Ukrainischer Fußball im Exil: Der FC Mariupol spielt in Brasilien
In Guarapuava spielt der örtliche Klub in den Trikots des Vereins aus der von Russland besetzten Stadt. Dessen Anlagen sind allesamt zerstört.
Die ukrainische Nationalhymne erklingt. Die Fans auf den Tribünen erheben sich. Dann wird die brasilianische Nationalhymne gespielt. Vor dem Anpfiff fassen sich die Spieler im Mittelkreis an den Händen und legen eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer des russisch-ukrainischen Krieges ein.
So beginnt in diesen Tagen ein Fußballspiel in der dritten Liga des Bundesstaates Paraná im Süden Brasiliens. Aus Solidarität mit dem ukrainischen Volk hat sich der Klub AA Batel für sechs Spiele eine neue Identität gegeben. Er tritt als FC Mariupol in den Farben und mit dem Logo des ukrainischen Klubs an, so hat es das Präsidium des brasilianischen Vereins beschlossen. Es ist dies eine Ehrerweisung an den Verein, dessen Aktivitäten durch den Angriff Russlands auf die Ukraine jäh gestoppt worden waren.
Diese ungewöhnliche Zusammenarbeit hat eine Vorgeschichte. Etwa drei Viertel der 52.000 Einwohner der Stadt Guarapuava haben ukrainische Wurzeln. Sie sind Nachkommen einer Einwanderungswelle, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Zehntausende Ukrainer nach Südamerika spülte.
Gegen das Vergessenwerden
Sie waren einer Einladung der Behörden Argentiniens, Brasiliens und Paraguays gefolgt, Ländereien für die landwirtschaftliche Nutzung zu erschließen. Der Bundesstaat Paraná liegt im Grenzgebiet der drei Staaten. In Guarapuava gibt es bis heute eine besonders aktive ukrainische Gemeinde. Sie folgte der Idee der Klubführung des FC Mariupol, den Klub von Südamerika aus zu unterstützen.
Ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine wollte der FC Mariupol den Namen des Klubs endlich wieder zurück ins Bewusstsein der Fans rücken. Die Mannschaft des Erstligisten kann aus nachvollziehbaren Gründen derzeit nicht an der Meisterschaft teilnehmen. Die Zugehörigkeit zur ersten Liga ist so lange ausgesetzt, bis nach einer möglichen Befreiung von der russischen Besatzung der Spielbetrieb in der Stadt wieder aufgenommen werden kann.
„2022 haben wir von der ukrainischen Premier League die Erlaubnis bekommen, die Saison 2022/2023 ausfallen zu lassen“, erläutert Andrij Sanin, der Vizepräsident des FC Mariupol. „Während dieser ganzen Zeit spielte die Mannschaft nicht, die Fans begannen, unsere Farben, unser Logo und unseren Namen zu vergessen“, sagt er. Vergessen zu werden, sei ein Albtraum für einen Fußballverein.
Dann erklärt er, wie es zur Zusammenarbeit mit AA Batel gekommen ist: „Wir wussten von ‚Little Ukraine‘ in Paraná und sind auf Batel zugegangen. Dessen Präsident fand unsere Idee gut, den Namen des FC Mariupol am Leben zu erhalten.“ Die Initiative #FCMariupolLives war geboren. Ihre Aktivitäten lassen sich unter diesem Hashtag in sozialen Medien verfolgen.
Alex Lopez, der Präsident von Batel schwärmt von der großen Identifikation der Fans mit dem FC Mariupol und deren Engagement für die ukrainische Community in der Region. Die Mannschaft sei der Stolz und die große Leidenschaft der geplagten ukrainischen Stadt. Er sagt: „Unsere Botschaft an die Welt ist Frieden und Unterstützung für den Kampf um die Souveränität der Ukraine.“
Und er glaubt an die Zukunft des FC Mariupol: „Es besteht kein Zweifel daran, dass der Verein die Menschen bald wieder an dem Ort begeistern wird, an den er gehört.“ Natürlich hat er auch nichts dagegen, dass die Spiele seiner Mannschaft in der ganzen Ukraine übertragen werden.
Zerstörte Infrastruktur
In Mariupol ist man gerührt von der Haltung der Brasilianer. „Dass ein Team am anderen Ende der Welt sich bereit erklärt hat, unseren Namen in dieser dunklen Zeit am Leben zu erhalten, ist ein Wunder. Es ist schwer zu erklären, wie viel uns das bedeutet“, sagt Mariupols Klub-Vize Sanin.
Die Kriegsverluste des FC Mariupol, erläutert er, belaufen sich auf umgerechnet mehr als 10 Millionen US-Dollar. Doch das sei keine endgültige Berechnung. Während der Belagerung von Mariupol vom Februar bis zum April 2022 haben russische Einheiten die Stadt beinahe ununterbrochen mit schweren Waffen bombardiert. Alle Sporteinrichtungen des Vereins – das Stadion, der Landesfußballstützpunkt, die Trainingsplätze, die Geschäftsstelle – wurden auf die eine oder andere Weise getroffen.
Klubvertreter hätten schon ein paar Mal heimlich die zerstörte Fußballinfrastruktur im besetzten Mariupol in Augenschein genommen. „Was wir gesehen haben, war völlige Verwahrlosung und Zerstörung“, sagt Sanin und berichtet vom Kluballtag in Kriegszeiten. „Wir haben eine kleine Arbeitsgruppe von Managern gebildet, die aus der besetzten Stadt fliehen konnten.“
Über ganz Europa seien sie verstreut. „Wir arbeiten online, um einen minimalen Betrieb aufrechtzuerhalten“, sagt er. Auch in der kommenden Saison wird kein Spielbetrieb möglich sein. Der Klub hat die gleiche Regelung wie für die laufende Spielzeit beantragt. Und dann? „Wir warten auf die Befreiung unserer Heimatstadt“, sagt Sanin.
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