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Ukrainische Medien im KriegMarathon gegen Propaganda

Der russische Angriffskrieg wirkt sich auf die Pressevielfalt in der Ukraine aus. Auch die ukrainische Regierung schränkt sie ein.

Die ­Journalistin Sofiia Moskalenko berichtet im ukrainischen Staats­fernsehen von der Front Foto: Ponds5/imago

Kyjiw taz | Drei Jahre Angriffskrieg machen sich auch in der ukrainischen Medienlandschaft bemerkbar. Das Land verliert immer mehr Medien, das zuvor vielfältige Angebot ist landesweit ausgedünnt.

Dadurch wird es immer schwerer, an Informationen zu kommen. Besonders in frontnahen Gebieten sind die Le­se­r*in­nen davon betroffen. Dort gibt es oft keine lokalen Print-Medien mehr und Online-Portale sind wegen häufig unterbrochener Internetverbindungen nur begrenzt erreichbar.

Aber nicht für jeden Verlust ist die angegriffene Infrastruktur verantwortlich, auch die Regierung trifft Entscheidungen, die die Medienvielfalt einschränken können: Seit dem 20. August 2021 ist das bekannte Nachrichtenportal strana.ua durch einen Entscheid des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats landesweit blockiert.

Auch bei den Nachrichten im Fernsehen haben Ukrai­ne­r*in­nen nur noch wenig Auswahl. Zu Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 hatten sich die sechs großen ukrainischen Fernsehsender zu einem gemeinsamen 24-Stunden-Nachrichtenprogramm zusammengetan. Mit dem sogenannten Telemarathon wollten sie der russischen Propaganda entgegenwirken. Seit Kriegsbeginn senden fast alle ukrainischen Sender das staatlich finanzierte Programm. Die Nachrichtensendung wird mit 37 Millionen Dollar Steuergeldern gefördert.

Doch inzwischen gibt es auch Stimmen gegen den Telemarathon. Es könne nicht sein, dass man auf allen großen Sendern ein und dieselbe Nachrichtensendung serviert bekomme, so die Kritik. Kleinere oppositionelle Kanäle sind seit der Einführung des Telemarathons aus dem digitalen Rundfunk weitgehend verbannt und nur noch online oder per Satellit erreichbar.

Doch die ukrainische Regierung bleibt bei ihrer Unterstützung des Telemarathons. Während das Kriegsrecht gilt, solle auch diese Nachrichtensendung weiter finanziert werden, sagte Kulturminister Mykola Tochytskyi. Die EU-Kommission kritisiert die staatliche Finanzierung und stellt infrage, ob der Telemarathon sich für den freien Meinungsaustausch eigne.

Rundfunk- und Fernsehrat nimmt Einfluss

Leonid Schtekel, bekannter Journalist aus Odessa und Chefredakteur von Odessa-Daily, hat unterschiedliche Einflussnahmen von verschiedenen ukrainischen Regierungen erlebt. Er ist seit den 1980er Jahren engagiert. Zu Sowjetzeiten geriet er mit dem KGB in Konflikt, weil er einen Film von Solidarność-Mitglied Andrzej Wajda zeigte. Zur Jahrtausendwende demonstrierte er gegen den korrupten ukrainischen Präsidenten Kutschma, war bei den Maidan-Protesten 2004 und 2005 sowie 2013 und 2014 dabei.

Das Hauptinstrument der Einflussnahme auf die Medien sei der Rundfunk- und Fernsehrat, sagt Schtekel. Der wurde nach dem Ende der Sowjetunion in den 1990er Jahren gegründet, seine Aufgabe ist die Zuteilung von Sendefrequenzen. Als 2002 Präsident Wiktor Janukowytsch an die Macht kam, ließ er hier seinen Einfluss spüren. Während er regierte, konnte man von diesem Rat nur Sendefrequenzen erhalten, wenn man seinem Umfeld angehörte.

Das sollte sich durch den Sieg des Maidan 2014 ändern. Doch als die Ukraine in den ersten Wahlen nach den Protesten Petro Poroschenko zum Präsidenten wählte, kamen neue Gesetze dazu. Mit seinem Amtsantritt habe der Nationale Rat für Fernsehen und Rundfunk auch inhaltlich Einfluss genommen, sagt Schtekel. Ab 2016 sei dieser Rat das Instrument geworden, mit dem Poroschenko das Verbot der russischen Sprache in Rundfunk und Fernsehen durchsetzte.

Schtekel war zu der Zeit Leiter eines kleinen Verlages und eines Nachrichtenportals, beide erschienen überwiegend russischsprachig. Nach den neuen Gesetzen mussten alle Veröffentlichungen nun auch auf Ukrainisch erscheinen. „Das machte den Betrieb untragbar – die Kosten für Übersetzungen waren gerade für kleinere Nachrichtenportale nicht erschwinglich“, erinnert sich Schtekel.

Ende 2020, inzwischen war Selenskyj Präsident, wurde das Mediengesetz neu verfasst. Doch die neue Fassung war so umstritten, dass der Gesetzentwurf lange nicht zur Abstimmung vorgelegt wurde. Auch Schtekel kämpfte dagegen, organisierte in Odessa Mahnwachen, 50 Jour­na­lis­t*in­nen unterschrieben einen Aufruf gegen das geplante Gesetz. In einer Rede vor dem ukrainischen Parlament warnte Schtekel vor dem Gesetzentwurf.

Mit dem Beginn der russischen Invasion waren allerdings Einigkeit und der Kampf gegen „Desinformation“ angesagt, so Schtekel. Und was Desinformation ist, entschieden nun staatliche Stellen. Im Dezember 2022 wurde das Gesetz verabschiedet und der Rat erhielt das Recht, zusätzlich auch Online-Seiten zu kontrollieren.

Russische Sprache bleibt für viele wichtig

Schtekel engagiert sich auch gegen die Umbenennung von Straßen mit russischen Namen und gegen den Abriss von Denkmälern. Gemeinsam mit 116 Prominenten unterzeichnete er einen offenen Brief an die Unesco, in dem er die Institution darum bat, sich in dieser Sache zu engagieren.

Für viele Ukrainer*innen, besonders in Odessa, bleibe die russische Sprache ein geschätzter Teil ihrer Kultur. „Die russische Sprache zu lieben, bedeutet keineswegs, Russland zu lieben. Man kann Russisch lieben und zugleich Putin hassen“, betont Schtekel. Das Tragische an den Umbenennungen sei, dass Bür­ge­r*in­nen nicht befragt würden, die Namensänderungen von oben angeordnet seien. Und dass auch viele Straßen betroffen seien, die Namen von Personen trugen, die ein kulturelles Symbol von Odessa seien.

Es schmerze ihn, dass ausgerechnet die Namen Alexander Puschkins, Isaak Babels und Wladimir Wysotzkis aus dem Stadtbild verschwinden sollten. Sein Unverständnis erklärt er so: „Babel wurde unter Stalin erschossen, Puschkin wegen seiner Kritik am Zaren nach Odessa verbannt, Ilja Ilf und Jewgeni Petrow machten sich in ihrer Literatur über die Sowjetunion lustig.“

Aktuell fürchtet Schtekel auch ein Verbot von Telegram. Das Chatprogramm sei zu einer der wenigen Plattformen geworden, auf der unabhängige Informationen verfügbar seien. Die Entwicklung könnte seiner Befürchtung recht geben. Seit Anfang November verbieten führende Universitäten die Nutzung von Telegram. Und ein neuer Gesetzentwurf sieht ein Verbot von Telegram in staatlichen Instituten vor.

Es sei nicht einfach, in der Ukraine oppositionelle Meinungen zu äußern, sagt Schtekel noch. „Augenblicklich erleben wir eine Einschüchterungskampagne gegen die, die sich gegen die Namensänderungen ausgesprochen haben.“ Nachdem er mit einigen Gleichgesinnten auf der Straße drei Protestaktionen durchgeführt habe, würden sie über Facebook mit Mord, Schlägen und Racheakten bedroht.

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5 Kommentare

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  • Auch hier möchte ich die TAZ loben. Seit ein paar Monaten werden vermehrt auch Artikel zu unangenehmen Themen zum Krieg in der Ukraine veröffentlicht. Es ist wichtig, dass Medien umfassend und differenziert berichten und nicht in Schwarz-weiß Berichterstattung berichten, da die Medien ja als Grundlage für die Meinungsbildung dienen. Kritische Berichterstattung steht übrigens in keinster Weise im Wiederspruch zur Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. Im Gegenteil sie kann sogar dazu führen sich solidarischer zu verhalten und besser auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen zu können.

  • Danke für diesen Artikel!



    Gerade wer für Pressefreiheit steht, sollte solche Entwicklungen im Auge behalten.



    Es ist völlig klar, dass die Zustände in Russland schlimm sind, die Freiheit ist nicht nur der Presse verloren gegangen.



    In der Berichterstattung bin ich allerdings schon verwundert, dass die Ukraine, entgegen der Tatsachen, stets als "lupenreine Demokratie" dargestellt wird.



    Schön, wenn (uns) zur Abwechslung mal die Augen geöffnet werden!

    • @Philippo1000:

      "...verwundert, dass die Ukraine, entgegen der Tatsachen, stets als "lupenreine Demokratie" dargestellt wird."



      Ich denke, dass dieser Spruch eher eine Replik auf Schröders Äußerungen über Russland darstellt und nicht auf die Goldwaage gelegt werden sollte.



      Es sollte eigentlich klar sein, dass die Ukraine durchaus gewisse Defizite aufweist, die sich im Krieg eher verschlechtern.



      Dass sie damit Russland gegenüber immer noch im Vorteil liegt, dürfte ebenso klar sein

      • @Encantado:

        Schön, dass meine Replik angekommen ist .



        Dass "klar sein sollte", dass es sich in der Ukraine eben derzeit nicht um eine Demokratie westlichen Standarts handelt, ist ein frommer Wunsch.



        Leider ist diese Kritik in unseren freien Medien selten.



        Noch seltener ist sie z.B. hier, in der kommune.



        Es herrscht die Meinung vor, dass gegen den Aggessor jedes Mittel recht sei.



        Das sehe ich etwas differenzierter.



        Wer als "Verteidiger der Demokratie" betrachtet werden will, sollte sie nicht von innen aushöhlen.

        • @Philippo1000:

          Sie basteln hier mal wieder an Pappkameraden.



          Dass die Ukraine von westlichen demokratischen Standards einiges entfernt ist, bestreitet hier niemand. (gilt im übrigen auch für manches Land in der EU.) Sie unterscheidet sich allerdings immer noch klar von der Putin-Diktatur mit ihrer allumfassenden Medienkontrolle. Dass die Ukrainer dies nicht haben wollen, sondern tatsächlich eine Demokratie westlichen Zuschnitts, haben sie beim Euro-Maidan ja deutlich gemacht.



          Aber nicht nur dafür verdienen sie unsere Unterstützung, sondern es geht hier um die Verteidigung eines souveränen Landes gegen einen Eroberungsfeldzug. Es gibt daher keinen Grund, der Ukraine unter Hinweis auf Demokratie-Defizite in den Rücken zu fallen. Und die Auswirkungen des von Russlands geführten hybriden Krieges und der damit verbundenen Desinformationkampagnen merken wir ja leider auch in Deutschland.