piwik no script img

Umweltpsychologin über Klimaschutz„Viele wissen nicht, dass sie nicht allein sind“

Obwohl sie es wichtig fänden, engagieren sich weniger Menschen für das Klima – weil sie ihre Wirksamkeit unterschätzen, sagt Expertin Karen Hamann.

„Es hilft das Gefühl, Teil eines kollektiven Wegs zu sein“: Straßen­blockade fürs Klima in Manhattan Foto: Caitlin Ochs/Reuters
Maximilian Arnhold
Interview von Maximilian Arnhold

taz: Frau Hamann, laut Umfragen sehen global 80 bis 89 Prozent der Menschen den Klimawandel als ernstes Problem. Warum steht das Thema trotzdem nicht mehr ganz oben auf der politischen Agenda?

Karen Hamann: Aus der psychologischen Forschung wissen wir: Nur weil wir ein Problem wahrnehmen, führt das nicht unbedingt zum Handeln – das kennen wir zum Beispiel vom Rauchen. Auch in Deutschland zeigen Umfragen seit Jahren konstant: Die Mehrheit der Menschen wünscht sich mehr Klimaschutz. Trotzdem bleiben die politischen Maßnahmen teils weit hinter dem Notwendigen zurück. Ein Grund dafür ist das Gefühl individueller Ohnmacht. Viele glauben, dass ihr eigenes Verhalten wenig ausrichtet – und übertragen ihre Wahrnehmung auf die gesamte Gesellschaft. Es fehlt die Überzeugung, gemeinsam etwas verändern zu können.

taz: Ist der Mehrheit gar nicht bewusst, dass sie sich in der Mehrheit befindet?

Bild: Christian Hüller/Universität Leipzig
Im Interview: Karen Hamann

Karen Hamann ist promovierte Umwelt- und Sozialpsychologin an der Universität Leipzig. Sie beschäftigt sich mit der Frage, warum sich Menschen für den Klimaschutz engagieren – zum Beispiel über Wirksamkeit, Emotionen und soziale Normen. In einem Forschungsprojekt untersucht sie die Rolle von Energiegemeinschaften. Ihr Wissen gibt sie auch in Workshops und Bildungsprojekten beim Wandelwerk e.V. weiter. Sie ist Autorin des Buches „Klimabewegt: Die Psychologie von Klimaprotest und Engagement“ (oekom Verlag 2024).

Hamann: Genau, wir unterschätzen, wie viele andere sich ebenfalls für Klimaschutz aussprechen. Das nennt man pluralistische Ignoranz und kann lähmen: Wer denkt, mit seiner Haltung allein dazustehen, wird seltener aktiv. Wenn ich in meinem Umfeld erlebe, dass Klimaschutz belächelt oder abgelehnt wird, ist es noch schwieriger, sich zu engagieren. Wir müssen auch anerkennen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die noch nicht sehr nachhaltig ist. Zeitmangel, fehlende Angebote, soziale Unsicherheit – all das kann Menschen abhalten, laut zu werden.

taz: Gefühlt waren schon mal alle fürs Klima, heute spricht kaum noch jemand davon oder geht gar auf die Straße.

Hamann: Die Sorge um den Klimawandel ist geblieben – sie existiert nun gleichzeitig zu Sorgen über die Pandemie, Kriege, Inflation. Aber die Aufmerksamkeit verteilt sich neu. Und wir erleben auch eine Gegenbewegung. Klimaschutz wird von der neuen Rechten aktiv bekämpft. Barack Obama hat kürzlich gesagt: „Früher war es leicht, für Gerechtigkeit einzustehen – heute wird dies schwieriger und wir müssen neu mit uns selbst ausmachen, welche Opfer wir bringen wollen.“ Das trifft es gut. Es reicht nicht mehr, nur auf die Dringlichkeit der Krise hinzuweisen. Wir müssen aktiv werden und über gesellschaftlich getragene Lösungen diskutieren.

taz: Was hilft Menschen, sich trotzdem nach wie vor für mehr Klimaschutz einzusetzen?

Hamann: Es braucht resiliente Wirksamkeit, Strategien zu entwickeln, um die eigene Motivation aufrechtzuerhalten. Gerade dann, wenn Pläne wie etwa „3,5 Prozent der Bevölkerung mobilisieren“ – was Extinction Rebellion in Großbritannien lange als Ziel für die Straßenproteste ausgegeben hat – unerreichbar scheinen und langsam demotivierend wirken. Unsere Überzeugung von Wirksamkeit sollte auf mehr als nur großen Erfolgen gebaut sein.

Schriftzug The 89 Percent Project, edarüber eine 8 und eine 9 als Grafik
Foto: 89 Percent Project
Die 89 Prozent

Eine überwältigende Mehrheit von 80 bis 89 Prozent der Menschheit wünscht sich Klimaschutz, zeigen Umfragen. Beim „89 Percent Project“ des Netzwerks Covering Climate Now berichten dieses Jahr Jour­nalis­t*in­nen weltweit über Menschen, die etwas für den Planeten erreichen wollen – und über die Hürden, vor denen sie stehen.

Eine Strategie wäre ein „Sicherheitsnetz“ auf unterschiedlichen Ebenen: Wenn es im Großen nicht vorangeht, konzentriere ich mich auf kleine Schritte und meinen moralischen Kompass. Und wenn ich mich lokal ohnmächtig fühle, hilft vielleicht der Blick aufs große Ganze und das Gefühl, Teil eines kollektiven Wegs – einer Gruppe – zu sein.

taz: Im Koalitionsvertrag spielt das Klima eine eher untergeordnete Rolle. Dabei haben wir vielerorts eine schwere Dürre. Alles Verdrängung?

Hamann: Nicht ganz. Es gibt Rückschritte, aber auch Konstanten: Der Kohleausstieg bleibt, die Klimaneutralität bis 2045 steht als Ziel drin. Die entscheidende Frage ist, wie die Regierung das konkret umsetzt. Und sie muss sich bewusst sein, welche Signale sie sendet – das beeinflusst die Motivation der Menschen.

taz: Wenn Friedrich Merz den Klimawandel für überschätzt hält, bleibt das hängen?

Hamann: Politische Führung oder auch Gerichtsurteile wirken auf soziale Normen. Die Forschung zeigt: Es ist wichtig, dass politische Entscheiderinnen und Entscheider Geschlossenheit ausstrahlen. Ich fand es zwar positiv, dass die Ampelregierung versucht hat, Diskussionen offen zu führen und die Menschen mit einzubeziehen. Doch genau das kann bei vielen das Gefühl verstärkt haben, dass nichts vorangeht.

Motivation entsteht oft durch ein gemeinsames Vorhaben. Bei Energiegenossenschaften sehen wir etwa, wie sehr auch staatliche Unterstützung Menschen motivieren kann, mitzumachen – als Teil eines gemeinsamen Ziels, der Energiewende. Immerhin: Bürgerenergie ist im Koalitionsvertrag erwähnt. Da gibt es mal einen Moment, wo Bürger als aktive Gestalter der sozial-ökologischen Transformation mitgedacht werden.

taz: Welche Aufgabe kommt der Zivilgesellschaft in diesem Prozess zu?

Hamann: Sie muss den Entscheidern zeigen, dass die Klimabewegung noch da ist. Aber nicht nur durch Protest. Auch zivilgesellschaftliches Engagement in anderen Bereichen ist wichtig. In Australien haben Menschen vor der Wahl Schilder mit dem Spruch „Climate Action Now“ in ihren Vorgarten gestellt. Da wurde vielen Unbeteiligten bewusst: Okay, die haben vielleicht ein SUV in der Einfahrt, aber sie unterstützen die Klimapolitik. Das hat gezeigt: Klimabewusstsein ist breiter verankert, als man denkt.

taz: Wie wird die stille Mehrheit noch lauter?

Hamann: Durch Gespräche. Und lokale Initiativen. In einer Zeit, in der große politische Würfe vielleicht ausbleiben und wir Rückschläge erleben werden, ist die Transformation von unten und im Zwischenmenschlichen entscheidend. Auf lokaler Ebene kann viel angestoßen und Sympathie gewonnen werden. Ein Beispiel sind die Haustür-Wahlkämpfe der Linken, die von vielen jungen Leuten auch aus der Klimabewegung gemacht wurden. Wir sollten das gesellschaftliche Streben nach Gerechtigkeit als Teil einer sozial-ökologischen Transformation nicht unterschätzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Wenn es dem "großen Tanker" SPD trotz wiederholter Parteitagsbeschlüsse in den letzten Jahren nicht einmal gelingt, die Lappalie eines Tempolimits im Koalitionsvertrag zu berücksichtigen, befällt mich tiefe Resignation. Die Realität: Auf deutschen Autobahnen herrscht Krieg, und es werden keine Gefangenen gemacht. (Zwinkersmili)

    • @gerdos:

      Die Union macht da Politik für Ängste der bezuschussten Autoindustrie-Großspender, die halt mit nichts punkten können und daher auf Kein-Tempolimit kommen.

  • Verkennt völlig die Natur des Problems.

    Vieles lässt sich "als Gesellschaft" lösen.



    Und die (inhaltlich) einfacheren davon mitunter dadurch, "laut" zu werden.

    Klimawandel zu bekämpfen ist erst einmal wissenschaftlich. technisch und wirtschaftlich nicht einfach. Es gibt aktuell keine klimaneutrale Gesellschaft, und schon gar keine, die unseren heutigen Lebensstandard hätte.

    Das wird oft unterschlagen:



    Viele wünschen sich "mehr" Klimaschutz - nur nicht auf Kosten des eigenen Wohlstands. Wie das gehen soll, oder auch wie es mit minimalem Wohlstandsverlust gehen soll, weiß buchstäblich noch niemand.

    Viel wichtiger ist jedoch:



    Das Problem Klimanwandel lässt sich "als Gesellschaft", als in Deutschland, nicht lösen.



    Solange nicht die Welt im Wesentlichen in die gleiche Richtung läuft, wird jede Einsparung anderswo wieder ausgestoßen.



    Es ist das ultimative Gefangenendilemma.

    Nur internationale Diplomatie hilft weiter.



    Das ist das extreme Gegenteil von "auf den einzelnen kommt es an".

  • Na klar sind wir die Mehrheit. Na klar ließe sich heute noch vieles ändern.

    CO2 angemessen bepreisen.



    Umweltschädliche Bezuschussung stoppen (Flug, Auto, Braunkohle...)



    EU-weites Umsteuern einleiten

    Tipp: keine rechten Parteien wählen bzw. denen mal klarmachen, wie das mit dem Bewahren der Schöpfung so ist.

    • @Janix:

      Es gibt weder eine Schöpfung noch etwas was man bewahren kann. Der Planet Erde hat in seinen vielen Milliarden Jahren diverse Klimaextreme erlebt: von einer gefrorenen Eiskugel bis zu aufgetauten Polen auf denen Farne wuchsen.

      Nicht alles davon ist Homo-Sapiens-freundlich. Er wird sich also anpassen müssen - oder vergehen. Aber auch das wird diesen Planten nicht weiter jucken, er wird solange existieren bis unsere Sonne zur Nova wird,

  • "Es fehlt die Überzeugung, gemeinsam etwas verändern zu können."

    Natürlich fehlt die, weil es auch nicht möglich ist.

  • Viele wissen, dass andere es auch machen:



    ca 100 Mio Fluggäste ab D in 2024,



    über 60 Mio to Mineralölprodukte in 2024 verbraucht.



    Klimaschutz ist Thema, aber jede/r macht nur etwas. Die ganz große Einschränkung möchte fast keine/r.

    • @fly:

      Verwechseln Sie vielleicht Personen mit Flugbewegungen?

      Hinweis 2: Weniger Fossil teuer bezuschussen heißt auch Scheichs und Putins weniger deutsches Geld in den höllenfeurigen Schlund zu stopfen.

      • @Janix:

        Korrekt, aber jetzt muss ich erstmal nach Bali fliegen bevor es nicht mehr existiert :D

        • @Tom Tailor:

          Kantianisch-universal kann ich das nicht als allgemeine Regel wollen, Sie wohl auch nicht.



          Knapp 5.600 km² durchaus hügelige Oberfläche sind nicht gefährdet, die ökologische Vielfalt dort für uns letztlich ist es eher.



          Ansonsten, wenn das doch ernst gemeint war: Lesetipp "Revolusi", sehr lesbar-informativ zu Indonesien in der ersten Hälfte des 20. Jh.