Und darauf einen Sekt

Freundschaft „Fußball-Einheit in Berlin 1990–2015“ ist ein Buch, das die Fußballgeschichte der Stadt nach der Wende mit viel Lobhudelei beschreibt. Die interessanten Geschichten erfährt nur, wer sehr aufmerksam liest

Unioner Fans wollten die Hertha auch schon mal in die Tonne kloppen Foto: imago

von Alina Schwermer

„Hertha und Union – eine Nation“, verkündete ein beliebter Aufnäher in den achtziger Jahren. Was heute für Stirnrunzeln sorgen würde, war im geteilten Berlin 15 Jahre lang Realität: Eine Fanfreundschaft zwischen Hertha und Union.

Es ist eine dieser Geschichten, die gern erzählt wird, zeigt sie doch die angeblich so große politische Kraft des Fußballs. Tatsächlich wird sie eher ein Mosaikstein in einem durchaus widersprüchlichen Bild gewesen sein: Die Teilung von Berlin prägte den Fußball auf unterschiedlichste Weise; sie trennte Fans von ihrem Lieblingsverein, schuf völlig verschiedene Fußballszenen, sorgte für gegenseitige Entfremdung wie Verbrüderung. „Wir halten zusammen, uns kann nichts trennen, keine Mauer und kein Stacheldraht“, sang die Union-Fankurve in Gedanken an die Hertha. Was im Nachhinein ein wenig ironisch klingt. Denn es würde nicht der Stacheldraht, sondern die ­Wiedervereinigung sein, die die beiden Clubs nachhaltig trennte.

„Fußball-Einheit in Berlin 1990–2015“ heißt das Buch, das sich der Fußballgeschichte der Stadt seit der Wende widmet. Es stammt von Historiker Daniel Küchenmeister und Kulturwissenschaftler Thomas Schneider – zwei erfahrenen Fußball-Autoren, die für dieses Werk allerdings blöderweise den Berliner Fußball-Verband BFV als Auftraggeber haben.

Eine Würdigung des Verbands darf also nicht fehlen. Mehr als das: Viele Geschichten rund um die Einheit gehen in drögem Festschriftensprech unter, mit dem Schneider und Küchenmeister aufzählen, was der BFV in Sachen Einheit so klasse und prima gemacht hat. Das „einigende Band des Fußballs“, die „Erfolgsgeschichte der Fußball-Einheit“ und die unvermeidbare „Fußball-Familie“ – da fällt ihnen schon eine Menge ein. Wenn irgendwo Kritik durchscheint, wird sie meist vom Fifa-Wortbaukasten geschluckt. Und all das ist vor allem deshalb so schade, weil das Buch unter der ganzen Lobhudelei ein paar spannende Geschichten rund um Berliner Fußballgeschichte erzählen könnte.

Frauen-Fußball und Migrantenvereine werden je mit einem Satz abgehandelt

Prima war bei der fußballerischen Wiedervereinigung nämlich keineswegs alles. Bis heute, so stellen die Autoren fest, ist die Ost-West-Teilung der Stadt in den Fanlagern weitgehend erhalten geblieben. Auch das Ausbluten der Ostclubs bleibt ein Problem: Abgesehen von Union hat sich im Ostteil keine fußballerische Top-Adresse etabliert; der tief gefallene Ex-Stasi-Club BFC Dynamo kämpft immer noch mit sich selbst und seinem teils gewaltbereiten Anhang, und im BFV-Präsidium sitzen bis heute fast ausschließlich Leute aus dem Westen. Zwei völlig anders strukturierte Fußballszenen, von denen eine auf Leistungssport und Hauptamt, die andere auf Breitensport und Ehrenamt ausgerichtet war, in Hochgeschwindigkeit zusammenzuführen: Das musste ja einfach für Probleme sorgen. Doch immer, wenn die Autoren kurz davor stehen, das zu konstatieren, kommen sie flink zum Schluss, dass alles super war. „Die Geschichte des BFV seit 1990 ist eine Erfolgsgeschichte.“ Darauf einen Sekt.

Wer mehr erfahren will, muss also aufmerksam lesen. So erfährt man zum Beispiel auch von der längst vergessenen und skurril anmutenden Idee, nach der Wende den BFC Dynamo mit TeBe fusionieren zu lassen, um einen Berliner Großverein zu schaffen und die Jugendarbeit des BFC zu retten. Das Vorhaben scheiterte an den Widerständen von TeBe. Gerne hätte man dazu mehr gelesen. Gleiches gilt für den Frauen-Fußball und die Migrantenvereine, die jeweils mit einem Satz abgehandelt werden, oder auch die Probleme in der Nachwuchsarbeit, wo fast alle renommierten Adressen immer noch im Westen liegen.

Das Buch liefert genug Themen, um sich des Ganzen noch mal von Grund auf anzunehmen. Vielleicht mit anderem Auftraggeber.

„Fußball-Einheit in Berlin 1990–2015“, Arete Verlag, 200 Seiten, 19,95 Euro