piwik no script img

Umstrittener Gastbeitrag in der „Welt“Queerphobes Clickbaiting

Ein „Welt“-Artikel kritisiert die angebliche Transgender-Ideologie bei ARD und ZDF. Das ist kein Diskurs, sondern die Dämonisierung queerer Belange.

Mit einem transfeindlichen Gastbeitrag in die Kritik geraten: die Springer-Zeitung „Die Welt“ Foto: imago

W enn ich das Wort „Gastbeitrag“ nur lese, möchte ich Strg+Alt+Entf drücken und schlafen gehen. Gastbeiträge sind so was wie Debatten-Viagra für schlaffe Redaktionen. Sie kommen von großen Namen, die groß mahnen, aber nichts sagen. Wissen Sie noch, Sahra Wagenknecht in der Welt (Minderheitenschutz ist ein Wohlfühl-Label), Sigmar Gabriel im Spiegel (SPD macht zu viel Ehe für alle und zu wenig Heimat), Thierse in der FAZ (Forderungen von Minderheiten spalten die Gesellschaft)? Oder, ebenfalls FAZ: zwei Profs über das Verschwinden der „klassischen Familie“ und über angebliche „Trans­genderpropaganda“ in Kitas? Good times.

Jetzt war wieder die Welt dran. Die ließ vorige Woche einige Wis­sen­schaft­le­r*in­nen mahnen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk „indoktriniere“ Kinder mit einer „ideologisch motivierten Agenda“ über Gender und Sexualität. ARD und ZDF „sexualisierten aufdringlich“, schrieben die Ver­fas­se­r*in­nen und sprachen von einer „bedrohlichen Entwicklung“ im Infoprogramm.

Halbherzig-zerknirschte Reaktionen

Dass die genannten Sendungen alle tippitoppi gelungen sind, will ich gar nicht behaupten. Aber die wenigen Argumente im Text gingen unter vor lauter Geraune, Gemahne und Geunke. Wem mit so einem Beitrag geholfen sein soll, steht in den Gendersternen. Wem damit geschadet ist, kann ich Ihnen sagen: uns, den Queers. Schönen Dank!

Übers Wochenende gaben sich Chefredakteur Ulf Poschardt und Springer-Verlagsschef Mathias Döpfner dann zerknirscht, aber nicht zu doll. Dass nämlich die queere Jobmesse Sticks & Stones den Springer-Verlag nach dem Text umgehend auslud, erklärte Döpfner zu einem Fall von Cancel Culture – und stellungnahmte pikiert, der Veranstalter der Messe hätte ja „eine ausführliche Gegenposition in WELT vertreten“ können. Der feuchte Traum so mancher deutscher Redaktion: „Wir liefern den queerphoben Clickbait, und danach sind wir dann offen für Repliken. Tadaa: Journalismus.“

Diffamierung statt Diskurs

Ich befürworte Ideologiekritik und Kritik am Rundfunk. Ich befürworte „unangenehme Fragen“, auch bei Gender und Sexualität. Was ich nicht befürworte: das Diffamieren und Dämonisieren queerer Belange. Das ist kein Diskurs, sondern ein Austesten von Grenzen des Sagbaren zur Steigerung der Erregbarkeit der Volksseele. Die Folge: Queers fühlen sich in keinem Medium sicher und willkommen.

Es wäre ein Leichtes für Redaktionen, sich hier Standards zu geben, ohne ein Gramm Pluralismus zu opfern. Es wäre leicht zu entscheiden, nichts zu veröffentlichen, was Menschengruppen zu „Lobbys“ erklärt; was Minderheiten „Agenden“ unterstellt oder die Absicht, Kindern zu schaden; was komplexe Entwicklungen zu „Trends“ herabwürdigt oder Diskriminierung rundheraus leugnet. Eine Debatte mit derlei Regeln wäre kein Stück weniger lebhaft oder produktiv. Im Gegenteil, vielleicht würden sich sogar ein paar Queers beteiligen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Peter Weissenburger
Freier Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, queeres Leben, Wissenschaft.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Aus meiner Sicht sind das Pseudodiskussionen betrieben von Interessengruppe. Diese Diskussionen interessieren in Wirklichkeit fast niemanden, denn heutzutage ist kaum noch jemand homophob oder sonst irgendwie lgbt- feindlich. Das erleben die Betroffenen vielleicht ganz anders und natürlich gibt es gewalttätige viril- homophobe Milieus und gerade unter Jugendlichen üble pubertär- patriarchalische Reflexe, aber das wird sich so schnell auch nicht ändern. In der normalen Welt bekommt ein lesbisches Paar jedenfalls eher eine Wohnung als zwei libanesische Brüder. Die deutliche Mehrheit gönnt jedem seine sexuelle Identität und dumme Sprüche sind zwar sehr verletzend, aber noch lange keine tatsächliche Benachteiligung. Springer (naja, bei denen war es ja scheinbar doch zeitweilig wichtig für den Chefredakteur nicht unerreichbar zu scheinen) bekommt für die eigentlich lächerliche Provokation ja auch folgerichtig vor allem in soweit Zustimmung, als die empörte Reaktion der Aktivisten darauf, also der Erfolg der Provokation, manchen gefällt. Die Kritik an der leider ja auch mitunter aufgesetzten Modernität mancher Medien liegt zwar auf AFD- Niveau, ist aber beliebt und ohnehin sieht sich Springer ja schon als neue mediale Hoffung und natürlichen Gegner von ARD und ZDF. Also druff: Gastkommentar. Alles sehr billig, durchsichtig und eigennützig, und auch wenn man der Gegenseite idealistischere Motive unterstellen darf, ist das Ergebnis solcher Kämpfe jedenfalls, dass das sie meist eher denen nutzen, die sich öffentlich rumprügeln, als denen, die wirklich Unterstützung brauchen. Man muss nicht in der Taz die Lanzen brechen, sondern in sächsischen Schulen und neuköllner Hinterhöfen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Und noch was aus Ihren Beispielen: Ja, vielleicht bekommt ein lesbisches Paar eher eine Wohnung als zwei libanesische Brüder. Die Gefahr irgendwo draußen angegriffen, beleidigt und verprügelt zu werden, ist für das lesbische / schwule oder Transpaar deutlich höher als für die Brüder. Am besten, sie bleiben in ihrer ach so liberalen Wohnung.

    • @Benedikt Bräutigam:

      DAs erleben die Betroffenen vielleicht ganz anders.... zitiere ich Sie. Ja, richtig. Die "Betroffenen" und ihre Angehörigen. Das sind dann doch nicht so wenige. Eltern, Geschwister, Kinder, Partner von Queeren Mensche sind alle mit "betroffen". Und ja, es ist eine Interessengruppe. Zum Glück. Genau deshalb.

  • Gut gebrüllt, Löwe! Prima Text, prima Einordnung. Was wollen die nur alle? Es nimmt ihnen doch niemand was weg, wenn andere Menschen in Freiheit leben können. Sie haben alle gar keine Nachteile. Müssen aber ständig lamentieren und sich äußern. Denken ist schwer, sagte CG Jung, deshalb urteilen die meisten.

  • "Was ich nicht befürworte: das Diffamieren und Dämonisieren queerer Belange.„

    Was das ist, darüber schweigt der Autor sich aus. Doch gerade an diesem Punkt wäre eine tiefergehende Betrachtung nötig.

    Denn beides stimmt: Das Austesten des Sagbaren ist ein eingeübtes Ritual der Neuen Rechten, siehe „Fliegenschiss der Geschichte“. Auf der anderen Seite reagiert die Szene auch immer arg dünnhäutig bei Kritik. Die hat sie sich teilweise selber zuzuschreiben, weil sie sich durch Cancel Culture selbst Diskussionen verschließt und damit leider zu oft Mechanismen der Rechten, die sie selbst und zu recht kritisiert, erkennen lässt.

    Ein wenig mehr Robustheit und Souveränität täte Not.

  • Und es gibt den nächsten Gastkommentar zum Thema. Diesmal vom Historiker Andreas Rödder. Er spricht von der „Schweigespirale“. Diesem Intellektuellen Schwergewicht fällt allerdings nicht auf, wer bisher nach 12 Antitransgender - Kommentaren in Prominenten Medien tatsächlich schweigt. In einer Millionenstadt kenne ich nur 5 andere Transfrauen. Da ist es schwer das gleiche Gehör wie privilegierte Eliten zu finden.

  • Fairerweise sollte man Döpfners Stellungnahme zum Gastbeitrag (Döpfner: "Der ganze Ton ist oberflächlich, herablassend und ressentimentgeladen.") vielleicht nicht unerwähnt lassen. Das klingt ja nicht gerade "zerknirscht, aber nicht zu doll", wie Peter Weissenburger schreibt. Das, was mich wirklich schockiert, sind allerdings die Reaktionen der "Welt-Kommentatoren" auf Döpfners Stellungnahme. Fast unisono wird dort Döpfners Entschuldigung als "drastisches Einknicken vor einer kleinen, aber offensichtlich überaus mächtigen Lobby " für unwürdig erklärt. Das ist unsäglich und wirft kein gutes Licht auf die Leserschaft. Ich hoffe -naiv und gutgläubig wie ich bin- dass diese Kommentare nicht repräsentativ sind.