Umweltpolitik Friedrichshain-Kreuzberg: „Wir brauchen mutigere Ansätze“
Die grüne Umweltstadträtin Clara Herrmann setzt im Bezirk auf gerechtere Aufteilung öffentlichen Raums. Klimaproteste findet sie gut.
taz: Frau Herrmann, gerade laufen weltweit die Klimaproteste von Extinction Rebellion, auch in Berlin gehen AktivistInnen auf die Straße und versuchen, den Autoverkehr zu blockieren. Sympathisieren Sie als grüne Umweltstadträtin mit der Bewegung?
Clara Herrmann: Ich habe dafür großes Verständnis. Ich finde zivilen Ungehorsam berechtigt, solange er gewaltfrei ist. Ich fand es allerdings schon bei den Friday-for-Future-Protesten schwierig, dass so viel über richtig oder falsch der Methoden diskutiert wurde. Da wurde wochenlang debattiert, ob Schule schwänzen okay ist, statt über die Klimakrise zu reden und wie wir verdammt nochmal die Klimaziele einhalten können.
Gibt es für Bezirke eigentlich einen ökologischen Fußabdruck?
Ja, den gibt es. Unsere Einwohnerinnen und Einwohner verbrauchen im Jahr rund 1,65 Millionen Tonnen CO2. Das muss besser werden. Als Amt arbeiten wir jeden Tag daran. Durch den Beginn der Umstellung auf E-Mobilität bei unseren Fahrzeugen können wir nun 15 Tonnen CO2 im Jahr einsparen.
Clara Herrmann
1985 in Berlin geboren, seit Ende 2016 Bezirksstadträtin für Finanzen, Umwelt und Kultur in Friedrichshain-Kreuzberg, vorher für die Grünen im Abgeordnetenhaus.
Was unternehmen Sie denn als Umweltstadträtin, um die CO2-Bilanz zu verbessern?
Wir versuchen zum Beispiel, unseren kommunalen Fuhrpark nachhaltig zu gestalten, indem wir auf E-Mobilität umstellen. Und dort, wo es möglich ist, sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Fahrrad oder Lastenrad unterwegs: Damit sehen Sie unsere Gärtnerinnen und Gärtner vom Grünflächenamt jetzt durch den Park fahren. Und natürlich geht es auch darum – Stichwort Verkehrswende –, die Fahrrad-Infrastruktur zu stärken. Zukünftig kann man sich an zehn Standorten – fünf in Friedrichshain, fünf in Kreuzberg – kostenlos Lastenräder ausleihen. Das nennt sich Flotte Kommunal und sollte noch jetzt im Herbst losgehen, wenn die Fahrräder da sind.
Macht es eigentlich Sinn, Umwelt und Verkehr als Ressort zu trennen? In Ihrem Bezirksamt ist das ja der Fall, für Verkehr ist Ihr Parteikollege Florian Schmidt zuständig.
Klar, Umwelt ist ein Querschnittsthema, das gilt für den Bereich Verkehr genauso wie fürs Bauen. Aber wir reden miteinander, auch über Abteilungen hinweg, und das funktioniert gut.
Worüber reden Sie denn gerade konkret?
In Friedrichshain-Kreuzberg legen die Bürgerinnen und Bürger zwei Drittel der Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem ÖPNV zurück, ein Drittel mit dem Auto. Die öffentliche Infrastruktur ist aber genau andersherum ausgelegt: Zwei Drittel steht dem Auto zur Verfügung. Das ist ungerecht. Da muss es eine gerechtere Flächenaufteilung geben. Ein Beispiel: Wir brauchen mehr Fahrradbügel. Deshalb konnte man jetzt auch per App eine Nachricht ans Bezirksamt schicken, wenn man irgendwo einen Abstellbügel vermisst. Und natürlich brauchen wir, auch unter dem Aspekt des Klimawandels, eine grüne Infrastruktur, wir brauchen grüne Oasen für die Allgemeinheit.
Da hat der Senat ja auch unlängst den Titel der „Schwammstadt“ – Stichwort Regenwasserspeicherung – ausgerufen und ein Grüne-Dächer-Programm aufgelegt, mit bescheidenem Erfolg: Es gibt kaum Anfragen.
Ich glaube, wir brauchen da radikalere, mutigere Ansätze. Ich würde mir stärkere Vorgaben und Pflichten wünschen, zum Beispiel bei der Begrünung von Dächern, zum Beispiel bei dem Bau von Photovoltaikanlagen. Planungsrechtlich kommt da der Biotop-Flächenfaktor ins Spiel, dafür brauche ich einen Landschaftsplan. Den habe ich nicht überall, wir kümmern uns aber. Aber ja, wir müssen schneller werden, da muss Tempo rein.
Grüne Dächer sind keine öffentlichen grünen Oasen …
Ja, wir sind der am dichtesten besiedelte Bezirk, wir haben da große Bedarfe. Wir müssen uns zum Beispiel auch viel besser um unsere über 16.000 Straßenbäume kümmern. Wir bekommen pro Baum etwas mehr als 48 Euro für die Pflege, wir brauchen aber mindestens 80 Euro. Und das Finanzielle ist das eine, das andere sind Baugenehmigungen: Wenn neu gebaut wird, müssen Bäume im Zweifel weichen. Der Bauherr kann dann entscheiden, ob er einen Ausgleich zahlt oder neu pflanzt. Da wäre eine Pflanzpflicht sinnvoller. Oder man hebt die Ausgleichszahlungen an, damit wir neue Bäume länger pflegen können – denn Pflege wird angesichts der trockenen Sommer, die wir zuletzt hatten, intensiver und teurer.
Wird der Klimawandel auch schon bei der Neugestaltung der Bunkerberge im Volkspark Friedrichshain berücksichtigt?
Wir pflanzen dort über 40.000 neue Sträucher und Bäume, das wird ein naturnaher Wald mitten in der Stadt. Da gucken wir aber vor allem auf die biologische Vielfalt: Was bietet der Boden? Was brauchen die Bienen und andere Bestäuber?
Vom Grün zum Bau: Wie ökologisch ist eigentlich der Mietendeckel?
Wenn ich die Mieten in den Griff bekommen möchte, dann brauche ich funktionierende Instrumente …
… auch um den Preis, dass die energetische Sanierung zurückgeht?
Dann brauche ich wirkungsvolle Instrumente, um energetische Sanierung machen zu können.
Welche wären das aus Ihrer Sicht?
Zum Beispiel die Modernisierungsumlagen: Eigentlich merkwürdig, dass die Mieterinnen und Mieter die tragen. Wer sein Gebäude als Eigentümerin nicht ökologisch fit und instand hält, muss in die Pflicht genommen werden. Ich würde den Mechanismus da gerne umdrehen: eine Abgabe für CO2-Emissionen auch für den Gebäudebereich. Das kann ich aber nicht auf kommunaler Ebene erreichen.
Ein Appell an Ihre Parteifreundin Umweltsenatorin Regine Günther, eine entsprechende Bundesratsinitiative zu starten?
Ich freue mich, wenn Regine Günther das Thema verfolgt. Aber sie hat ja vieles, das in ihr Ressort fällt, etwa die Verkehrswende. Wenn wir die Klimaziele noch erreichen wollen, brauchen wir jedenfalls mutigere Initiativen als das sogenannte Klimapaket der Bundesregierung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos