Ukrainepolitik in Deutschland: Im Notfall auch mit Soldaten
Das Übel bleibt und verlangt den Deutschen vielleicht sogar noch mehr ab, wenn die Waffen erst mal schweigen. Wir müssen der Ukraine beistehen.

D ie Debatte komme zu früh, heißt es aus Teilen der Koalition. Sie komme zu früh, heißt es aus Teilen der Opposition. Sie komme zu früh, stand auch auf der Titelseite der taz.
Die sogenannten Friedensbemühungen Donald Trumps haben die Frage europäischer Sicherheitsgarantien für die Ukraine auf die Tagesordnung gesetzt, Friedrich Merz hat eine Beteiligung der Bundeswehr in den Raum gestellt. Die Diskussion läuft – und mit ihr der Versuch, die Diskussion gleich wieder zu stoppen. Leider.
Klar: Es ist zu früh für eine Debatte im Klein-Klein, heruntergerechnet bis auf den letzten Panzergrenadier. Zu viele Fragen sind offen. Führt das, was der US-Präsident gerade veranstaltet, wirklich zu einem Friedensabkommen? Rückt Russland irgendwann von seinen Maximalforderungen ab, wird Putin echte Sicherheitsgarantien für die Ukraine jemals akzeptieren? Wann würde der Krieg überhaupt eingefroren, welchen Frontverlauf gilt es dann abzusichern?
Aber grundsätzlich aufzufächern, was ein Frieden in der Ukraine den Deutschen abverlangen würde – dafür ist es nicht zu früh. Im Gegenteil, diese Debatte kommt viel zu spät.

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Zukunft der unabhängigen Ukraine
Dabei war schon absehbar, wovon der Frieden eines Tages abhängt, als der Krieg noch nicht einmal begonnen hatte. Zentral sind nicht die hoch und runter diskutierten territorialen Fragen. Gebietsabtrennungen zugunsten Russlands wären zwar bitter – wegen der Menschenrechtslage in den besetzten Gebieten, des völkerrechtlichen Signals, der innenpolitischen Folgen für die Ukraine.
Grundsätzlicher ist aber die andere Frage: Wird die Ukraine dauerhaft als unabhängiger und souveräner Staat bestehen? Auf die Krim kann Kyjiw im schlimmsten Fall verzichten. Nicht aber auf die Sicherheit, dass Russland kein neuer und finaler Schlag gelingen wird, sei es Wochen oder Jahre nach einer Friedensvereinbarung.
Drei Szenarien sind möglich
Nur in drei Fällen könnte die Ukraine also ein Abkommen unterzeichnen: wenn Russland nachhaltig seine Angriffsfähigkeit oder seinen Angriffswillen verliert (wird kaum passieren), wenn der Westen ihr noch mehr Unterstützung entzieht und sie vor dem Kollaps steht (darf nicht passieren) oder wenn sie eben Sicherheitsgarantien erhält, die über die leeren Versprechen vergangener Abkommen hinausgehen und hart hinterlegt sind.
Solche Garantien sind in verschiedenen Formen denkbar. Keine ist perfekt, keine ist trivial, und in allen wäre Deutschland enorm gefordert. Wenn man es brutal herunterbricht, Schattierungen und Mischformen auslässt, geht es um zwei Varianten:
In der einen, auf die Merz anspielte, werden ausländische Truppen in der Ukraine stationiert. Im Ernstfall würden sie der ukrainischen Armee helfen, eine erneute Invasion zurückzuschlagen.
Glaubt man Fachleuten, ist eine sechsstellige Zahl von Soldat*innen nötig. Die USA scheiden auf eigenen Wunsch als Truppensteller weitgehend aus. Auf Soldat*innen aus Staaten wie Brasilien, Indien oder gar China wird sich die Ukraine nicht verlassen wollen. Ohne massive Beteiligung europäischer Armeen und damit auch der Bundeswehr geht es also nicht.
Heißt für Deutschland: hohe Kosten und ein Eskalationsrisiko, das noch greifbarer ist als heute. Der Krieg ist zwar eingefroren, aber wenn er doch wieder auftaut, wären deutsche Soldat*innen schnell mittendrin. Sie schössen auf Russen und Russen auf sie.
Selbstverteidigung der Ukraine
Die andere Variante: Die Ukraine verteidigt sich weiterhin mit dem eigenen Militär. In diesem Modell muss ihre Armee stark genug werden, um Russland abschrecken oder im Ernstfall zurückschlagen zu können.
Die Garantie besteht in einer erweiterten Hilfe bei der Aufrüstung – durch Geld, Waffen und Know-how. Auf die USA kann man auch hierbei nicht mehr zählen, gefordert ist also wieder Europa.
Was nicht mehr geht: der Ukraine bestimmte Waffen vorzuenthalten oder deren Reichweiten zu beschränken, damit sie sich bloß nicht zu gut verteidigen kann. Heißt unterm Strich also aus deutscher Sicht: Billig kommen wir auch in dieser Variante nicht weg, und das Risiko einer Eskalation ist fortan zwar etwas anders gelagert, verschwindet aber ebenfalls nicht.
Diese Konsequenzen für die Öffentlichkeit einmal konkret durchzudiskutieren, könnte mit einer verbreiteten Illusion Schluss machen: dass das Übel auf der Welt endlich wieder an den Deutschen vorbeiginge, wenn die da in der Ukraine einfach mit diesem Krieg aufhörten.
Das Gegenteil ist wahr. Das Übel bleibt und verlangt den Deutschen vielleicht sogar noch mehr ab, wenn die Waffen erst einmal schweigen. Wer sie mit dieser Erkenntnis erst überrascht, wenn die Frage der Sicherheitsgarantien ganz akut wird, sollte mit ihrer Akzeptanz eines deutschen Beitrags nicht rechnen.
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