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Umgangsformen in Schleswig-HolsteinLehrerverband belehrt Ministerin

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Weil Integrationkurse fehlen, regt Sozialministerin Aminata Touré an, Anforderungen an Kursleiter zu senken. Nun attakiert sie der Philologenverband.

Integrationskurse sind sehr gefragt. Hier üben zwei Teilnehmerinnen einen telefonischen Notruf Foto: Sven Hoppe/dpa

D aneben gegriffen hat der Philologenverband Schleswig-Holstein (PHV) in der Wortwahl: „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“, empfahl er der grünen Sozialministerin Aminata Touré. Ein Satz für arrogante Bildungsbürger: unangenehm, respektarm, auch wegen der Anrede des Schusters in zweiter Person.

Was war geschehen? Touré hatte vergangene Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung anlässlich des Flüchtlingsgipfels in Berlin den Mangel an Integrationskursen beklagt, in denen auch Deutsch gelehrt wird. Allein in Schleswig-Holstein fehlten fast 10.000 Plätze. „Der Bund muss seine Integrationskurse ausbauen und die Mindestanforderungen für die Lehrkräfte senken“, so die Ministerin.

Im Büro des Philologenverbandes, der sich die Gymnasiallehrer-Belange auf die Fahnen schreibt und durch Lobbyarbeit dazu beitrug, dass die auch weiter hübsch getrennt von Gemeinschaftsschullehrern studieren, reagierte man alarmiert. Touré wolle „die Mindestanforderungen an die berufliche Qualifikation für Lehrkräfte senken!“

Diese Verallgemeinerung auf „Lehrkräfte“ insgesamt gehörte in einem Schulaufsatz rot angekringelt und mit fünf bewertet. Denn dass es Touré nur um die Integrationskurse des Bundes geht und nicht um die Lehrerausbildung der Schulen, wird in der Pressemitteilung nicht richtig erklärt. Stattdessen wird in einem Ton, als drohe schon wieder der Untergang des Gymnasiums, gewarnt, dass Einwanderungsgesellschaften Bildungsanforderungen herunterfahren, um „Integration zu erleichtern“. Das dürfe Deutschland nicht, wolle es seine „führende Stellung“ behalten.

Es fehlt ein Kurs für Höflichkeit

Auch sei Touré ja gar nicht zuständig. Die Mindestanforderungen der Ausbildung für Lehrkräfte gehöre „eindeutig“ in das Ressort von Bildungsministerin Karin Prien (CDU), dann folgt der Satz mit Schusters Leisten. Nur dass für Integration nun mal Touré schon die richtige Fachministerin ist. Sie hatte ihr Abitur übrigens an einer Gemeinschaftsschule erworben und studierte in Kiel Politik und Französische Philologie. Und auch Prien hat kein Lehramt studiert, so wie es der PHV für eine, die mitreden will, vorgeblich verlangt.

Dafür findet Aminata Touré aber die passenden Worte für die Lage der Menschen, die auf ihren Integrationskurs warten: „Es geht nicht darum, Heinrich-Heine-Deutsch zu lernen, sondern die Grundzüge der deutschen Sprache.“ Womit sie recht hat. Als Kampffeld zur Verhinderung der Durchlässigkeit des Bildungssystems taugen Integrationskurse nicht. Hier ist Pragmatismus nötig. Derzeit ist Bedingung, dass Integrationslehrer Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache studierten oder ein anderes Lehramt mit spezieller Zusatzqualifikation.

„Die Ministerin plädiert dafür, hier künftig auch Personal einzusetzen, dass nicht zwingend einen Hochschulabschluss in Deutsch oder Germanistik besitzt, sondern möglicherweise in anderen Fächern“, sagt ihr Sprecher Patrick Tiede. Eventuell sei noch ein niedrigschwelligerer Ansatz möglich. „Das muss der Bund entscheiden.“

Ach ja. Vielleicht brauchen wir ein neues Kursformat für weiße Vertreter langjähriger Lehrerverbände: „Höflichkeit in der modernen Gesellschaft“. Kaija Kutter

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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3 Kommentare

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  • ALLES komplett überflüssig und vertane Zeit!



    Im größten Einwanderungsland der Welt -die USA- werden nur zwei Dinge von Migranten verlangt: bist und bleibst Du straffrei? Kannst Du für den Lebensunterhalt für Dich und ggf. Deiner Familie sorgen?

  • Das Niveau an deutschen Bildungseinrichtungen kennt seit Jahren nur eine Richtung: abwärts. Das gilt sowohl für Schüler bzw. Studenten als auch für die Lehrkräfte. Es ist doch klar, dass der Einsatz von Quereinsteigern immer nur eine Notlösung ist. Da gibt es nichts zu beschönigen. Es gibt leider auch weit und breit keine Strategie um in der Planung wieder vor die Welle zu kommen. Von daher ist der Ruf nach noch mehr Quereinsteigern ein alarmierendes Symptom. In der vorliegenden Diskussion geht es ausnahmsweise mal um eine Zuständigkeit des Bundes. Sonst sind ja für Bildungsfragen meist die Länder zuständig, die sich aber eher noch schlechter anstellen. Eine nachhaltige Strategie um das System insgesamt wieder leistungsfähiger zu machen, ist nicht zu erkennen. In der Zwischenzeit wird halt das Niveau abgesenkt; Einser-Inflation und so weiter... Das Prinzip ist jetzt eben auch bei den Integrationskursen angekommen. Also weiter abwärts.

  • 8G
    80851 (Profil gelöscht)

    Mehr Höflichkeit!



    Fordert die Zeitung, welche Polizisten im Zusammenhang mit Müll - zurückhaltend formuliert - charakterisierte.



    taz.de/Abschaffung...-Polizei/!5689584/