Umgang mit Coronavirus in Berlin: Es geht weiterhin auch um Nuancen
Die Politik reagiere zu langsam in der Coronakrise, kritisieren viele pauschal. Sie verkennen dabei, dass manchmal Details einen Unterschied machen.
M ensch muss kein Hellseher oder Prophet sein um zu wissen, dass auch in Berlin in den nächsten Tagen eine Ausgangssperre kommen wird, wahrscheinlich sogar noch diese Woche. Ein Blick in andere große Städte und europäische Länder zeigt ja, welche Maßnahmen als nächstes auf der Agenda der VirusbekämpferInnen liegen.
Dass diese Sperre kommen wird, hat zu gewissen Teilen natürlich damit zu tun, dass die bisherigen Einschränkungen des Lebens durch den Berliner Senat nur ungenügend greifen, was die Wirkung auf die Zahl der Infizierten angeht. Was wiederum auch daran liegt, dass sie nicht konsequent an- und umgesetzt wurden. Dennoch greift es zu kurz, dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und seinen SenatorInnen Komplettversagen vorzuwerfen, wie das so manche Berliner Zeitung in den knapp zwei Wochen seit dem ersten Berliner Infizierten macht, und sich darin auch ein bisschen sonnt.
Denn klar ist: In den vergangenen zwei Wochen fuhr die Politik, fuhren auch viele Journalisten, Ärzte, Ökonomen auf Sicht, wie es so schön heißt. Manche Einschränkungen waren klug gedacht und gemacht, etwa die zeitige Schließung der großen Landestheater durch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) oder auch die durchaus radikale Schließung der Kneipen, die der Senat am Freitagabend angekündigt hatte.
Geradezu unsinnig war zugleich, die kleinen Theatersäle erstmal offen zu lassen oder die Restaurants pauschal von der Kneipenschließung auszuschließen. Im ersteren Fall hielt die Politik an einer fixen, aber eher willkürlichen Größe, in diesem Fall der Zuschauer, fest. Letzteres war wohl durch den Wunsch getrieben, dass die BerlinerInnen genug zu essen bekommen oder nicht allzu sehr erschrecken, wenn selbst ihr Stammitaliener um die Ecke dicht ist.
Allerdings sind bei vielen Restaurants die Grenzen zum Kneipenbetrieb fließend. Und die Tatsache, dass alle Cafés sich ebenfalls darunter zählen, führte dazu, dass am Sonntag bei bestem Wetter auf vielen Straßen und in den Parks eigentlich kein Unterschied zu Zeiten vor Corona festzustellen war – was wenig bis nichts zur gewünschten Wirkung beitrug, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Ganz abgesehen davon, dass das Kneipenverbot teilweise auch am Sonntag nicht gänzlich umgesetzt war und auch viele private Sportangebote noch offen waren: Die Bowlingbahn wurde so flugs zum Restaurant.
Alles viel zu spät und zu langsam?
Natürlich kann man immer sagen, alle Maßnahmen hätten viel früher und viel radikaler vom Senat und den Gesundheitsbehörden in den Bezirken angegangen werden müssen – insbesondere im Rückblick betrachtet. Das verkennt aber, wie einschneidend viele dieser Vorgaben für die meisten Menschen der Stadt waren: Auch sie fahren, was ihr Verhalten angeht, auf Sicht und sind nicht sofort über jede Veränderung der Lage informiert.
Zugleich ging es bei den Entscheidungen der Berliner Politik immer auch um die rechtliche Umsetzbarkeit und die Abwägung der Verhältnismäßigkeit. Der Gesundheitsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf Detlef Wagner, übrigens Mitglied der CDU, zuständig unter anderem für die Messe und das Olympiastadion, hat noch wenigen Tagen der taz gesagt: „Ich weiß noch aus meiner Zeit als Polizist: Den einfachen Weg zu gehen ist nicht immer der Weg, der dem Handeln nach Recht und Gesetz entspricht.“ Ein allzu brachiales Vorgehen wäre vielleicht deutlich weniger akzeptiert worden von den Menschen dieser Stadt. Und wer etwas nicht akzeptiert, tut sich noch schwerer damit.
Brachiale Schritte zu fordern ist in schweren Situationen meist das leichteste, es hilft der Profilierung als vermeintlicher Krisenmanager – das kennt man von der FDP und mancher (Boulevard-)Zeitung. Sie an- und durchzusetzen ist etwas ganz anderes.
Deswegen sollten wir Wagners Worte auch jetzt nicht vergessen, da die Vorgaben der Ausgangssperre definiert werden müssen. Sie ist in der aktuellen Lage so sinnvoll wie unvermeidlich. Raus sollte also nur noch, wer das unbedingt muss – vor allem zum Arbeiten und Einkaufen.
Auch die Spielplätze schließen?
Gleichzeitig sind viele Kinder wegen der geschlossenen Schulen und Kitas zu Hause und es ist unwahrscheinlich, dass nach Ostern das normale Bildungsleben wieder beginnt. Macht es also im Rahmen der Ausgangssperre Sinn, nach den landeseigenen Sportplätzen Parks und Spielplätze zu schließen? Und ließe sich das überhaupt kontrollieren?
Selbst Virologen meinen: Nein, es macht keinen Sinn. Kinder müssen raus, sie müssen sich bewegen, sie brauchen frische Luft, um ihr Immunsystem nach dem Winter wieder fit zu machen (das gilt übrigens auch für die Eltern). Wenn alle kränklich und zu Hause vor der Glotze irre und unausgeglichen werden, bringt das wenig. Zumal durch die Kinderbetreuung, die sich viele Eltern untereinander aufteilen, ja Sozialkontakte sowieso weiter bestehen.
Es sind Abwägungen und Nuancen wie diese, die auch in dieser existenziellen Situation weiterhin relevant sind; die nicht unter dem Verbotsrasenmäher verschwinden dürfen. Weil sie auch dazu beitragen, dass diese Stadt gemeinsam weiter funktioniert.
Irgendwie.
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