Umweltstaatssekretär über Klimaziele: „Wir brauchen Erneuerbare schneller“
Deutschland muss ran an den Kohleausstieg, sagt Jochen Flasbarth. Gespräch über die Zögerlichkeit anderer Ministerien und die Achillesferse der Klimapolitik.
taz: Herr Flasbarth, Deutschland deckt jetzt 33 Prozent seines Stromverbrauchs mit erneuerbaren Energien. Bis 2025 soll dieser Wert nur auf 40 bis 45 Prozent steigen – und damit sehr viel langsamer als in den letzten Jahren.
Jochen Flasbarth: Die Entwicklung der letzten Jahre ist ein toller Erfolg – auch wenn der große Sprung im letzten Jahr vor allem am Wetter lag: Wir hatten viel Wind und Sonne. Die Ausbauzahlen sind zuletzt hingegen zurückgegangen: Bei Solaranlagen gab es einen dramatischen Einbruch, und auch beim Wind muss man die Entwicklung genau beobachten. Wir sind sehr ambitioniert aus Paris zurückgekommen und wir wissen, dass wir in den Ambitionen jetzt nicht nachlassen dürfen.
Was heißt das für die weiteren Ziele der Regierung?
Wenn wir unsere Klimaziele ernst nehmen und uns den Schwung von Paris zu eigen machen, dann bedeutet das, wir müssen an den Kohleausstieg ran. Und wir brauchen einen Aufwuchspfad bei den Erneuerbaren, der deutlich über dem liegt, was derzeit geplant ist. Wir brauchen die Erneuerbaren schneller.
Wie lässt sich das erreichen? Die Zielvorgabe aus dem Koalitionsvertrag begrenzt den Ausbau ja faktisch.
Wir haben den Deckel in diesem Ministerium nicht erfunden und wir würden ihn auch nicht erfinden. Er ist das Ergebnis einer hysterischen Strompreis-Diskussion am Ende der letzten Legislaturperiode. Ich glaube nicht, dass man das, was im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, in dieser Legislaturperiode wegbekommt. Aber spätestens mit Beginn der nächsten Legislaturperiode werden wir eine Debatte über den Deckel bekommen. Darauf sind wir eingestellt, und ich glaube, dass wir da alle Argumente auf unserer Seite haben.
Für die Erneuerbaren ist das Umweltministerium doch gar nicht mehr zuständig.
Als Klimaministerium werden wir bei der Beratung zum Erneuerbare-Energien-Gesetz trotzdem genau hingucken. Bisher war die Entwicklung bei den Erneuerbaren stabil, aber jetzt sind wir in einer Situation, wo wir in Sorge geraten. Wir müssen aufpassen, dass wir hier keine Schieflage bekommen und dass wir bei vernünftigen Ausbauzahlen bleiben. Auch deshalb, weil wir Strom künftig auch zum Heizen und im Verkehr benötigen werden.
Auch da gibt es keine Fortschritte. Bei Elektromobilität hinkt Deutschland hinterher.
Das liegt nicht an uns. Die Umstellung der Antriebstechnik ist entscheidend für klimafreundlichen Verkehr. Umweltministerin Barbara Hendricks hat darum als erstes Mitglied der Bundesregierung gesagt, dass wir eine Kaufprämie für Elektroautos brauchen. Ich freue mich, dass das in anderen Ressorts inzwischen auch so gesehen wird.
Die Person: Der 53-jährige Volkswirt kennt die Umweltpolitik aus allen Perspektiven: Er war Vorsitzender des Naturschutzbundes, Abteilungsleiter im Bundesumweltministerium und Leiter des Umweltbundesamts, bevor Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ihn 2013 zum Staatssekretär ernannte.
Das Interview: Zum Gespräch empfängt Flasbarth in seinem Büro im Berliner Umweltministerium. Stolz zeigt er ein Geschenk des französischen Außenministers Laurent Fabius: ein Hammer mit dem COP21-Signet der Pariser Klimakonferenz, wo der historische Vertrag besiegelt wurde – signiert von Fabius „in Freundschaft für Jochen“. Flasbarth hatte als ein wichtiger Verhandler zu den Finanzfragen einen erheblichen Anteil am Pariser Abkommen.
Die Zukunft: Über die aktuellste Meldung der internationalen Umweltpolitik will Flasbarth nicht öffentlich sprechen: Die Bundesregierung schlägt ihn für die Wahl als neuen Generalsekretär des UN-Umweltprogramms Unep vor. Er würde damit 2016 als Nachfolger von Achim Steiner und Klaus Töpfer der dritte Deutsche in Folge auf diesem Posten – ein Zeichen für die Wertschätzung (und Finanzkraft) Deutschlands im UN-System. Allerdings ist Flasbarth bisher nur einer von mehreren Kandidaten.
Die Umstellung geht vermutlich auch deswegen so langsam, weil die deutschen Hersteller bislang vor allem auf Diesel- und Benzinfahrzeuge setzen und damit gutes Geld verdienen. Hilft der VW-Skandal, das zu ändern?
Das hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Autobauer endlich verstehen, dass Widerstand gegen Umweltstandards keine Zukunftsstrategie ist. Vom Katalysator über den Rußfilter bis zu CO2-Grenzwerten haben sie erst mal alles bekämpft.
Direkt zuständig ist Ihr Ministerium für den Bausektor. Doch auch auch da passiert viel weniger, als fürs Erreichen unserer Klimaziele nötig wäre, etwa bei der energetischen Sanierung. Wann sehen wir da Fortschritte?
Die wird es sicher geben. Leider hat die CSU ein wichtiges Instrument verhindert, nämlich die steuerliche Absetzbarkeit solcher Sanierungskosten. Aber dafür gehen wir da jetzt mit sehr viel mehr Fördergeld ran. Und wir erleichtern ein modulares Vorgehen, also dass Hausbesitzer schrittweise sanieren können.
Größtes Problem für den deutschen Klimaschutz bleibt die massive Kohlenutzung. Was nützen mehr Effizienz und Erneuerbare, wenn die konventionellen Kraftwerke einfach weiterlaufen und ihren Strom exportieren?
Der hohe Kohleanteil ist tatsächlich die Achillesferse unserer Klimapolitik. Wir müssen aus der Kohle aussteigen und wir müssen dazu einen Pfad beschreiben. Das treibt Ministerin Hendricks seit letztem Jahr voran – in einem durchaus komplizierten Umfeld von zwei sozialdemokratischen Landesregierungen, für die Kohle eine wichtige Rolle spielt, und strukturkonservativen Energiepolitikern beim Koalitionspartner in der Bundesregierung.
Aber ein konkretes Ausstiegsdatum nennt Ihr Ministerium inzwischen – anders als vor Paris – nicht mehr.
Wir haben in Paris wie kein anderes Land für das Konzept der Dekarbonisierung – also den Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern – gekämpft. Und das will jetzt auch umgesetzt werden. Für Deutschland ist klar, dass wir dieses Ziel bis zur Mitte des Jahrhunderts erreichen müssen. Aber das geht nicht, indem man das als Regierung einfach mal schnell per Gesetz verordnet.
Sondern wie?
Wir werden bis zum Sommer einen Klimaschutzplan für 2050 vorlegen, der auch einen Prozess für den Ausstieg aus der Kohle beschreiben wird. Dieser erfordert einen breiten gesellschaftlichen Dialog. Ich finde es falsch, wenn immer gleich der wirtschaftliche Untergang beschworen wird, wenn wir über den Kohleausstieg reden. Aber genauso falsch ist es, sich über die Sorgen und Bedenken der Betroffenen einfach mal so hinwegzusetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen