Umstrittener neuer Interpol-Chef: Eine Wahl, die polarisiert
Die Emirate haben einen ihrer Vertreter erfolgreich als Interpol-Präsidenten platziert. Kritiker sehen die Funktionsfähigkeit der Behörde in Gefahr.
Gegen al-Raisi sind in fünf Ländern Klagen wegen Folterverdachts anhängig. Aus diesem Grund sowie wegen der Tatsache, dass al-Raisi ein Vertreter der autoritären Führung der VAE ist, hatten sich neben Menschenrechtler*innen auch Abgeordnete des EU-Parlaments sowie des deutschen Bundestags gegen ihn ausgesprochen.
„Sehr enttäuscht“ zeigt sich der Bundestagsabgeordnete Peter Heidt gegenüber der taz am Donnerstag. „Ich sehe die Funktionsfähigkeit von Interpol in Gefahr.“ Der FDP-Politiker befürchtet zum einen einen Missbrauch des Systems der internationalen Haftbefehle, mit dem die Interpol-Mitgliedstaaten nationale Haftbefehle auf das Ausland ausweiten und so gesuchte Personen im Fall einer Festnahme ausliefern lassen können.
Zum anderen sieht Heidt die Gefahr, dass Teile von Interpol nach Abu Dhabi verlegt werden könnten. In Frankreich, wo gegen al-Raisi zwei Folterklagen anhängig sind, befindet sich der Interpol-Hauptsitz, das Generalsekretariat in Lyon. Sollte es in Frankreich zu einer Verurteilung des neuen Präsidenten kommen, wären die Behörden verpflichtet, al-Raisi zu verhaften, sobald er französischen Boden betritt.
Geldsegen aus den Emiraten
Interpol hatte gegenüber der taz vor der Wahl al-Raisis betont, dass der Präsident von Interpol keine wichtige Rolle spiele. „Die Rolle des Präsidenten ist eine unbezahlte Teilzeitstelle mit der Hauptfunktion, die Generalversammlung und drei Sitzungen des Exekutivausschusses pro Jahr zu leiten.“ Für die laufenden Geschäfte sei der Generalsekretär, derzeit der Deutsche Jürgen Stock, zuständig.
„Wir sollten die Konsequenzen nicht unterschätzen“, sagt dagegen Inès Osman von der Menschenrechtsorganisation Mena Rights Group. Sie beklagt, dass sich die Emirate bereits in der Vergangenheit unzulässig in die Arbeit von Interpol eingemischt hätten, und betont, dass der größte der Teil der nicht-staatlichen Gelder für Interpol von der in Genf ansässigen “Interpol Foundation for a Safer World“ komme. Diese sei ausschließlich dafür gegründet worden, Gelder von der VAE-Regierung an Interpol weiterzuleiten.
Die internationale Polizeiorganisation finanziert sich über freiwillige Beiträge ihrer 195 Mitgliedstaaten sowie über nicht-staatliche Zuwendungen, etwa aus der Privatwirtschaft oder anderen nicht-staatlichen Organisationen. Die Emirate sind nach den USA der zweitgrößte Beitragszahler.
Wer sind die Terroristen?
Osman befürchtet vor allem eine Verfolgung von Kritiker*innen der emiratischen Führung mithilfe von Interpol. „Eine der Kernaufgaben von Interpol ist es, Terrorismus zu bekämpfen, und in den VAE wird friedlicher Dissens als eine Form von Terrorismus gesehen.“ Sie erinnert an den jüngsten Fall von vier prominenten Dissidenten aus den VAE.
Die vier Männer, die sich im Exil befinden, waren von den VAE im September als Terrorismusunterstützer bezeichnet worden. Human Rights Watch kritisierte dies als „Teil eines anhaltenden Versuchs, Aktivismus und freie Meinungsäußerung unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung zu verbieten.“
Der Abgeordnete Heidt fordert indes Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf, bei seiner anstehenden Reise in die VAE das Land zu ermahnen, sich zu öffnen, jetzt, da es den wichtigen repräsentativen Posten des Interpol-Präsidenten stelle. „Wir haben hier ja nicht den Hausmeister gewählt“, so Heidt. Steinmeier bricht am Sonntag zu einer Reise in die Emirate und nach Katar auf. Heidt erinnerte in diesem Zusammenhang an den prominenten emiratischen Regimekritiker Ahmad Mansoor. Dieser verbüßt aktuell eine zehnjährige Haftstrafe in den VAE.
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