortung übernehmen und statt einem Flickenteppich von Einzelmaßnahmen ein Konzept präsentieren, das die großen CO2-Quellen im Blick hat“, erklärt die 17-jährige Pauline Brünger am Mittwochabend in Berlin. Auch Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer meint: „Statt noch mehr Pillepalle brauchen wir endlich einen großen Wurf.“
Dass diese hohen Erwartungen erfüllt werden, scheint wenige Stunden vor den entscheidenden Sitzungen unwahrscheinlich. Aussagen aus SPD- und Unionskreisen zeigen ebenso wie ein Entwurf des Klimaschutzprogramms vom Montagabend: Einigkeit gibt es bisher nur über Einzelmaßnahmen. Dass Bahnfahrkarten durch eine Senkung der Mehrwertsteuer billiger, Flugreisen durch eine Erhöhung der Ticketabgabe dagegen teurer werden, darf als gesichert gelten. Der Zuschuss zum Kauf eines Elektroautos wird steigen, die Lade-Infrastruktur ausgebaut. Der umstrittene Deckel für die Fotovoltaik, der den Ausbau der Solarenergie im nächsten Jahr zum Erliegen bringen würde, dürfte gestrichen werden. Die energetische Sanierung von Gebäuden wird ziemlich sicher steuerlich stärker gefördert. Die Bundeszuschüsse für den ÖPNV und die Bahn werden deutlich steigen.
Bei den großen, übergreifenden Fragen gab es am Donnerstag aber noch keine Einigung. Das gilt vor allem für den geplanten CO2-Preis, mit dem der Ausstoß des klimaschädlichen Gases künftig auch in den Bereichen Verkehr und Wohnen verteuert werden soll, um den Umstieg auf klimafreundlichere Alternativen zu beschleunigen. Im Entwurf des Klimaschutzprogramms fehlt dieser Teil noch komplett. Denn bisher ist weder geklärt, wie der CO2-Ausstoß verteuert werden soll, noch wie hoch der Preis sein wird.
Emissionshandel funktioniert wie eine Steuer
Pauline Brünger, Fridays for Future
Die SPD bevorzugt zur Umsetzung eine Steuer; diese hätte den Vorteil, dass sie kurzfristig eingeführt werden könnte. Zudem ließe sich der Preis genau festlegen, was die Planungssicherheit für Industrie und KonsumentInnen erhöht. Die Union setzt dagegen auf einen neuen, nationalen Emissionshandel. Dabei müssten Raffinerien und Erdgasunternehmen für Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas Zertifikate kaufen, um diese an Verbraucher liefern zu dürfen.
In der Theorie lässt sich damit der CO2-Ausstoß über die Menge der ausgegebenen Zertifikate genau steuern. Der Preis kann hingegen stark schwanken: Solange es genug Zertifikate gibt, bleibt er niedrig – was den Anreiz zum Wechsel von Heizung oder Auto verringert. Wenn die Zertifikate dagegen knapp werden, kann der Preis unbegrenzt steigen – was zu plötzlichen hohen Mehrbelastungen führen würde. Um das zu verhindern, will die Union einen Mindest- und einen Höchstpreis festlegen – was wiederum dazu führt, dass die CO2-Menge doch nicht begrenzt ist.
Faktisch wirkt ein Emissionshandel mit Mindest- und Höchstpreis sehr ähnlich wie eine Steuer. Aber er heißt eben nicht so – aus Sicht der Union, in der höhere Steuern für viele ein Tabu sind, ein entscheidender Vorteil. Zentraler Nachteil des Modells ist, dass es weitaus komplizierter ist. Bis es umgesetzt werden kann, dürften nach Ansicht von Experten mindestens zwei bis drei Jahre vergehen.
Um die Vorstellungen in Einklang zu bringen, standen zuletzt mehrere mögliche Kompromisse im Raum: Die SPD würde sich wohl auf einen Emissionshandel einlassen, sofern bis zu seiner Einführung übergangsweise eine Steuer auf den Ausstoß von Kohlendioxid hinzukäme. So soll sichergestellt werden, dass es schon kurzfristig einen Effekt gibt. Die Union bietet als Kompromiss an, dass der Emissionshandel zunächst mit einem Festpreis starten könnte – was die Einführung ebenfalls beschleunigen soll.
Viele Unklarheiten
Orte des Klimawandels
Ob das wirklich der Fall wäre, das sehen Experten unterschiedlich. Während Klimaexperte Ottmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung eine solche Lösung für machbar hält, warnt Christoph Podewils vom Thinktank Agora Energiewende: „Ein Emissionshandel mit Festpreis hätte erhebliche verfassungsrechtliche Risiken.“
Noch wichtiger als die Art des CO2-Preises dürfte am Ende seine Höhe und deren weitere Entwicklung sein. Fridays for Future fordert 180 Euro pro Tonne, Edenhofer hält einen Einstiegspreis von 50 Euro pro Tonne im Jahr 2020 und bis 2030 einen jährlichen Anstieg von um 10 Prozent für notwendig. Das SPD-geführte Umweltministerium hat in seinen Gutachten dagegen nur mit einem Einstiegspreis von 35 Euro gerechnet; in der Union kursieren noch geringere Werte.
Fridays for Future mobilisiert unter dem Motto „Alles fürs Klima“ zu bundesweit 541 Demos.
Die Berliner Demonstration beginnt um 12 Uhr am Brandenburger Tor. Die Veranstalter haben 10.000 Personen angemeldet, mit 22 Themenblöcken dürfte die Demo aber wesentlich größer ausfallen. Nach einer Tour durch Mitte endet die Route am Ausgangsort.
Auch die taz ist mit ihren Lesern und Unterstützern in einem eigenen Demoblock dabei.
Der „Rave Aufstand“ von Reclaim Club Culture beginnt unter dem Motto „No Future No Dancefloor“ um 15 Uhr am Potsdamer Platz. Geravt wird durch Mitte. Die Abschlusskundgebung findet dann um 19 Uhr am Alexanderplatz statt.
Sitzblockaden: Die Aktivisten von „Ungehorsam für Alle“ möchten ab 16 Uhr Straßen an verschiedenen Orten in Berlin blockieren. Ihr ziviler Ungehorsam soll in der Form von Sitzblockaden stattfinden. (taz)
Ebenfalls noch unklar ist, was mit diesem Geld passiert. Die meisten Modelle sind davon ausgegangen, dass es – über eine Pro-Kopf-Prämie und eine Strompreissenkung – komplett an die Bevölkerung zurückgegeben wird. Davon ist inzwischen nicht mehr die Rede. Zwar sprechen sowohl Union als aus SPD weiter von einer Senkung des Strompreises. Zumindest ein Teil der Einnahmen soll aber offenbar auch genutzt werden, um andere Teile des Klimaprogramms zu finanzieren – etwa die Investitionsanreize für neue Heizungen oder Elektroautos.
Ob alle diese Fragen beim Koalitionsgipfel in der Nacht und dem Klimakabinett am Vormittag geklärt werden können, war bis zuletzt offen. Als wahrscheinlich galt in Berlin, dass die Runde nicht das komplette Klimaschutzprogramm verabschiedet, das schon als unvollständiger Entwurf 138 Seiten umfasste, sondern nur ein deutlich kürzeres Eckpunktepapier. Die Langfassung würde dann etwas später im Kabinett beschlossen werden, die entsprechenden Gesetzentwürfe bis Jahresende vorgelegt.
In der bisher vorliegenden, noch unvollständigen Form erreicht das Klimaschutzprogramm bis 2030 nur einen Rückgang der jährlichen CO2-Emissionen um 120 bis 145 Millionen Tonnen. Gerade im Zuständigkeitsbereich von CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer fehlten noch viele Werte. Notwendig wäre für das deutsche 2030-Ziel eine Reduzierung um gut 300 Millionen Tonnen. Doch selbst wenn diese Lücke in der letzten Verhandlungslücke noch vollständig geschlossen werden sollte, dürften weder die streikenden SchülerInnen zufrieden sein noch die WissenschaftlerInnen, auf die sie sich berufen.
Denn das deutsche Klimaziel für 2030 stammt noch aus der Zeit vor dem Paris-Abkommen und langt – wenn überhaupt – nur für das 2-Grad-Ziel. Wenn die Regierung, wie im Entwurf des Klimaschutzprogramms, ihr Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel ernst meint, hätte sie eigentlich deutlich schärfere Vorgaben machen müssen. Das ist aber nicht geschehen – zum Ärger des Bamberger Fridays-for-Future-Aktivisten Nick Heubeck: Für ihn bedeutet der Entwurf „einen Schlag ins Gesicht meiner Generation und der Menschen im Globalen Süden“.
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