Umgang mit dem Kinderkriegen: Wenn alle Freundinnen schwanger werden
Irgendwann beginnt das Alter, in dem alle Kinder bekommen und man fürchtet, dass Freundschaften daran zerbrechen. Sie können daran aber auch wachsen.
Die Worte stehen für einen Moment schwerelos im Raum: Ich bin schwanger. Ein Lächeln huscht über das Gesicht der einen Freundin, die andere rührt mit gesenktem Blick in ihrem Kaffee. Wer als kinderlose Person diese Worte schon einmal von einer Freundin gehört hat, weiß, dass sich einiges zwischen ihnen verändern wird. Spontane Café-Dates werden zur Seltenheit, Gesprächsthemen verschieben sich, und die gemeinsame Zeit schrumpft.
Liefen beide Leben bisher mehr oder weniger parallel, wird die Zukunft nicht mehr selbstverständlich geteilt. Denn zwischen Geburtsvorbereitung und Kita-Suche rückt die Freundschaft schnell in den Hintergrund. Nicht aus böser Absicht, sondern weil das Leben in verschiedene Richtungen wächst.
Im Jahr 2024 könnte das bis zu 680.000-mal stattgefunden haben. So viele Kinder sind laut Schätzungen des Statistischen Bundesamts in Deutschland zur Welt gekommen. Das ist seit der deutschen Vereinigung der drittniedrigste Wert.
Eine Schwangerschaft ist auf individueller Ebene ein einschneidendes Ereignis für eine Freundschaft. Sie kennt keine Geburtenrate – dafür aber ein Geschlecht: „Das Kinderkriegen beeinflusst die Freundschaft zwischen Frauen stärker, weil es tief in ihre persönlichen, emotionalen und körperlichen Erfahrungen eingreift und sie in vielerlei Hinsicht verändert“, erklärt die Diplompsychologin Laura Ritthaler.
Eigener Kinderwunsch kann auch wachsen
Männer betreffe vor allem die Schwangerschaft weniger direkt und praktisch spürbar, sodass ihre Freundschaften sich in der Regel nicht auf die gleiche Weise und in gleicher Stärke veränderten. Während der Vater scheinbar regelmäßig die „Jungs“ im Biergarten trifft, müssen sich Mütter häufiger mal vormittags kurz vor Krippenschluss eine Stunde abzwacken, um Freund*innen zu sehen.
Auch wenn es im Moment der Verkündung nicht so scheint: Beide Freundinnen haben durchaus etwas gemeinsam. Sie fürchten um ihre Freundschaft. „Eine Person ohne Kinder kann die Sorge haben, dass sich Gespräche nur noch um das Baby drehen werden oder, dass ihre Lebensweise und ihre Unabhängigkeit plötzlich von ihrer schwangeren Freundin verurteilt wird“, sagt Laura Ritthaler. Die kinderlose Person steht damit vor der Aufgabe, sich und den eigenen Lebensentscheidungen treu zu bleiben.
Werden alle um einen herum schwanger, wächst der Druck. Niederländische Forscher*innen konnten in einer Studie zeigen: Je mehr Geburten im Umfeld, desto stärker wächst der eigene Kinderwunsch. Das kann unter Umständen verwirrend sein, vor allem wenn das Leben bisher ohne Kinder geplant wurde. Gleichzeitig kann die Schwangerschaft der Freundin auch belastend sein, beispielsweise wenn der eigene Kinderwunsch aus medizinischen Gründen unerfüllt bleibt.
Austausch ist wichtig
Auch Mutterschaft ist ein komplexes Thema: Neben gesundheitlichen und systemischen Risiken tragen Mütter Verantwortung. Dabei geht es darum, den eigenen Ansprüche zu genügen, aber auch den Erwartungen der Gesellschaft. „Viele Mütter haben oft Angst, nicht aufopferungsvoll genug zu sein. Gleichzeitig befürchten sie, sich in der sogenannten Mutterrolle zu verlieren, die eigenen Interessen, ‚Me-Time‘, Hobbys und eben auch Freundschaften aufgeben zu müssen“, erklärt Laura Ritthaler.
Damit vor Augen können kinderlose Personen die Reaktionen der Freundin und Mutter immer wieder im größeren Kontext einordnen. Das schaffe Empathie dafür, dass zum Beispiel Distanz nicht zwangsläufig eine Wertung der Freundschaft, sondern eine anderweitige Überforderung darstelle.
Laura Ritthaler ermutigt Freund*innen dazu, sehr offen über das Kinderkriegen zu sprechen, und zwar schon bevor die Wehen einsetzen. Was erwarten sie voneinander? Was ist das Minimum an Nähe, das beide brauchen, um in guter Verbindung zu bleiben? Welche Ängste, Hoffnungen und Vorfreuden haben die Freund*innen? „Emotionaler Austausch fördert die Bindung und die Bereitschaft zur Unterstützung in Freundschaften“, sagt Laura Ritthaler.
Besonders in männlichen Freundschaften Neuland
Eltern profitierten darüber hinaus davon, auch kinderlose Freund*innen an der veränderten Lebenssituation teilhaben zu lassen. Es könne sich lohnen, zu erklären, was die U3 und das Pucken seien oder dass die eigene Vergesslichkeit nach der Geburt auf eine Stilldemenz zurückgehe. All das könne insbesondere für männliche Freunde überraschendes Neuland sein, die bisher im Umfeld und privat noch keine allzu großen Berührungspunkte mit Schwangerschaften haben.
Gleichzeitig dürften aber auch Räume für gemeinsame Interessen nicht zu kurz kommen. Sei dies doch der Fall, müsse das auf die Tagesordnung gesetzt werden. „Ein respektvolles und effektives Gespräch zu führen, erfordert Achtsamkeit und ein paar grundlegende Kommunikationsprinzipien“, so Laura Ritthaler. Eines davon sei das aktive Zuhören. Dabei handelt es sich eigentlich um eine Methode zur psychotherapeutischen Gesprächsführung. Es gehe dabei darum, sich selbst bewusst zurückzunehmen, dem Gegenüber Raum und die volle Aufmerksamkeit zu geben.
Egal wie, es ist wichtig, dass solche Gespräche stattfinden. Denn gute Freundschaften verringern Studien zufolge beispielsweise das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen. Und auch gegen Isolation ist ein soziales Netzwerk wichtig. Laut dem Einsamkeitsbarometer des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zählen Alleinerziehende zu einer der mit am häufigsten betroffenen Gruppen.
Somit ist es auch im Interesse der werdenden Mutter, vor der Geburt über die gewünschte Entwicklung der Freundschaft zu sprechen. „Die Veränderungen in der Partnerschaft während und nach der Schwangerschaft können ebenfalls ein Thema sein, indem sich Freundinnen gegenseitig unterstützen können“, so Laura Ritthaler.
Ein ehrliches Gespräch braucht auch nach Jahren noch Mut – und den richtigen Moment. Zwischen unausgesprochenen Ängsten vor Veränderung liegt oft eine lange Pause, bis man sich dann freudig in den Armen liegt. Vielleicht wird es nicht mehr wie früher, vielleicht wird es anders. Doch solange gesprochen wird, kann die Freundschaft mitwachsen, statt leise zu verblassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationale Strafverfolgung
Ein Schlag gegen das Völkerrecht
Siegfried Unseld und die NSDAP
Der geheime Schuldmotor eines Verlegers
Solarenergie wächst exponentiell
Das Zeitalter der Sonne wird keiner mehr stoppen
Schwarz-rote Koalition
Als Kanzler muss sich Friedrich Merz verscholzen
Schwarz-rote Koalition
Was befürchtet wurde …
Pro-palästinensischer Aktivist
US-Gericht erlaubt Abschiebung von Mahmoud Khalil