Umbau der „Neuen Westfälischen“: Eine Zeitung stirbt langsam
Ab April will die „Neue Westfälische“ kaum noch eigene überregionale Inhalte produzieren. Die Pressevielfalt in Deutschland leidet weiter.
Wohl schon ab dem zweiten Quartal 2024 will NW-Geschäftsführer Klaus Schrotthofer ganze Seiten aus Hannover und Berlin anliefern lassen – druckfertig konfektioniert vom RND. Die eigenen Redakteur:innen sollen nur noch auf zwei Regionalseiten und den Regionalsport vollständigen Einfluss haben. Von Madsack übernommen werden sollen ab April dagegen nicht nur die Seite 3, zwei Wirtschaftsseiten, die überregionale Kultur- und Sportberichterstattung sowie die Panorama-Seite, sondern selbst Teile der Seite 1 und der Kommentare.
Noch werden die in Bielefeld von der 2019 gegründeten Redaktionsgemeinschaft der ostwestfälisch-lippischen Verlage produziert – als fünftgrößtes Medienhaus in NRW und Platzhirsch in Ostwestfalen (OWL) liefert die Neue Westfälische ihren Mantel schon seit den sechziger Jahren an das Haller Kreisblatt und die Lippische Landeszeitung. Und seit vier Jahren bezieht auch das Mindener Tageblatt seine hinteren Seiten von der Redaktionsgemeinschaft.
Deren Gründung war 2019 noch als Bündelung regionaler Ressourcen, als „bedeutender Schritt zur Sicherung des Medienstandorts“ verkauft worden. Geliefert werde „Qualitätsjournalismus mit einem eigenständigen Blickwinkel aus OWL für OWL“, ließ sich NW-Herausgeber Schrotthofer zitieren. Dabei war die Neugründung schon damals offenbar in erster Linie eine Sparmaßnahme: Zumindest für ihre jüngeren, neu eingestellten Redakteur:innen gilt keine Tarifbindung.
Doch keine Stärkung des Lokaljournalismus
Auch der „eigenständige Blickwinkel“ spielt offenbar keine größere Rolle mehr. Die Redaktionsgemeinschaft OWL greife bei der Mantelteil-Produktion bereits „seit ihrem Bestehen u. a. auf Inhalte von Nachrichtenagenturen sowie des Berliner Korrespondentenbüros des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) zurück“, erklärt der NW-Geschäftsführer auf taz-Anfrage.
Allerdings: „Bei Bedarf werden diese Beiträge um eigene Inhalte ergänzt“, schreibt Klaus Schrotthofer, der von 2002 bis 2004 Sprecher des sozialdemokratischen Bundespräsidenten Johannes Rau war, in einer Mail. Denn noch wird in Bielefeld nicht nur festgelegt, welche Inhalte im Mantel stehen – die Redaktionsgemeinschaft greift auch auf freie Journalist:innen zurück, die etwa aus Berlin, Washington oder Rom Texte liefern und die stolz als „Korrespondenten“ präsentiert werden.
Ab April dagegen solle die wirtschaftlich starke Region Ostwestfalen, wo Konzerne wie der Lebensmittelriese Oetker, der Waschmaschinenhersteller Miele oder Mähdrescher-Weltmarktführer Claas ihren Sitz haben, mit einer inhaltlichen „Einheitssauce“ beliefert werden, kritisiert etwa Verdi-Gewerkschaftssekretär Daniel Hirschi. Denn durch Übernahme ganzer Seiten dürften sich in der Neuen Westfälischen bald die gleichen Inhalte finden wie etwa in der Hannoverschen Allgemeinen, der Leipziger Volkszeitung oder den Lübecker Nachrichten, die wie Dutzende andere Zeitungstitel auch vom RND beliefert werden.
Redakteur:innen soll nicht gekündigt werden
Dessen Ex-Chefredakteur Wolfgang Büchner, heute Vize-Sprecher der Bundesregierung, erklärte im taz-Interview schon 2018, dass sich Regionalzeitungen durch die Arbeit des RND ihre Mantelredaktionen sparen könnten – und stattdessen stärker auf Lokales setzen sollten. Heute argumentiert Schrotthofer genauso: Redakteur:innen, die ihren Job bei der Mantel-Redaktionsgemeinschaft verlieren, könnten doch künftig die NW-Lokalredaktionen verstärken.
Denn schon heute ist klar, dass massiv Stellen wegfallen werden. Der NW-Betriebsrat fürchtet eine „Halbierung“ der Personalstärke der Redaktionsgemeinschaft. Der dortige „Redaktionspool“ werde „von 21 auf 13, die Sportredaktion von 5 auf 3 Redakteurinnen und Redakteure verkleinert“, schreibt auch Schrotthofer in einer Mail an die Belegschaft. Zwar sollten keine Redakteur:innen gekündigt werden, erklärt er gegenüber der taz. Im „Bereich Layout/Grafik sowie Assistenz“ seien „betriebsbedingte Kündigungen in einer Größenordnung von zwei bis drei Stellen“ aber „nicht auszuschließen“.
Vertraglich festgeschrieben ist davon jedoch noch nichts. Nicht umsonst sollen bei der Verkündigung des RND-Deals am 15. November Tränen geflossen sein, nicht umsonst war bei einer Konferenz der Redaktionsgemeinschaft Ende November laut Protokoll „bei allen Kolleginnen und Kollegen eine massive Verunsicherung und Beängstigung vorhanden“ – und zudem eine „große Verärgerung“.
Völlig zu Recht habe der Betriebsrat auf regulären Sozialplanverhandlungen bestanden, sagt nicht nur Verdi-Gewerkschaftssekretär Daniel Hirschi. Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) warnt, dass betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden müssten. Am Ende werde sich „auch die SPD-eigene Medienholding ddvg als Eigentümerin der NW-Zeitungsgruppe nicht nur am Umgang mit den betroffenen Mitarbeiter:innen messen lassen müssen“, sagt der DJV-Geschäftsführer in NRW, Volkmar Kah, „sondern auch daran, ob es tatsächlich um eine Umstrukturierung zugunsten redaktioneller Ressourcen im Lokalen geht – oder doch um den Abbau journalistischer Stellen“.
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