Ukrainischer Soldat über den Krieg: „Ich kann an nichts anderes denken“

Als Russland die Ukraine angriff, meldete Volodimyr Dubyna sich für die Armee, wurde verwundet und kam nach Hamburg. Ein Gespräch über Krieg und Reue.

Volodimyr Dubyna steht vor einer Backsteinwand.

Gesundheit, Heimat und Familie verloren: Volodimyr Dubyna, Soldat aus der Ukraine, ist in Hamburg gestrandet Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Dubyna, erinnern Sie sich noch daran, wie Sie das Jahresende 2021 verbracht haben?

Ja, es war das letzte Weihnachten und Neujahr vor dem Krieg. Ich war in Dnipro bei meiner Frau und meinen beiden Kindern. Damals waren sie noch acht und drei Jahre alt. Wir sind Schlittschuhlaufen gegangen und haben gut gegessen. Es lag sehr viel Schnee. Wunderschön!

Knapp zwei Monate später hat Russland seinen erweiterten Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen.

Als der Krieg ausbrach, konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich hätte am nächsten Tag eigentlich eine Geschäftsreise nach Kyiv machen müssen, aber habe sie spontan abgesagt und mich stattdessen als Freiwilliger für die Armee gemeldet. Am Anfang habe ich in Dnipro geholfen, Checkpoints zur Sicherung von Straßen und einem Damm aufzubauen. Nach kurzer Zeit habe ich die Nachricht erhalten, mich einer Einheit anschließen zu können, die neu gegründet wurde. Wir wurden für ein einmonatiges Training nach Tscherkassy geschickt. Danach wurden wir sofort an der Nulllinie zwischen Dnipro und Saporischschja stationiert, also direkt an der vordersten Front. Das war im April 2022.

Wie liefen Ihre Tage dort ab?

Volodimyr Dubyna 35, kommt aus Dnipro in der Ukraine, ist Automechaniker und war selbstständig in der Metallbranche. Als der Krieg ausbrach, meldete er sich als Freiwilliger für die Armee. Im Juli 2022 kam er als Kriegsverletzter zur Behandlung nach Hamburg. Seitdem lebt er hier in einer Unterkunft für Ukrainerinnen und Ukrainer in Bergedorf.

Es gab klare Abläufe und Aufgaben. Ich kann mich an sehr wenig Schlaf und sehr großen Hunger erinnern. Wir haben gezielt versucht, Witze über die Situation zu machen und sarkastisch zu sein, um es irgendwie zu ertragen. Wenn wir den Hunger nicht mehr ausgehalten haben, haben wir manchmal einen Hasen oder einen Fasan erlegt, und dann ein „Picknick“ gemacht. Ich habe viele Leichen gesehen. Wir durften sie nie anfassen, weil es sein konnte, dass sie vermint waren.

Dann kam der Tag, an dem Sie selbst schwer verletzt wurden. Erinnern Sie sich noch daran?

Ja, ich erinnere mich noch gut. Wir sind morgens zusammen von unserem Lager an die Front gefahren. Dort waren schon sehr heftige Kämpfe im Gange. Ich hatte eine spezielle Rolle, weil wir eine Waffe hatten, um Panzer zu zerstören. Um sie so präzise wie möglich einsetzen zu können, habe ich mit meinem Kommandeur abgesprochen, mit zwei Kameraden weit nach vorne in die Nähe der Panzer zu gehen. Auch wenn wir in einem Schützengraben waren, waren wir dort sehr exponiert. Wir wurden von einer Rakete getroffen. Mein einer Kamerad ist sofort gestorben, mein anderer hat sein Bein verloren. Ich habe alles bei vollem Bewusstsein erlebt und erst gar nicht bemerkt, dass auch ich schwer getroffen wurde. Ich habe keinen Schmerz gespürt und bin sogar noch zur Seite gekrochen. Dann habe ich gesehen, dass mein Arm nach hinten hing und überall Blut war. Mein gesamter Körper war voll mit Eisensplittern.

Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Wer sagt, dass er im Krieg keine Angst hat, lügt. Aber trotzdem hatte ich positive Gedanken und habe darauf vertraut, dass ich rauskommen würde. Ich habe weiter Raketen gehört. Irgendwann erkennst du am Klang, ob es russische oder ukrainische sind. Und ich habe gehört, wie mehr von ukrainischer Seite geschossen wurde und wir einen Gegenangriff starteten. Das gab mir Hoffnung.

Sie haben es tatsächlich rausgeschafft. Jetzt sitzen Sie in Hamburg. Wie ist das abgelaufen?

Ein Kamerad ist zu uns gekommen. Er hat dem Toten neben mir die Ausrüstung abgenommen und sie zum Schutz auf mich gelegt. Mit dem Gegenangriff der ukrainischen Seite hatten wir dann ein bisschen Ruhe und er hat uns an einen etwas geschützteren Ort gebracht. Von dort aus wurde ich mit einem Panzer zu einem sicheren Ort gefahren, an dem es auch medizinische Versorgung gab. Hier habe ich einige Erinnerungslücken. Nach meiner Evakuierung lag ich zwei Monate lang im Krankenhaus und konnte mich nicht bewegen. Besonders schwere medizinische Notfälle werden ins Ausland gebracht, in dieses Programm wurde auch ich eingestuft. Deshalb bin ich nach Hamburg gekommen.

Wie geht es Ihnen hier?

Ich bin sehr dankbar. Gesundheitlich habe ich viele Fortschritte gemacht; ich kann mich jetzt bewegen und laufen. Hier in Hamburg sind auch weitere Kriegsverletzte wie ich, mehrere von ihnen leben auch hier in Bergedorf. Ich tausche mich gerne mit ihnen aus. Eine große Unterstützung ist auch der Hamburger Verein Feine Ukraine. In dem Verein sind viele Ukrai­ne­r*in­nen aktiv, die schon lange in Deutschland leben und uns hier helfen können. Sie kümmern sich zum Beispiel darum, dass ich meine Behandlungen kommen. Außerdem organisieren sie psychologische Unterstützung, aber die will ich nicht. Ich engagiere mich gerne bei Feine Ukraine und fühle mich dadurch nicht ganz so nutzlos. Ich lerne Deutsch und hoffentlich kann ich bald arbeiten.

Mehr als 900 ukrainische Kriegsverletzte sind nach Angaben des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe seit dem 24. Februar 2022 nach Deutschland gekommen. 40 davon wurden nach Hamburg gebracht und hier behandelt.

Der Hamburger Verein Feine Ukraine begleitet diese Menschen. Der Verein wurde im Jahr 2011 gegründet und unterstützt seit 2014 ukrainische Kriegsverletzte, die zur Genesung nach Deutschland kommen.

Rund 180 Mitarbeiter und Ehrenamtliche sind für den Verein Feine Ukraine tätig. Mit einem Team aus rund 80 Personen organisiert der Verein medizinische Behandlungen, Seelsorge und Freizeitaktivitäten auf ukrainisch und russisch.

Also planen Sie damit, langfristig in Deutschland zu bleiben?

Ich kann mir meine Zukunft gerade nicht vorstellen und habe keine konkrete Perspektive dafür. Erst mal möchte ich gesund werden und meine Verletzungen auskurieren. Davon hängt alles ab. Ich kann mir ein langfristiges Leben in Deutschland vorstellen, allgemein gefällt es mir hier. Aber auch die Ukraine vermisse ich.

Haben Sie heute noch Kontakt zu Ihren Kameraden in der Ukraine?

Meine Einheit hatte zwölf Mitglieder. Von den ursprünglichen zwölf sind nur noch drei übrig, zu denen habe ich Kontakt. Die anderen sind gestorben oder so schwer verletzt, dass sie nicht mehr kämpfen können.

Und zu Ihrer Familie?

Zu meinen Kindern schon. Meine Frau und ich haben kaum Kontakt. Sie ist wütend darüber, dass ich freiwillig zur Armee gegangen bin und kann mir das nicht verzeihen. Sie möchte mit den Kindern in Dnipro bleiben, ich mache mir große Sorgen um sie.

Sie haben durch diesen Krieg alles verloren: Ihre Gesundheit, Ihre Familie und Ihre Heimat. Bereuen Sie es, als Freiwilliger in die Armee gegangen zu sein?

Nein. Ich würde es wieder tun. Wenn meine Verletzungen mich nicht daran hindern würden, würde ich auch jetzt wieder an die Front gehen. In meinem aktuellen Zustand bin ich dort leider eher eine Last als eine Hilfe. Aber ich versuche auch hier einen Beitrag zu leisten. Zum Beispiel repariere ich Autos, die Hilfsgüter in die Ukraine liefern oder sammle mit dem Verein Feine Ukraine Spenden. Gerade sterben im Krieg unsere besten und professionellsten Leute. Es kommen Männer nach, die keine militärische Ausbildung haben. Um das zu stoppen, ist auch Deutschland in der Verantwortung und muss der Ukraine weiter und mehr Ausrüstung liefern. Wenn wir aufhören zu kämpfen, gibt es keine Ukraine mehr. Und dann wird Russland sich immer weiter ausbreiten.

Haben Sie Freunde und Bekannte, die anders denken? Was sagen Sie zu ihnen?

Ja, solche Leute gibt es auch. Von denen, die sich freiwillig für die Armee gemeldet haben, fällt mir gerade niemand in meinem Umkreis ein, der es bereut. Hier in Hamburg habe ich aber Leute kennengelernt, die schon vor dem Krieg oder kurz danach ausgereist sind und die anders denken. Sie wollen nicht in der Armee kämpfen. Das akzeptiere ich und dazu sage ich ihnen nichts.

Wir sind jetzt am Ende des ersten vollen Kriegsjahres. Wenn Sie es sich wünschen könnten: Wie würden Sie das Jahresende 2024 am liebsten verbringen?

Solange die Ukraine angegriffen wird, kann ich nicht glücklich sein. Mein größter Wunsch ist deshalb eine befreite Ukraine. Dort würde ich gerne mit meinen Freunden und meiner Familie in Sicherheit leben.

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