Umweltrassismus gegen Roma: „Es sind keine Einzelfälle“
Roma in Europa sind überdurchschnittlich oft von Umweltrassismus betroffen, sagt Forscherin Katy Wiese. Was die Politik dagegen unternehmen sollte.
taz: Frau Wiese, was bedeutet Umweltrassismus?
Katy Wiese: Der Begriff stammt aus den USA. Da wurde festgestellt, dass Deponien, Verbrennungsanlagen und Entsorgungsstätten für gefährliche Abfälle überproportional in den Gebieten von bestimmten ethnischen Gruppen, vor allem People of Color, Indigenen oder Schwarzen Personen platziert wurden. Es handelt sich um Umweltrassismus, wenn die Vor- und Nachteile von Umweltpolitik oder Umweltkatastrophen ungleich verteilt werden, bewusst oder unbewusst. Oft sind diskriminierte Bevölkerungsschichten und Ethnien stärker von den Nachteilen betroffen. Es geht dabei auch um Mitspracherechte, denn marginalisierte Gruppen werden in der Gesellschaft zu wenig wahrgenommen.
Katy Wiese ist Umweltwissenschaftlerin im Europäischen Umweltbüro (EEB). Dort arbeitet sie als Politikberaterin und forscht zu wirtschaftlichem Wandel und Geschlechtergleichstellung.
In einer Studie von 2020 haben Sie dargelegt, inwiefern Rom*nja-Gemeinschaften in Mittel- und Ost-Europa von Umweltrassismus betroffen sind. Was kam dabei heraus?
Umweltrassismus gegen Rom*nja-Gemeinschaften ist ein strukturelles und weit verbreitetes Problem, es sind keine Einzelfälle. Räumliche Segregation, also die räumliche Absonderung von Menschen, spielt eine entscheidende Rolle dafür, dass Umweltrassismus überhaupt möglich ist. Sie geht häufig mit ungünstigeren Umweltbedingungen einher. Die Mehrheit der Rom*nja-Gemeinschaften in Mittel- und Osteuropa lebt in abgeschnittenen Siedlungen am Rande kleinerer Städte oder in isolierten Dörfern, wo grundlegende Infrastruktur fehlt und das Risiko für Umweltkatastrophen besonders hoch ist.
Was heißt das genau?
Rom*nja-Gemeinschaften haben zum Beispiel keinen Zugang zu sauberem Wasser, es fehlen sanitäre Anlagen, eine Kanalisation und Abfallentsorgung – bei der Bevölkerung in benachbarten Gebieten ist das nicht so. Zudem haben Rom*nja-Gemeinschaften oft keine andere Wahl, als in ökologisch geschädigten und verschmutzten Gebieten zu leben oder zu arbeiten. Dabei handelt es sich etwa um Bergbaukomplexe, kontaminierte Industriestandorte oder Mülldeponien. Diese Gebiete sind auch besonders anfällig für Naturgefahren wie Überschwemmungen, die durch den Klimawandel noch wahrscheinlicher werden.
In der Studie steht, dass Rom*nja-Gemeinschaften auch Nachteile durch Umweltprojekte haben können.
Genau, das hat mich sehr schockiert! Rom*nja-Gemeinschaften werden immer wieder aus Regionen vertrieben, etwa aus Gebieten mit wertvollen natürlichen Ressourcen, weil dort Platz geschaffen werden soll. Platz für neue Häuser oder Straßen, Tourismus, aber auch für Entwicklungsprojekte und Naturschutz. Dadurch werden sie de facto gezwungen, in verseuchte Gebiete zu ziehen. Für die Rom*nja hat das verheerende Folgen, soziale und gesundheitliche. Die Gemeinschaften sind besonders häufig von Infektionskrankheiten betroffen, die Bevölkerung leidet unter psychischen Problemen.
Wie kann so etwas passieren?
Dass Rom*nja Umweltbelastungen häufiger ausgesetzt sind, ist eine der vielen Dimensionen von Antiziganismus, also der rassistisch motivierten Diskriminierung und Ausgrenzung von Sinti*zze und Rom*nja.
Warum haben Sie sich in Ihrer Studie auf Mittel- und Osteuropa fokussiert?
Wir haben für die Studie 32 Fälle in Nordmazedonien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und der Slowakei untersucht. Insgesamt sind dort rund 154.000 Menschen direkt betroffen. Wir haben uns für die fünf Länder entschieden, weil wir wussten, dass es dort viele Fälle von Umweltrassismus gibt. Außerdem wussten wir, dass es sich bei den untersuchten Fällen um Situationen handelt, in denen die Mehrheit der betroffenen Bevölkerung eindeutig zu einer Rom*nja-Gemeinschaft gehört. Die in den angrenzenden Dörfern, Städten oder Stadtteilen lebende Bevölkerung ist vergleichsweise wenig von den beschriebenen Auswirkungen betroffen. Das haben wir gemeinsam mit dem Ergo Network entschieden, einer Organisation, die sich für die Rechte der Roma einsetzt. Die Fälle sind im Global Atlas for Environmental Justice, kurz EJ Atlas gelistet. Auf der Atlas-Website werden Fälle von Umweltrassismus weltweit gesammelt. Die Organisator*innen des Projekts waren auch an der Studie beteiligt. Um die 32 Fälle in unserer Studie zu analysieren, haben fünf Forschende, die teilweise selbst Rom*nja sind und die Sprachen sprechen, viele Interviews vor Ort geführt.
In der Studie diskutieren Sie auch, was die EU-Politik für die Rechte von Rom*nja-Gemeinschaften tut.
Es geht um Umwelt- und Klimagerechtigkeit. Rom*nja-Gemeinschaften wird oft der Zugang zu Informationen und das Recht auf gesellschaftliche Beteiligung verweigert – gerade wenn es um Entscheidungen in Umweltangelegenheiten geht, die ihr Leben beeinflussen. Es gibt sehr wenig öffentliche Besorgnis über die ungleiche Verteilung der Umweltrisiken in der EU und in den betroffenen Ländern. Die Politik in Europa hat sich bisher nicht angemessen um Umweltrassismus gekümmert. Dabei gefährdet er die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der EU.
Was müsste sich ändern?
Die Vorurteile gegenüber Rom*nja müssen abgebaut werden. Die EU, ihre Mitgliedstaaten und die Beitrittskandidaten müssen Umweltrassismus gegen Rom*nja-Gemeinschaften angehen. Der EU-Rahmen für die Rom*nja-Integrationspolitik wurde nach Veröffentlichung unserer Studie angepasst, jetzt wird der Umweltrassismus gegen Rom*nja als spezifische Erscheinungsform von Antiziganismus anerkannt. Allerdings muss noch mehr getan werden. Es hapert vor allem an der Implementierung. Die EU könnte, wenn die Staaten von ihr Geld bekommen, sie im Gegenzug dazu verpflichten, die Situation der Rom*nja-Gemeinschaften zu verbessern. Mehr Analysen und Monitorings könnten auch helfen. Deutschland sollte seine starke Rolle in der EU wahrnehmen, damit Umweltrassismus endlich mit mehr Nachdruck bekämpft wird. Denn auch in Deutschland ist Umweltrassismus gegen Rom*nja ein Problem, das zeigt der EJ Atlas.
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