Umstrittene Straßennamen in Berlin: Straße mit Nazi-Vergangenheit
Robert Rössle war Wegbereiter der Euthanasie in der NS-Zeit. Doch mit der Umbenennung der Robert-Rössle-Straße steht eine Rentnerin fast allein da.
H omo homini sacra res“ – „Der Mensch ist dem Menschen eine heilige Sache“. Weithin sichtbar prangt die Inschrift an einem Gebäude auf dem Campus Buch. Der Spruch ist Programm: In dem Biotechnologiepark erforschen Dutzende Firmen und international renommierte wissenschaftliche Institutionen Krankheiten, entwickeln Arzneimittel und Therapien – klassische Arbeit „im Dienste am Menschen“, könnte man sagen. Dazu passend zieren Büsten wichtiger Wissenschaftler wie Hermann von Helmholtz die Wege durch den Campus.
Auch vor dem Haus mit der Inschrift, in dem die Charité forscht, steht ein mit Grünspan überzogener, etwa lebensgroßer Bronzekopf auf einem Podest: Es ist der von Robert Rössle, Pathologe und von 1929 bis 1949 Inhaber des Virchow-Lehrstuhls für Pathologie an der Charité. Was ihn vor den anderen hier verehrten Koryphäen auszeichnet: Nach ihm ist auch die Straße benannt, an der der biomedizinische Campus liegt. Adresse: Robert-Rössle-Straße 10.
Dieser Umstand lässt Ute Linz nicht zur Ruhe kommen. „Rössle war ein geistiger Wegbereiter der Euthanasie, nach ihm darf keine Straße benannt werden“, erklärt die Biomedizinerin im Ruhestand. Vor einigen Jahren hatte sie im Zuge ihrer Arbeit beim Forschungszentrum Jülich mit dem Campus zu tun und wissen wollen, wer der Namensgeber dieser Straße war. Mit einer Google-Recherche fing also alles an.
An einem grauen Tag Ende Februar hat die zierliche 66-Jährige mit dem aschblonden Kurzhaarschnitt in ihr Einfamilienhaus nach Kaulsdorf eingeladen, um ausführlich darüber zu reden, warum sie sich nun seit über vier Jahren für die Umbenennung der Robert-Rössle-Straße einsetzt. Sie sitzt auf dem schwarzen Ledersofa in ihrem aufgeräumten Arbeitszimmer, vor sich auf dem Glastisch einen aufgeklappten Laptop, der eine PowerPoint-Präsentation zu ihren Forschungen an die Wand wirft.
In dem knapp zweistündigen Vortrag, den sie hält, und das offenkundig nicht zum ersten Mal, wird deutlich, dass Linz ihr hartes Urteil über Rössle gut belegen kann. Obwohl der in der Öffentlichkeit noch mit „weißer Weste“ dasteht, weil sich bislang niemand intensiv mit seinem Tun im NS befasst hat. Linz aber hat: Sie hat seine Bücher und Forschungsarbeiten gelesen, in Archiven seine Obduktionsberichte durchforstet, seine Personal- und eine Entnazifizierungsakte studiert.
So kann die Wissenschaftlerin, die selbst Biologie und Chemie studiert und später nebenberuflich ein Medizinstudium drangehängt hat, das Bild eines Mannes entwerfen, der schon lange vor den Nazis ein Verfechter von „Rassenhygiene“ und Eugenik war. Der 1876 in Augsburg geborene Sohn eines Tuchfabrikanten schrieb bereits 1911, so Linz, in einem Lehrbuch für Medizinstudenten, dass „die planmäßige Auswahl von Gatten mit (…) einwandfreien Genenkombinationen zu den höchsten Kulturaufgaben eines Volkes gehören muss und dass die künstliche Ausscheidung menschlicher Minusvarianten auch dem Ideal einer vollkommenen ärztlichen Prophylaxe entsprechen würde“. In der Ausgabe von 1936 wurde Rössle noch deutlicher: Der Staat müsse „Erbübel (…) mit allen Mitteln zu verhüten suchen“, auch „durch Sterilisierung (…), Kastration (…), Vernichtung lebensunwerten Lebens“.
Darüber hinaus betrieb Rössle laut Linz in den 1930er Jahren eine Reihe von zweifelhaften Forschungen. So sezierte er die Hoden von sogenannten Sittlichkeitsverbrechern, worunter im NS auch Homosexuelle gezählt wurden, die im Untersuchungsgefängnis Moabit zwangsweise kastriert wurden. 125 Paar Hoden habe er untersucht, erklärt Linz, „davon waren mindestens fünf von Homosexuellen“.
Auch von der Judenverfolgung profitierte Rössle, so Linz. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sei die Pathologie der Familie gewesen, erklärt sie, „normalerweise nur langwierig zu erforschen, da man die Toten einer Familie naturgemäß nur in Abständen von Jahrzehnten untersuchen kann“. Als Ende der 30er Jahre jedoch immer mehr jüdische Familien durch den NS in den Suizid getrieben wurden, bekam Rössle massenweise Untersuchungsobjekte – und begrüßte die „plötzlichen Massentodesfälle in Familien“, zitiert Linz aus einer seiner Publikationen.
Zudem war Rössle laut Linz indirekt beteiligt an den verbrecherischen Unterdruckexperimenten für die Luftwaffe, denen zahlreiche Häftlinge im Konzentrationslager Dachau zum Opfer fielen. Wie genau seine Beteiligung aussah, sei zwar unklar, so Linz. „Fest steht aber, dass er zur gleichen Zeit gemeinsam mit dem Direktor der Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin, Theodor Benzinger, an dem Thema dran war.“ Rössle erhielt nach ihren Recherchen auch Gehirne von Julius Hallervorden. Der war stellvertretender Direktor am Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung (KWI), wo er unter anderem rund 700 Gehirne von Kindern und Jugendlichen aus Brandenburg untersuchte, die bei der „Aktion T4“ ermordet wurden.
Im Zuge dieses ersten NS-Massenmords 1940/41 wurden mindestens 70.000 Menschen, die aufgrund rassehygienischer Vorstellungen, wie sie Rössle schon lange propagiert und gelehrt hatte, als „lebensunwert“ angesehen wurden, getötet. Der Name T4 wurde nach dem Krieg etabliert, er bezieht sich auf die Adresse, wo die Mordaktion geplant wurde: die Tiergartenstraße 4 in Mitte.
Das KWI hatte damals seinen Sitz in Buch – es war die Einrichtung, mit deren Einzug 1930 der Wissenschaftscampus seinen Anfang nahm. An den verbrecherischen Missbrauch von Mordopfern für Forschungszwecke erinnert seit 1990 das Mahnmal „Wenn ich groß bin, dann...“ von Anna Franziska Schwarzbach. Es liegt etwas versteckt in einem kleinen Waldstück auf dem Campus – keine 200 Meter Luftlinie entfernt von der Rössle-Büste. Auch diese Nähe ist für Ute Linz „ungeheuerlich. Das ist ein Affront für die Opfer und zieht die ganze Ernsthaftigkeit dieser Mahnung in Zweifel“, findet sie.
Ute Linz
Da Rössle aber kein NSDAP-Mitglied war und, wie Linz zeigt, bei seiner „Entnazifizierung“ einiges schönte, wurde er wie viele andere nach dem Krieg nicht zur Rechenschaft gezogen – im Gegenteil. 1949 bekam er den ersten „Nationalpreis der DDR“ – weil er die Charité wieder mit aufgebaut hatte und zudem als „Halteprämie“, so Linz, da viele seiner Kollegen zu dieser Zeit bereits in den Westen gegangen waren. Es half nichts: Nur wenig später ging Rössle ans Westberliner Wenckebach-Krankenhaus, 1952 bekam er das Verdienstkreuz der BRD.
Doch auch im Osten wurde der Pathologe, der sich in seiner frühen Zeit vor allem mit Erkenntnissen zu Geschwulsten, Entzündungen und Allergien einen Namen gemacht hatte, weiterhin verehrt. Im Bucher Campus wurde 1960 eine Forschungsklinik für Krebs nach ihm benannt: die Robert-Rössle-Klinik, die sich zur renommiertesten Krebsklinik der DDR entwickelte. 1974 wurde dann die Straße zum Campus nach Rössle benannt.
Die Klinik heißt inzwischen nicht mehr so, allerdings finden sich auf dem Campus überall Schilder, die noch den Namen tragen. Geändert wurde der Name auch aus ganz pragmatischen Gründen: 2001 wurde die Klinik vom privaten Helios-Konzern übernommen und bekam 2007 unweit vom Campus einen Neubau. Das Gebäude der früheren Klinik auf dem Campus, wo heute die Charité forscht, heißt nun Experimental and Clinical Research Center.
Die verschiedenen Ehrungen, die Rössle trotz seines Verhaltens in der NS-Zeit beiderseits des Eisernen Vorhangs widerfahren sind, kann auch Wolfgang Eckart nicht nachvollziehen. Der Medizinhistoriker, der viel zur Geschichte der Charité im Nationalsozialismus geforscht hat, sieht es wie Linz: „Es ist ein Skandal, dass es immer noch eine nach ihm benannte Straße gibt“, sagte er der taz.
Etwas vorsichtiger war zunächst Thomas Beddies, stellvertretender Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Charité. Er hat im März 2016 eine „vorläufige Einschätzung“ zu Rössle verfasst und darin festgestellt, dass die Forschung zu dessen Person „bislang weitgehend unterblieben“ sei. Nach „derzeitigem Kenntnisstand“ sei Rössle aber wohl nur NS-belastet und nicht in „Verbrechen der Medizin im Nationalsozialismus verwickelt“. Daher empfahl Beddies damals, statt einer Umbenennung „an geeigneter Stelle und gut wahrnehmbar“ eine Informationsstele über Rössle zu seinen Taten im NS anzubringen.
Inzwischen hat er seine Position revidiert. Denn Linz hat seither – angespornt von Beddies’ erster Einschätzung – viel in den Archiven gegraben, um die angesprochenen Forschungslücken zu schließen. So sagt Beddies nun: „Frau Linz hat neue (und alte) Erkenntnisse zusammengetragen, die es aus meiner Sicht in der Summe gerechtfertigt erscheinen lassen, den Straßennamen zu ändern.“
Allerdings gibt er zu bedenken, dass eine Beibehaltung des Namens plus kritische Informationen „im Sinne einer lebendigen Erinnerungs- und Mahnkultur“ womöglich klüger wäre. „Fälle wie Rössle oder Ferdinand Sauerbruch mit ihren unterschiedlichen Graden der Verwicklung in die NS-Medizin geben uns Gelegenheit, im Unterricht mit den Medizinstudenten die ‚Grundlagen ärztlichen Denkens und Handelns‘ zu diskutieren.“
Steffen Lochow, Bürgerverein
Doch mit diesem Kompromiss kann Linz wenig anfangen. „Der Name Robert Rössle würde ja trotzdem weiter per Post in alle Welt getragen“, erwidert sie – eine Informationsstelle würde allenfalls BesucherInnen vor Ort erreichen. Ihre Idee: Man sollte stattdessen den alten Namen Pappelweg wieder beleben.
Und der Bezirk? Dort versuche man die Sache auszusitzen, klagt sie. Im November 2015 wendet sie sich erstmals brieflich ans Bezirksamt Pankow – ganz so, wie man sich das zum Thema Bürgerbeteiligung vorstellt. Der zuständige Bezirksstadtrat Torsten Kühne (CDU) zeigt sich in seinem Antwortschreiben, das der taz vorliegt, „bestürzt“ und verspricht Nachforschungen durch den „Fachbereichsleiter für die bezirkliche Geschichtsarbeit“.
Dann hört Linz nichts mehr. Sie wendet sich an Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke), trifft ihn zum Gespräch. In Benns Erinnerung lief das Treffen so: Linz habe gefordert, dass das Bezirksamt „aufgrund Ihrer Recherchen unmittelbar tätig werden solle“. Dies habe er abgelehnt, denn Umbenennungen bräuchten „starke Gründe“ und müssten diskutiert werden. „Das dauert eben“, so Benn zur taz.
Was geht? Rechtlicher Rahmen für die Umbenennungen von Straßen sind die Ausführungsvorschriften (AV) zu Paragraf 5 des Berliner Straßengesetzes. Dort heißt es unter Artikel 2 Absatz 2, dass Umbenennungen zulässig sind zur Beseitigung von Straßennamen
– aus der NS-Zeit, „sofern die Straßen nach aktiven Gegnern der Demokratie und zugleich geistig-politischen Wegbereitern und Verfechtern der nationalsozialistischen Ideologie und Gewaltherrschaft“ benannt sind,
– oder „aus der Zeit von 1945 bis 1989“, sofern sie nach „Verfechtern der stalinistischen Gewaltherrschaft, des DDR-Regimes“ benannt sind,
– oder „aus der Zeit vor 1933, wenn diese nach heutigem Demokratieverständnis negativ belastet sind und die Beibehaltung nachhaltig dem Ansehen Berlins schaden würde“.
Wie geht das? Zuständig sind laut AV die „Bezirksverwaltungen“, sprich das Bezirksamt. Im Prinzip kann jede*r Bürger*in die Umbenennung einer Straße beantragen oder einen Namen für künftig zu benennende Straßen vorschlagen. Dies geschieht entweder beim Straßen- und Grünflächenamt oder über die Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Dort kann man eine Einwohneranfrage stellen, eine Petition einreichen oder einen Einwohnerantrag mit Unterschriftensammlung. Oder man überzeugt eine Fraktion, die den Antrag in die BVV einbringt. Inhaltlich wird sich meist der Kulturausschuss der BVV mit der Frage befassen und sich fachliche Expertise besorgen. Auch die Anwohner müssen zur Frage gehört werden. Am Ende entscheidet in der Regel die BVV. Das sei jedoch keine gesetzliche Vorgabe, sagt der Sprecher des Neuköllner Bezirksbürgermeisters. Das Bezirksamt könnte das auch alleine machen.
Linz hat jedenfalls den Eindruck, dass immer noch nichts passiert, und schreibt am 4. Februar 2017 eine Petition an die Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Im November 2017 schreibt ihr der BVV-Vorsteher Michael van der Meer bedauernd, leider sei ihre Eingabe noch nicht bearbeitet worden.
Beim Straßen- und Grünflächenamt (SGA) scheint man von alldem nichts zu wissen. Auf Nachfrage der taz erklärt eine Mitarbeiterin vor wenigen Tagen, am 20. Februar 2019 habe sich eine Bürgerin erstmals (sic!) an das SGA gewandt. „Daraufhin wurde der Umbenennungsvorgang eingeleitet.“ Sprich, der bereits erwähnte „Fachbereichsleiter“ für Geschichte sei um Stellungnahme gebeten worden – die er freilich schon drei Jahre zuvor auf Betreiben von Kühne hätte abgeben sollen.
Auch sonst habe sie bislang wenig Unterstützung bekommen, sagt Linz. Einzige Ausnahme: die Studierenden der Initiative GeDenkOrt.Charité. Die Gruppe engagiert sich auch für Straßenumbenennungen und hat darüber einen Film („Mit Geschichte leben“) gemacht, worin sie Linz zu Wort kommen lässt. Zudem haben die Studierenden die Rössle-Expertin im vorigen Sommer zu einem Vortrag an die Charité eingeladen.
Unter den Anliegern der Robert-Rössle-Straße, namentlich denen auf dem Campus, stößt die Initiative von Ute Linz dagegen nicht auf Begeisterung – im Gegenteil. Zwar, so erzählt sie, habe sie auch hier einen Vortrag halten dürfen, in einem der wichtigsten Institute dort, dem Max-Delbrück-Centrum (MDC). Dabei sei sie jedoch für ihr Vorhaben scharf kritisiert worden. „Ob das Rache an der DDR sei, wurde ich gefragt. Schließlich gebe es in Westberlin auch die Manfred-von-Richthofen-Straße!“
Gegenüber der taz gibt sich eine Sprecherin des MDC ebenfalls sehr zurückhaltend. Man sei als Anlieger nicht für die Änderung von Straßennamen zuständig. „Das ist eine politische Entscheidung und Aufgabe des Bezirks“, so die Sprecherin.
Deutlich positioniert – und zwar gegen Linz – hat sich inzwischen der Campus als Ganzes. Aufgeschreckt durch den Umbenennungsantrag, wurde eine „historische Kommission“ gegründet, die nach Auskunft des Campus-Geschäftsführers Ulrich Scheller aus den ehemaligen MDC-Wissenschaftlern Jens Reich, Detlef Ganten und Heinz Bielka besteht. Reich war in der Wendezeit engagiert im Neuen Forum, Ganten ist Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates der Charité.
Ein Teil des historischen Erbes
In ihrer Erklärung vom Dezember 2019 „empfehlen“ die Autoren dem Bezirk, den Straßennamen „zunächst beizubehalten“ und die „differenzierte, kritische und wissenschaftliche Auseinandersetzung“ mit Rössle fortzusetzen. Es gebe bislang keine Belege, sagen sie, dass Rössle aktiv in NS-Verbrechen verwickelt gewesen sei. In Richtung Linz fordert die Kommission, „dass die insinuierten oder behaupteten aktiven Handlungen Rössles etwa bei der ‚Euthanasie‘ von Patienten oder Versehrten oder bei verbrecherischen Menschenversuchen nachgewiesen werden“.
Unabhängig von Rössle zeigt sich die Kommission grundsätzlich kritisch gegenüber Straßenumbenennungen. „Nicht alle bekannten und geehrten Personen der Geschichte waren Helden; sie bleiben aber Teil unseres historischen Erbes und sollten nicht aus dem Gedächtnis verschwinden.“ Man solle sich vielmehr mit ihnen auseinandersetzen: „Elimination von Objekten und Umbenennungen bewirken das Gegenteil.“ Auch dürfe man historische Personen nicht mit heutigen moralischen Maßstäben messen, dies sei „unhistorisch“.
Der Campus Berlin-Buch, sagt dessen Geschäftsführer Scheller zur taz, schließe sich dieser Position „vorbehaltlos“ an. Auch die „allermeisten“ Bucher Bürger seien dieser Auffassung: Auf einer offenen Mitgliederversammlung des Bucher Bürgervereins am 12. Februar hätten bis auf einen Teilnehmer alle „ihre Stimme gegen eine Umbenennung der Straße abgegeben“.
Der Vorsitzende des Bürgervereins, Steffen Lochow, bestätigt, die anwesenden 22 Vereinsmitglieder und 24 Anwohner seien mehrheitlich „derzeit nicht für eine Umbenennung“. Man sehe das wie die Campus-Kommission: Zunächst sollten alle Fakten zu Rössle „neutral“ dargestellt, alle Argumente gehört werden. „Man ist heute oft vorschnell dabei, von Umbenennung zu reden, weil es gerade Mode ist“, findet er.
Wie geht es nun weiter? Ende März soll endlich das Gutachten des Fachbereichsleiters für Geschichte vorliegen. Im April könnte der Kulturausschuss über Rössle beraten und der BVV einen Vorschlag machen, wie weiter zu verfahren sei. Mit diesem Vorschlag würde er gerne, so Bürgermeister Benn, wieder nach Buch kommen und das Ergebnis mit den Anwohnern diskutieren. Schließlich sei auf einer im Dezember vom Bezirk organisierten Veranstaltung deutlich geworden, dass es „äußerst kontroverse Positionen“ zu den von Linz recherchierten Erkenntnissen und deren Einordnung gebe – auch von „renommierten und Nazisympathien unverdächtigen Menschen“ wie Reich und Ganten. „Ich habe gelernt, dass das Thema in Buch sehr emotional besetzt ist“, so Benn.
Linz hat keine große Hoffnung, ihr Ziel in absehbarer Zeit zu erreichen. Der ganze Gegenwind, die vielen Briefe, Gespräche und das Warten haben sie enttäuscht. „Ich bin vorsichtig geworden, die fünf Jahre sind sehr schnell um gewesen.“
Was sie dazu getrieben hat, an dem Thema dranzubleiben? „Ich bin Wissenschaftlerin mit Leib und Seele“, sagt sie. Doch es gebe auch einen persönlichen Grund: Ihre Großmutter Katharina von Keutz sei im Rahmen der Aktion T4 vergast worden. Dies habe sie erst vor etwa zehn Jahren herausgefunden, als sie „ein bisschen“ ihre Familiengeschichte recherchieren wollte, den Namen der Großmutter googelte und ihn auf einer Liste von Euthanasieopfern fand.
„Das wusste vorher niemand in unserer Familie“, erzählt sie. „Unsere Mutter hat nie über Großmutter geredet, sie war in einer fremden Familie aufgewachsen.“ Wie es ihre akribisch-wissenschaftliche Art ist, recherchierte Linz weiter und brachte – wie später bei Rössle – viel Unbekanntes zutage. Inklusive des einzigen Fotos ihrer Großmutter, das – stark wassergeschädigt – in deren Patientenakte im Bundesarchiv steckte.
Vielleicht deshalb ist Linz so stolz auf eine Postkarte, die sie bekam, nachdem vor zwei Jahren eine Berliner Zeitung erstmals über ihre Umbenennungsinitiative berichtet hatte. Damals, so erzählt sie, habe ihr ein Holocaustüberlebender geschrieben und ihr für ihr Engagement in puncto Robert Rössle gedankt. „Das ist für mich bis heute die schönste Anerkennung.“
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