Ukraine unter Raketenbeschuss: Heftigste Angriffe seit Kriegsbeginn

Russland hat vor allem Kyjiw und Charkiw mit Raketen beschossen. Selbst wenn die Luftabwehr sie erwischt, richten sie noch Schaden an.

Eine zerstörte Hausfassade nach einem Bombenangriff in Kiev

Ein Bewohner sucht in seiner Wohnung, die zerstört wurde, nach wichtigen Papieren und Dokumenten Foto: Nicolas Cleuet/Le Pictorium/imago

LUZK taz | Schwarzer Rauch, brennende Häuser, Sirenen, Rettungskräfte, die seit Tagen nicht mehr geschlafen haben, um die Trümmer zu beseitigen. Die Bilder aus Kyjiw, das gerade zwei der heftigsten Raketenangriffe seit Kriegsbeginn 2022 überstanden hat, erinnern an London nach den Luftangriffen durch die deutsche Nazidiktatur 1940 im Zweiten Weltkrieg.

Kyjiw und Charkiw waren zweimal – am 29. Dezember und am 2. Januar – nach Angaben des ukrainischen Militärs einem Rekordbeschuss ausgesetzt. Und auch zwischen den beiden Angriffen schickte das russische Militär jede Nacht 60 bis 90 Kampfdrohnen in die Ukraine, um deren Luftabwehr lahmzulegen.

Der Angriff vom 29. Dezember 2023 war der bisher größte Luftangriff auf die Ukraine während des Krieges. 158 Ziele beschoss das russische Militär. Der Angriff vom 2. Januar war der bisher größte mit Kinschal-Überschallraketen, die nur von zwei Flugabwehrsystemen abgeschossen werden können. Insgesamt wurden dabei 134 Ziele in der Ukraine mit russischen Raketen verschiedener Typen sowie iranischen Shahed-Drohnen beschossen.

Auch Charkiw hatte es in den letzten Tagen schwer. Die ost­ukrainische Stadt liegt quasi an der Grenze zu Russland, sodass S-300-Flugabwehrraketen das Zentrum der Millionenstadt innerhalb von Sekunden erreichen – genau das passierte am 2. Januar. Erst nach vier Explosionen ertönten die Sirenen des Luftalarms.

Herabfallende Trümmer

Die meisten Raketen über der Ukraine fängt mittlerweile die Luftabwehr ab. Das größte Problem sind herabstürzende Trümmer. Der Sprecher der Luftwaffe, Jurij Ihnat, erklärte, dass manchmal die Luftabwehr die russischen Raketen auch so trifft, dass der Sprengkopf nicht detoniert, sondern erst am Boden explodiert.

Das geschah zum Beispiel bei einem Gebäude im Kyjiwer Stadtbezirk Solomjanka. Herabfallende Trümmer setzten die oberen Stockwerke des Hauses in Brand. Am Abend nach dem Einschlag sammelten Freiwillige herumliegenden Müll ein und ersetzten die zerstörten Fenster durch Sperrholzplatten, um die Wärme im Haus zu halten. Ein Teil des Gebäudes wird wohl unbewohnbar bleiben. Derzeit prüfen Ingenieure, ob die Bewohner des Hauses zurückkönnen. Etwa 30 Familien leben temporär in Ausweichquartieren.

Am 2. Januar wurden fast 200 Ukrainer in Krankenhäuser eingeliefert, fünf Menschen starben. In Kyjiw starb durch russische Raketen eine 85-jährige Wirtschaftsprofessorin einer der angesehensten ukrainischen Hochschulen.

Dmytro Tuzov, ukrainischer Journalist

„Wichtig ist, dass wir uns nicht gegenseitig des Verrats verdächtigen“

Zwar versichert die russische Regierung weiterhin, ihre Armee beschieße ausschließlich militärische Ziele. Aber in der Ukraine nimmt niemand mehr solche Aussagen ernst. Trotzdem wurden tatsächlich auch einige Objekte militärischer Infrastruktur zerstört. Die Firma M-Tas meldete Schäden an seiner Produktion von Armeebekleidung. Eine Rakete traf eine Werkstatt des Militärs, in der unbemannte Luftfahrzeuge repariert wurden.

„Nicht in Paranoia verfallen“

Der Journalist Dmytro Tuzov im ukrainischen Rundfunk: „Wenn Russland die ukrainische Industrie mit Raketen beschießt, die pro Stück einige Million Dollar kosten, bedeutet das, dass die feindlichen Informanten äußerst effektiv arbeiten. Wichtig ist, dass wir nicht in Paranoia verfallen und uns nicht gegenseitig des Verrats verdächtigen. Aber wir müssen uns das Ausmaß der Bedrohung bewusst machen und aufmerksam bleiben.“

Währenddessen hat der ukrainische Sicherheitsdienst Webcams abgeschaltet, die die Luftabwehrmaßnahmen in Kyjiw aufgezeichnet hatten. Es hatte sich herausgestellt, dass zwei der Onlinekameras von russischen Spezialdiensten gehackt worden, um das ukrainische Militär auszuspionieren.

Aus dem Ukrainischen: Gaby ­Coldewey

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