Umstrittene Präventionskampagne: Hitler-Porno gegen Aids
Ein Werbespot der Kampagne "Aids ist ein Massenmörder" zeigt ein Hitler-Double beim Sex mit einer jungen Frau. Die Deutsche Aids-Hilfe ist entsetzt und fordert den sofortigen Stopp der Kampagne.
HAMBURG/BERLIN dpa/taz | Grün leuchten die Ziffern auf dem Radiowecker. Es ist 2:33 Uhr. Ein Paar schiebt sich in das beinahe dunkle Zimmer, knutscht, zieht sich gegenseitig aus. Die Frau lutscht am Finger des Mannes, er an ihren Brüsten. Der freizügige Videoclip ist nicht ganz jugendfrei, doch zumindest birgt er eine Überraschung: Denn der Mann, dessen Gesicht während der Sexszene nicht zu sehen ist, erhebt in der letzten Sequenz seinen Kopf und entpuppt sich als: Adolf Hitler.
Was das soll, wird spätestens dann klar, wenn die Worte "Aids ist ein Massenmörder" und "Schütz dich!" eingeblendet werden. Der Video-Spot gehört zu einer Kampagne, die die Hamburger Werbeagentur "das comitee" zusammen mit dem Verein Regenbogen (Saarbrücken) anlässlich des Welt-Aids-Tages konzipiert hat.
Ergänzend zum Hitler-Spot gibt es Plakate und Anzeigen mit dem immer gleichen Motiv: Junge Frauen beim Sex. Nicht nur mit Adolf Hitler, sondern auch mit Saddam Hussein oder Stalin. Alle Massenmörder dürfen mal ran.
Fest steht schon jetzt, dass die Initiatoren ihre gewünschte Aufmerksamkeit bekommen haben. Auch wenn sie bislang hauptsächlich negativ ausfällt.
Auf YouTube ist das Hitler-Video jedenfalls am Dienstagmittag von der Seite verschwunden. "Dieses Video wurde aufgrund eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen entfernt" steht stattdessen dort – ob es nun daran lag, dass der Clip allzu freizügig war oder der Aufschrei der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) und der Deutschen Aids-Stiftung einfach nur laut genug, blieb unklar.
Die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) hat jedenfalls den sofortigen Stopp der umstrittenen Kampagne gefordert. "Die Deutsche Aids-Hilfe verurteilt den Spot auf das Schärfste", sagte Carsten Schatz von der Deutschen Aids-Hilfe am Dienstag in Berlin. "Dieser widerliche Spot mit einem Adolf-Hitler-Imitator verhöhnt alle Opfer des Nationalsozialismus und setzt HIV-positive Menschen mit Massenmördern gleich."
Das äußerst provozierende Video setze auf dumpfe Angst. "Diese Kampagne schadet der HIV-Prävention, sie hat keine Botschaft, wie man sich vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen schützen kann", sagte Schatz. Er forderte die Medien und Kinobetreiber auf, diese Kampagne nicht auszustrahlen.
"Unser Appell geht auch an die Gesundheitspolitiker, sich von dieser Kampagne zu distanzieren. Dem Verein Regenbogen sollte die Gemeinnützigkeit aberkannt werden, da es hier offensichtlich um Panikmache auf dem Rücken von Menschen mit HIV und Aids geht", sagte Schatz. Die Aids-Hilfe prüfe auch rechtliche Schritte gegen den Verein.
"Wir wollen dem Virus ein Gesicht geben und nicht den Menschen, die HIV-positiv sind", sagte hingegen der Vorsitzende des Vereins Regenbogen, Jan Schwertner. Durch die mediale Reizüberflutung müssten die privaten Aids-Kampagnen zu provokanteren Mitteln greifen, um auf die Bedrohung durch Aids aufmerksam zu machen.
"Wir sind nicht der Meinung, dass wir die Menschen mit HIV damit angegriffen haben", sagte Schwertner. Er wolle die Kampagne nicht zurückziehen. "Im Moment sehe ich mich nicht dazu gezwungen."
Auch die Deutsche Aids-Stiftung verurteilt die visuelle Umsetzung der Kampagne. "Wer HIV-positive Menschen diskriminiert und die große Mehrheit der Bevölkerung verunsichert, gefährdet den bisherigen Erfolg der deutschen Präventionskampagnen", sagte Ulrich Heide vom Vorstand der Stiftung. Notwendig seien Spots, die über den Schutz vor HIV aufklären und für Solidarität mit den Betroffenen werben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden