Unabhängigkeitsbewegung in Schottland: Mit dem Brexit im Rücken zum Erfolg
Schottland wählt – erstmals seit dem Austritt aus der EU. Befürworter der Unabhängigkeit wittern eine Chance, sich endlich von London loszusagen.
Salmond ist hier, um vor Schottlands Parlamentswahl am Donnerstag kommender Woche für sein Comeback und seine neue Partei zu werben. Alba, so heißt sie, ist nur wenige Wochen alt. Doch der Politikveteran hofft, dass die Partei ihn wieder nach vorn katapultiert, dank eines bombastischen Populismus und der Unterstützung seiner treuen Fans.
Die anstehende Abstimmung ist die erste schottische Parlamentswahl seit dem Brexit. Damit haben die Wähler*innen nun die Möglichkeit, auch ein Urteil über die britische Regierungspolitik zu fällen. Schottlands Unabhängigkeitsbefürworter*innen sehen die Zeit gekommen für ein erneutes Referendum über die Abspaltung vom Vereinigten Königreich.
In Schottland gilt ein personalisiertes Verhältniswahlrecht wie in Deutschland und Salmonds Plan ist es, die Hardcore-Nationalist*innen zu überzeugen, ihm ihre Zweitstimme zu geben und so – zusammen mit der SNP – eine „Supermehrheit“ zu erlangen. Damit will er Druck ausüben auf die Regierung in London, damit diese den Schott*innen ein neues Unabhängigkeitsreferendum erlaubt. Kritiker*innen jedoch sehen in Alba ein Eitelkeitsprojekt, das die Unabhängigkeitsbewegung spaltet.
„Ich habe die SNP zwanzig Jahre lang angeführt“, sagt Salmond, „und unsere Beziehungen mit der SNP sind gut. Aber nehmen Sie den Nordosten, wo es fast keinen Sinn ergibt, die Zweitstimme der SNP zu geben.“ Indem Alba Kandidat*innen auf den regionalen Listen aufstellt, will die Partei verhindern, dass Sitze an andere Parteien als die Unabhängigkeitsbefürworter*innen gehen.
Salmond vor Gericht freigesprochen
An dem Exregierungschef nagt noch immer eine öffentlich breit wahrgenommene Gerichtsverhandlung, bei der ihm sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden. Ein Gericht sprach ihn jedoch frei. Dem Prozess folgte nicht nur ein Riss in der politischen Landschaft Schottlands, sondern auch eine persönliche Enttäuschung: Salmond verließ die SNP nach Jahrzehnten als eine der zentralen Figuren der Unabhängigkeitsbewegung und brach mit seiner Nachfolgerin, der beliebten derzeitigen Ersten Ministerin Nicola Sturgeon, nachdem diese sich von ihm distanziert hatte.
Schottland ist in acht Wahlbezirke eingeteilt. Salmond hofft, im großen Bezirk North East Scotland genügend Stimmen für ein glorreiches Comeback zu bekommen. Der Bezirk erstreckt sich von der Stadt Dundee über die Berggruppe der Cairngorms bis zum Fischereiort Buckie.
In einem kleinen Büro in der winzigen Marktstadt Ellon sitzt Hamish Vernal. Er ist ein Elder Statesman der SNP, der nun aber auch das tiefe Blau von Alba trägt. Vernal ist 1961, mit 17 Jahren, in die SNP eingetreten und kommt aus einer Generation, in der Unabhängigkeit eine Minderheitenangelegenheit war. Vor wenigen Wochen erst hat er die SNP verlassen, um Salmonds Projekt zu unterstützen. Vernal zufolge haben die Schott*innen ein Recht auf Selbstbestimmung. „Wenn du versuchst, Schott*innen etwas wegzunehmen, werden sie darum kämpfen“, sagt er.
Bei Alba werden Salmonds Auftritte vor Gericht sowie seine öffentlichen Auseinandersetzungen mit der SNP nicht erwähnt. Stattdessen inszenieren sich die Parteimitglieder als Aufständische, die versuchen, die Medien und ihre angebliche Voreingenommenheit gegen die Unabhängigkeit zu umgehen. Salmond müsse Blogs und soziale Medien nutzen, sagt Vernal. „Denn ziemlich offensichtlich sind die Mainstreammedien nicht für Alex und Alba empfänglich. Die Fernsehsender haben ihm keinen Platz im TV-Duell gegeben. Es ist ein Kampf, aber irgendwie auch nicht, weil Alex nie um Öffentlichkeit kämpfen muss.“
Salmond und seine Pop-up-Populist*innen sehen sich selbst als Ergänzung zur SNP. Allein: Die SNP weigert sich mitzuspielen. Sturgeon hat ihren potenziellen Wähler*innen eingeschärft, der Regierungspartei beide Stimmen zu geben. Sie will die Marke SNP trennen von den Personen in und um Alba. Umfragen deuten daraufhin, dass die SNP und ihre umfassende Mitte-links-Politik durchaus allein eine absolute Mehrheit erreichen könnte.
Karen Adam ist SNP-Kandidatin für den ländlichen Wahlkreis von Banffshire und Buchan Coast zwischen Aberdeen und Inverness. Die Gegend wurde sowohl vom Brexit als auch vom Coronavirus hart getroffen. Der Austritt aus der EU hat sich auf die Fischer*innen und die Landwirtschaft ausgewirkt, weil sie für den Export produzieren, der nun komplizierter geworden ist. Sie glaube, dass die SNP kurz vor einem Wahlsieg steht, erklärt Adam beim Spaziergang durch Buckie, das sich entlang der Bucht Moray Firth erstreckt. Ein Wahlsieg, der den von 2011 noch toppen könnte, der damals zum ersten Unabhängigkeitsreferendum führte.
„Wir bekommen eine Menge guter Rückmeldungen für das, was wir in der Covidpandemie getan haben“, sagt Adam. „Viele Leute haben mir erzählt, wie fantastisch Nicola das Land durch die Pandemie geführt hat, und sie respektieren ihre Führung und ihre Entscheidungen in dieser Zeit.“ Von der britischen Regierung dagegen fühlten sich vor allem die Fischer*innen „verraten“. „Sie sind wütend auf die Konservativen und bringen das auch mir gegenüber zum Ausdruck.“
Aus der Wut über den Brexit-Deal und den Hang zu englischem Nationalismus in der konservativen Partei schlägt die SNP nun Kapital. Den Wahlkampf führt sie mit zwei zentralen Themen: Selbstbestimmung und verantwortungsvolle Führung in der Pandemie.
Auf den Straßen von Buckie kommt das gut an. Albas Unabhängigkeitsfundamentalismus dagegen scheint begrenzten Reiz zu haben. Danielle Mair arbeitet in einem Supermarkt und steht Salmonds Projekt ablehnend gegenüber: „Die Leute mochten ihn, als er SNP-Chef war.“ Doch nach den Vorwürfen gegen ihn sei es für Jüngere schwierig, mit ihm zurechtzukommen.
Emily Plant, die im Bildungsbereich arbeitet, sieht das ähnlich: „Nicola steht in der Pandemie in Kontakt mit jüngeren Menschen“, sagt sie. Die beiden Frauen sind pro Unabhängigkeit, aber legen mehr Wert auf gute Regierungsarbeit als auf den donnernden Unabhängigkeitsfundamentalismus von Alba.
Die Unabhängigkeitsbewegung hatte sich bereits diversifiziert, als die Schottische Grüne Partei 2014 aus dem Schatten der SNP trat. Die Grünen bewiesen sich als zentrale Verbündete im Parlament, wenn es etwa darum ging, Haushalte zu verabschieden. In der Bewegung boten sie denjenigen Menschen eine Heimat, die zwar an die Unabhängigkeit Schottlands glaubten, aber die Nähe der SNP zu Ölindustrie und Großunternehmen kritisch sahen.
Grüne wollen auch die Unabhängigkeit
In Aberdeen an der Ostküste patrouillieren Grünen-Aktivist*innen, um dafür zu sorgen, dass die Region nicht Salmond, sondern einen linksgerichteten Grünen wählt. Die Grünen glauben, sie könnten bis zu 11 von 129 Sitzen im Parlament gewinnen. Das wäre ein Durchbruch und würde bedeuten, dass bis zu 60 Prozent der Sitze von Pro-Unabhängigkeitsparteien gehalten würden. Es wäre ein klares Zeichen an London.
Sylvia Hardie ist eine halb pensionierte Gelegenheitsjobberin. So beschreibt sie sich selbst. Hardie lebt als Grünen-Kandidatin neu auf. 2015 trat sie der Partei bei, optimistisch angesichts der Möglichkeiten, die sich durch das Referendum 2014 ergeben hatten. In diesen Tagen nun läuft sie treppauf, treppab, um Briefe an Wähler*innen zu verteilen. Sie hofft, dass sich die Grünen als seriöse Kraft beweisen können.
„Ich denke, wir haben eine Menge Konkurrenz, aber wir haben gute Chancen“, sagt Hardie. „Es gibt SNP-Wähler*innen, die uns ihre zweite Stimme geben werden – von denen, die ich kenne, sagt etwa die Hälfte, sie würde ihre Zweitstimme den Grünen geben.“ Unabhängigkeit sei eine „Top-Priorität“, aber offensichtlich sei auch der Schutz der Umwelt wichtig. Die Grünen stünden für beides.
Die Wahl am Donnerstag ist für viele nicht nur eine Abstimmung über Unabhängigkeit und die Regierung in London, sondern auch über den Unterschied zwischen Populismus und der von Sturgeons propagierten einvernehmlichen Selbstbestimmung. Die SNP-Wahlbotschaft, die an fast alle Haushalte in Schottland verteilt worden ist, verspricht: „Bessere Zeiten liegen vor uns. Es ist Zeit, sich vorzubereiten.“
Salmond dagegen zieht es vor, den früheren britischen Außenminister George Canning zu zitieren, in charakteristisch bombastischem Stil: „Ich habe eine neue Welt ins Leben gerufen, um das Gleichgewicht der alten wiederherzustellen.“ Kommende Woche wird sich herausstellen, ob in dieser Welt auch Platz ist für die Geister der Vergangenheit. Klar ist aber, dass die schottische Unabhängigkeitsbewegung an Schwung gewinnt, nun da die Konsequenzen des Brexits Großbritannien einholen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen