Umweltstaatssekretär über Artenschutz: „Gefahr durch Wölfe ist sehr gering“
Für Menschen gefährliche Tiere würden geschossen, sagt Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. Er kritisiert Tierrechtler, die Wolf und Mensch gleichsetzen.
taz: Herr Flasbarth, wie groß ist das Risiko, von einem Wolf angegriffen zu werden?
Jochen Flasbarth: Über Jahrzehnte sind keine Fälle aus Europa bekannt geworden. Das gilt auch für Länder mit sehr viel größeren Wolfpopulationen als hier. Der Wolf ist ein wild lebendes Raubtier. Deshalb muss man vorsichtig sein. Aber Panik ist nicht angesagt. Die Gefahr durch den Wolf ist sehr gering.
Allein im 20. Jahrhundert töteten Wölfe weltweit mindestens 446 Menschen. 2005 starb ein Mann in Kanada, 2010 eine Frau in Alaska. Zeigt das nicht, dass das Risiko real ist?
Man sollte auch geringe Risiken nicht relativieren. Aber gleichwohl muss man darauf hinweisen, dass es viele Gefahren gibt. Und der Wolf ist auch eine.
Der 55-jährige Staatssekretär ist im Umweltministerium der starke Mann hinter Ressortchefin Barbara Hendricks (SPD). Von 1992 bis 2003 leitete er den Naturschutzbund. Damals kehrte der Wolf nach Deutschland zurück.
Diese Gefahr ist neu, weil wir 150 Jahre in Deutschland keine Wölfe hatten. Könnte man sie noch zurückdrängen, beispielsweise durch Abschüsse?
Der Wolf ist ohne menschliches Tun zurückgekommen. Er gehört hier zur Natur. Als potenziell gefährlich eingestufte Wölfe dürfen schon jetzt geschossen werden. Aber präventiv zu sagen, wir rotten den mal wieder aus, das fände ich ziemlich absurd.
Statt ihn auszurotten, ließe er sich auf bestimmte Bereiche beschränken.
Es ist mir ein Rätsel, wie man das machen soll. Wölfe sind hoch mobil.
Viele Deutsche haben Angst vor Hunden. Ist es nicht verständlich, wenn Menschen Angst vor Wölfen haben?
Ja, deshalb muss man aufklären. Ihr übliches Verhalten ist, dass sie nicht die Nähe zum Menschen suchen. Wenn es Wölfe gibt, die ein nicht natürliches Verhalten haben, dann müssen sie vergrämt oder entnommen, also erschossen werden.
Manche Wölfe sind nicht scheu. Sie nähern sich Menschen, ihren Siedlungen und Tieren. Sollte man das ändern, indem man Wölfe schon dann schießt, wenn sie durch Dörfer laufen?
Wenn ein Wolf durch ein Dorf läuft, ist das noch kein auffälliges Verhalten. Wenn da ständig der gleiche Wolf durch die Dörfer streift, wenn er plötzlich sich am Müll zu schaffen macht oder wenn er gezielt immer wieder Vieh angreift, dann muss man eingreifen.
Sie befürworten, dass Bauern ihre Nutztiere auf der Weide und nicht nur im Stall halten. Gleichzeitig plädieren Sie für die Ausbreitung des Wolfs, der immer mehr dieser Tiere tötet. Wie passt das zusammen?
Das ist der Konflikt, der anders als die Gefahr für den Menschen wirklich Bedeutung hat. Wir wollen die Weidehaltung, weil sie viele Umwelt- und Naturschutzvorteile mit sich bringt. Deshalb muss sie unterstützt werden, sich an den Wolf anzupassen. Die betroffenen Bundesländer tun das, indem sie Zäune und Hunde bezuschussen, die die Herden schützen.
Viele Bauern klagen, dass die Entschädigungen für getötete Tiere zu gering und zu schwer zu bekommen seien.
Wir wollen erreichen, dass die Abläufe beschleunigt werden. Wenn die genetische Untersuchung von Rissen ein Engpass ist, muss man gucken, ob das nicht auch andere machen können. Darüber reden wir mit den Ländern.
Niemand bezahlt den Landwirten, dass sie die niedrigen Drähte der wolfsicheren Elektrozäune ständig frei mähen müssen, damit der Strom nicht ins Gras abgeleitet wird. Könnten diese Belastungen Bauern davon abhalten, auf Weidehaltung umzustellen?
Eine Welt ohne Veränderung kann ich niemandem versprechen. Aber insgesamt gilt: Wir wollen die Agrarsubventionen genau zugunsten solcher Betriebsformen umverteilen, damit sie eine bessere wirtschaftliche Situation haben als jetzt. Das hilft im Augenblick nicht, aber im Augenblick ist die Belastung auch überschaubar.
Weite Teile Deutschlands wie die Berg- und Küstenregionen und die Grünland- und Naturschutzgebiete können laut Bauernverband zum Beispiel wegen ihrer schieren Größe nicht wolfsicher eingezäunt werden. Wollen Sie, dass dort keine Tiere mehr auf der Weide gehalten werden können?
Nein, das will ich nicht. Probleme gibt es etwa bei der Schafhaltung auf Deichen oder bei der Almwirtschaft in Bayern. Ich weiß nicht, ob es dort gelingt, durch Zäune oder Hunde Nutztiere vor Wolfübergriffen zu schützen. Die Deiche werden in der Regel ja auch von Fahrradfahrern und Fußgängern genutzt. Die Hunde könnten ihnen gefährlich werden. Niedersachsen macht Untersuchungen, wie man dennoch Herden auf den Deichen schützen kann.
Und wenn das auf Deichen und Almen nicht funktioniert?
Das sind dann möglicherweise Gebiete, wo man die Ansiedlung von Rudeln verhindert, indem man komplette Rudel schießt. Das löst noch nicht das Problem von durchwandernden Wölfen. Mit der Gefahr muss man dann möglicherweise leben. Die Entnahme von Rudeln diskutieren wir bislang nur. Aber wir sind in dieser Frage komplett romantikfrei. Der Wolf steht nicht über anderen Gütern. Wenn die Weidehaltung auf Almen nicht mehr möglich wäre, dann müsste man entweder Herdenschutzmaßnahmen ergreifen, die ich jetzt noch nicht kenne, oder, wenn das alles nicht funktioniert, Rudel schießen.
Das Tierschutzrecht verlangt Schatten spendende Hütten für Herdenschutzhunde und verbietet Elektrozäune. Sollte das geändert werden?
Ja. Die Herdenschutzhunde wissen mit den stromführenden Zäunen umzugehen. Schäfer beklagen, dass sie Hütten bereitstellen müssen, die der Hund gar nicht benutzt. Wir haben schon an das zuständige Landwirtschaftsministerium herangetragen, dass diese Verordnung geändert wird.
Selbst in der Ihnen freundlich gesinnten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) oder bei Bioland gibt es immer lautere Kritik an der Wolfpolitik. Gibt Ihnen das nicht zu denken?
Insgesamt ist die Gemeinsamkeit des Naturschutzes mit der AbL und Bioanbauverbänden in den agrarpolitischen Fragen so groß, dass man auch Unterschiede an bestimmten Punkten ertragen kann. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass man gemeinsam Lösungen für kritische Bereiche finden wird.
Warum sollten wir überhaupt die Risiken im Zusammenhang mit dem Wolf eingehen?
Der Wolf gehört hier natürlicherweise hin. Ich bin dagegen, Arten festzulegen, die in der Natur nichts zu suchen haben, weil sie auch unangenehme Begleiterscheinungen haben. Da könnte man auch sagen, wir lassen keine Schwalbennester mehr zu, weil diese Vögel uns die Balkone zukacken.
Könnte man für Artenschutz sein, aber Ausnahmen machen – zum Beispiel beim Wolf?
Das machen wir auch dann, wenn er zu einer Gefahr wird. Alle anderen Probleme lassen sich mit einem vernünftigen Aufwand regeln.
Das Naturschutzrecht erleichtert den Abschuss von Wölfen, wenn ihre Population den „günstigen Erhaltungszustand“ erreicht hat, also der Bestand so groß ist, dass er langfristig überlebt. Wie viele Tiere brauchen wir dazu?
Das weiß ich nicht.
Ist das nicht entscheidend? Könnte man mit dieser Zahl nicht auch Kritiker beruhigen?
Wir handeln doch heute als Staat, wenn es dafür Gründe gibt. Und wenn der günstige Erhaltungszustand festgestellt ist, könnte man auch aus wirtschaftlichen Erwägungen eingreifen. Aber man kann auch dann nicht sagen, wir geben den Wolf jetzt zur Jagd frei oder erlassen Jagdquoten.
Wann werden unsere Wölfe den günstigen Erhaltungszustand erreichen?
Es wird vermutlich nicht mehr als eine Dekade dauern.
Warum wird die Wolfdebatte teils so unsachlich geführt, dass Kritik an der unbegrenzten Ausbreitung des Wolfs oft als Wolfhass oder -hetze bezeichnet wird?
Das liegt offenbar an der Geschichte, die Mensch und Wolf miteinander haben, und an unseren Märchen. Und es gibt Zuspitzungen. Das lese ich auch in Ihren Artikeln. Ich habe Sie an jeder Stelle verteidigt, weil ich finde, dass die Debatte geführt werden muss. Aber wenn man schreibt, es gibt auch Leute, die leben vom Wolf – Biologen und Beamte beispielsweise –, bezweifle ich, dass das ein Beitrag zur Versachlichung ist.
Nützt es dem Wolf, wenn Tierrechtler den Abschuss eines Wolfs mit dem Mord an einem Menschen gleichsetzen?
Das glaube ich nicht. Deshalb habe ich mich davon auch immer distanziert. Ein vernünftiger Naturschützer wird zustimmen, dass in bestimmten Fällen Wölfe auch geschossen werden müssen, und zwar nicht nur, um Menschenleben, sondern auch, um die Weidehaltung zu schützen. Einige Tierschützer tun sich damit schwerer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht