Umweltbelastung durch Dieselautos: Noch dreckiger als gedacht
Moderne Dieselmotoren stoßen siebenmal so viel Stickoxid aus wie zulässig. Eine Studie belegt: Die herkömmlichen Prüfverfahren sind ungenügend.
BERLIN taz | Dieselautos verpesten die Umwelt weit stärker als bislang angenommen: Moderne Diesel-Pkws stoßen durchschnittlich siebenmal so viel Stickoxid aus wie laut der seit September 2014 geltenden Abgasnorm Euro 6 erlaubt, berichtet das Forschungsinstitut International Council on Clean Transportation (ICCT) in einer am Sonntag veröffentlichten Studie. Die Forschungsabteilung der EU-Kommission war in der bisher wichtigsten Analyse zum Thema nur auf dreieinhalbmal höhere Werte als zulässig gekommen.
Benzinautos erfasst die neue Studie nicht. Diese halten die Stickoxid-Grenzwerte meist ein, wie frühere Untersuchungen gezeigt haben. Dennoch ist das Problem riesig: Die Hälfte aller neuen Pkws in der EU werden laut ICCT mit Diesel betrieben. Das Institut wird unter anderem von der Stiftung Mercator finanziert, seinem wissenschaftlichen Beirat gehören neben unabhängigen Verkehrsexperten auch Behördenvertreter an.
Größte Quelle des Stickoxids, das in die Atmosphäre geblasen wird, ist der Verkehr – und die Hauptschuldigen sind die Dieselautos. Die Folge: Die Konzentrationen in der Luft sind regelmäßig höher als erlaubt. Auch wer nie Auto fährt, kann deshalb mehr schädliches Gas einatmen, als Mediziner für vertretbar halten.
Dennoch verlangt die EU von den Herstellern, die Abgase neuer Autos nach einem Verfahren zu messen, das geschönte Werte ergibt. Dabei steht der Wagen in einem Labor auf Rollen, die den Fahrwiderstand simulieren. Er beschleunigt sehr langsam, maximal auf 120 Kilometer pro Stunde. Zudem sind Energieverbraucher wie etwa die Klimaanlage ausgeschaltet. All das kann den Abgasausstoß reduzieren.
Wo kommen sie? Stickstoffoxide entstehen bei Verbrennungsprozessen - vor allem in Verbrennungsmotoren und Feuerungsanlagen für Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfälle. In deutschen Ballungsgebieten ist der Straßenverkehr laut Umweltbundesamt die bedeutendste Quelle von Stickoxiden. In Europa trägt der Verkehrssektor etwa 40 Prozent zur Stickoxid-Konzentration bei.
Wie stark ist die Belastung? 2012 enthielt die Luft laut Angaben des Umweltbundesamts im Jahresmittel an 65 Prozent der deutschen Messstationen in der Nähe von Straßen mehr Stickstoffdioxid als gesetzlich erlaubt. Von 2002 bis 2011 mussten je nach Jahr fünf bis 23 Prozent der Städter in der EU Belastungen über den Grenzwerten ertragen, errechnete die Europäische Umweltagentur.
Wie groß ist die Gefahr? Studien haben laut Weltgesundheitsorganisation gezeigt, dass bei Kindern mit Asthma Bronchitissymptome zunehmen, wenn sie lange Stickstoffdioxid einatmen. Allergiker könnten Probleme bekommen, weil die Bronchien zusätzlich gereizt werden. Das Forschungsinstitut ICCT spricht von vorzeitigen Todesfällen im Zusammenhang mit den Gasen.
Wie gefährdet ist die Umwelt? Insbesondere Stickstoffdioxid kann Pflanzen schädigen. Es bewirkt unter anderem ein Gelbwerden der Blätter, vorzeitiges Altern und Kümmerwuchs.
Zudem trägt Stickstoffdioxid zur Überdüngung und Versauerung von Böden und in geringem Maße auch von Gewässern bei. Das ist eine Ursache dafür, dass Tier- und Pflanzenarten aussterben.
In der ICCT-Studie dagegen wurden die Autos mit mobilen Messgeräten auf echten Straßen untersucht: Dabei fuhren die Wagen auch mal mit eingeschaltetem Scheinwerfern zügig einen Berg hoch oder bei sehr kalter Außentemperatur, was die Emissionen erhöhen kann.
Alltägliche Situationen getestet
Die Wissenschaftler untersuchten 15 Modelle von sechs Herstellern in 97 solcher Testfahrten mit insgesamt mehr als 140 Stunden Fahrzeit und 6.400 Kilometern – so viel wie noch nie für Euro-6-Dieselautos. Ergebnis: Während der Feinstaubausstoß unter den Grenzwerten blieb, lagen die Stickoxid-Emissionen bei durchschnittlich 560 Milligramm pro Kilometer – gesetzliches Limit ist 80 Milligramm.
Die Grenzwerte wurden laut Studie meist in Situationen überschritten, die im Alltag häufig vorkommen: wenn der Motor – etwa beim Beschleunigen auf einer Rampe oder aus dem Stand – stark belastet war. Es ging also nicht um Extremsituationen. Manche Testfahrzeuge hielten die Grenzwerte aber ein. Die Namen nennt das ICCT aus rechtlichen Gründen leider nicht. Die saubereren Autos belegen den Forschern zufolge jedoch, „dass die Technologien, um die gesetzliche Norm auch unter realen Fahrbedingungen zu erfüllen, bereits heute existieren“.
Die Hersteller müssten die Technik – etwa Katalysatoren – nur konsequenter anwenden. Stattdessen stellen sie die Autos zum Beispiel so ein, dass der Motor noch „sportlicher“ ist. Das ICCT empfiehlt deshalb neue Gesetze. Ein Schritt in die richtige Richtung sei es, wie von der EU-Kommission geplant, Neuwagen ab 2017 nicht nur im Labor, sondern auch auf der Straße zu testen. Zudem will die Behörde für die Untersuchungen auf dem Prüfstand einen – unter der Abkürzung WLTP bekannten – Testzyklus einführen, der höhere Motorbelastungen vorsieht.
Mobile Messgeräte
Auch Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, forderte im Gespräch mit der taz: „Man muss endlich dafür sorgen, dass die Autos die Grenzwerte in der Realität einhalten und nicht nur in einem künstlichen Prüfzyklus.“ Der WLTP sei viel besser als der jetzige, aber sollte beispielsweise noch höhere Beschleunigungen enthalten.
Michael Cramer, Verkehrsexperte der Grünen im Europaparlament: „Mobile Messgeräte gibt es bereits, und die müssen die Grundlage sein für die Tests und nicht die im Labor, die mit der Realität nichts zu tun haben.“ Zum Einwand der Hersteller, Messungen auf der Straße seien nicht so vergleichbar wie die im Labor, sagt er: „So wie die Industrie in den Versuchslaboren fährt, fährt kein Fahrer.“
Der Verband der Automobilindustrie dagegen lehnt es ab, mit den mobilen Messungen 2017 zu beginnen. „Das halten wir für sehr ambitioniert“, sagte Sprecherin Sandra Courant der taz. Die Branche benötige genügend Zeit, das neue Verfahren umzusetzen.
Anmerkung der Redaktion, 13. Oktober 2014: In einer früheren Version des Artikels hatten wir einen Fehler aus der ICCT-Pressemitteilung übernommen. Der durchschnittliche Stickoxidausstoß der Fahrzeuge lag nicht „siebenmal höher“ als der Grenzwert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?