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Unbekannte BoxweltmeisterNicht mal RTL2 fragt an

Deutsche Boxer werden nicht mit Prämien reich, sondern mit Inszenierung. Doch den aktuellen Weltmeistern fehlt es an Selbstmarketing-Fähigkeiten.

Interimsweltmeister, aber nicht allzu vielen Menschen ein Begriff: Agit Kabayel Foto: Nick Potts/PA Wire/dpa

V ielleicht gibt es in Deutschland sogar weniger Berufsboxer als Journalisten, die über sie schreiben. Ich weiß es nicht. Aber dass die lizenzierten 400 Profis alle von ihrem Sport leben könnten, womöglich sogar so gut, dass sie nach Karriereende ausgesorgt haben, ist nichts anderes als falsch. In Wirklichkeit hat kaum jemand das Geld, von dem doch alle träumen und von dem die Reporter schreiben, die doch nur die Spitzenbörsen der Spitzenstars im Auge haben.

Das ist freilich kein neues Phänomen und betrifft auch sehr erfolgreiche Athleten. Früher mussten Profiboxer noch Schlager singen. „Das Herz eines Boxers“ hieß ein, na ja: Hit von Max Schmeling, der immerhin wirklich reich wurde. „Ring frei zur nächsten Runde“ schmetterte Peter Müller, und René Weller tirilierte ein kerniges „Knock ihn aus“. Wer partout gar nicht singen wollte, musste wenigstens schweigen können, wie Norbert Grupe alias Prinz Wilhelm von Homburg, der im ZDF nur die erste Frage beantwortete und ab dann schwieg, weil ihm die Interviewfragen zu dumm und zu respektlos erschienen.

Bei den aktuell gut boxenden Sportlern klopft derzeit nicht einmal RTL2 oder Sat1 an. Agit Kabayel, geboren in Leverkusen, aufgewachsen in Bochum, ist amtierender Weltmeister im Schwergewicht. Abass Baraou, geboren im württembergischen Aalen, aufgewachsen in Oberhausen, ist amtierender Weltmeister im Superweltergewicht. Eine kleine, aber leider nötige Einschränkung zu diesen Informationen: Kabayel ist Interimsweltmeister des Verbandes WBC.

Diesen Übergangstitel bekommt man, wenn der, der als eigentlicher Weltmeister gilt, aus Verletzungs-, Vertrags- oder anderen Problemen nicht kann oder will. Im Falle von Kabayel heißt der Boxer, den die meisten Menschen als Schwergewichtsweltmeister wahrnehmen, Oleksandr Ussyk, kommt aus der Ukraine und hat im Juli die Schwergewichtstitel von vier Verbänden verteidigt. Da aber beinahe jeder Verband ihm einen anderen Pflichtherausforderer offeriert, die er unmöglich alle boxen kann oder will, präsentieren die Verbände halt zwischendurch eine … genau: Interimslösung.

Kerle zum Vergessen

Abass Baraou war ebenfalls Interimsweltmeister und vor ihm war auch ein Boxer, der als der derzeit beste gilt: Terence Crawford aus den USA dominierte gleich mehrere Gewichtsklassen. Doch als Crawford entschied, im Halbmittelgewicht zu bleiben, wurde prompt Baraou von der WBA zum Superweltergewichts-Weltmeister ausgerufen.

Zugegeben, Interimsweltmeister ist ein Wort, das klingt, als wären die Boxer Kerle zum Vergessen, und dass Baraou und Kabayel diesen Verdacht widerlegen können, glaube ich leider nicht. Aber auch Interimsweltmeister muss man ja erst einmal werden. Im Boxen wird nicht mit dem Boxen Geld verdient, sondern mit der Fähigkeit, sich als erfolgreicher Boxer zu inszenieren. Das sorgt beispielsweise dafür, dass ein Axel Schulz, der nie einen EM- oder WM-Titel erkämpfte, aber nicht zu unterschätzende Selbstmarketing-Fähigkeiten hat, unter dem Label „Boxlegende“ in Shows auftritt.

Selbstmarkting-Fähigkeiten

Im aktuellen „Promi Big Brother“ finden sich Figuren wie Harald Glööckler, Désirée Nick oder Jimi Blue Ochsenknecht. Das sind allesamt, sagen wir: Zeitgenossen, die keinen WM-Titel besitzen (auch wenn ich von diesen Leuten gehört habe, denn ich kenne mich im B- bis Q-Promibereich recht gut aus).

Selbstverständlich können die auch nichts Modisches (Glööckler), Humoristisches (Nick) oder Familiäres (Ochsenknecht) aufweisen, das einem WM-Titel vergleichbar wäre. Was diese Leute allerdings draufhaben, ist das, was in der Berufsgruppe der deutschen Boxer aktuell nicht so verbreitet ist.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
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4 Kommentare

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  • Wenn man sportaffin ist muss man ja meist dafür irgendwelche Bezahlabos haben. Kommt von dem Geld nichts bei den Boxern an oder ist vielleicht auch das Interesse sehr begrenzt?

  • Finde Barou hat eine Menge Charisma, nur niemand schaut seine Kämpfe, die waren bis jetzt meist Vorprogramm von Main-Fights. Aber sein Auftreten hat schon was. Schaut euch seinen letzten Kampf an, die letzte Runde und seine Reaktion im Kampf. Der amerikanische Kommentator fragt nicht nur zum Spaß "Round of the Year?"



    Würden die Kämpfe im Free-TV kommen und frei verfügbar sein könnten sich davon mehr überzeugen. Aber dafür braucht es erst einmal wieder Promoter und Boxstelle wie Sauerland oder Universum, die entsprechend die Werbetrommel rühren können.

  • Ja, es gibt 4 Weltboxverbände und es wird in 13 Gewichtsklassen gekämpft. Das sind dann schon 52 mänliche Weltmeister. Dazu noch die Weltmeisterinnen

  • Wer als Boxer in Deutschland erfolgreich sein will, braucht zuerst einen deutschen Namen. Die Zeiten in denen die Felix Sturms, Marco Hucks usw. dieser Welt alle ihre Namen eindeutschten um kommerziell erfolgreicher zu sein, sind ja nun noch nicht lange her.



    Aktuell wäre Vosgröne das beste Beispiel wie allein ein deutscher Name reicht um trotz begrenztem Talent mehr Aufmerksamkeit zu generieren wie talentiertere Kämpfer. Mit Selbstmarketing hat das nur ganz begrenzt zu tun. Als Werbeträger und kampagnenfähig wird nur erachtet wer auch in der Mehrheitsgesellschaft anschlussfähig erscheint.