Uhrmacherhäusl-Prozess in München: „Er wollte das Maximale raushauen“

Der Abriss eines denkmalgeschützten Gebäudes schockierte München. Nun steht der Besitzer vor Gericht. Er soll die Zerstörung beauftragt haben.

Ein beschädigtes Friedhofskreuz mit der Aufschrift ·unvergessen· steht in einer Häuserlücke

Absichtliche Zerstörung? Auf dem Müncher Immobilienmarkt wird mit allen Mitteln gekämpft Foto: Mathias Balk/dpa

MÜNCHEN taz | Der Sitzungssaal A 101 scheint etwas überdimensioniert in Anbetracht der doch sehr überschaubaren Anzahl an Prozessbeteiligten und Zuschauern. Mit Blick auf die Symbolträchtigkeit des Verfahrens könnte der größte Saal im Münchner Justizgebäude aber vielleicht doch genau der richtige sein. Schließlich geht es letztlich um die Frage, mit welch harten Bandagen mittlerweile auf dem Münchner Immobilienmarkt gekämpft wird.

Hier in Saal A 101 also steuert nun das Verfahren um das mittlerweile in ganz München berühmt gewordene Uhrmacherhäusl in Giesing auf sein Ende zu. Am Montagvormittag hörte das Gericht noch zwei weitere Zeugen, die Licht in die Sache bringen sollten: Hat da einer aus reiner Profitgier ein denkmalgeschütztes Haus abreißen lassen, um dann mit neuen Wohnungen in der besten Lage den großen Reibach machen zu können?

Am Freitag, dem 1. September 2017, fuhr zwischen 16 und 16.15 Uhr ein Caterpillar-Bagger gegen das leerstehende Häuschen in der Oberen Grasstraße im Münchner Stadtteil Obergiesing. Viel Widerstand boten die alten Gemäuer nicht, innerhalb einer Viertelstunde war das Haus fast völlig niedergerissen. Der Fahrer rannte davon, den Bagger ließ er stehen. Schon am Vortag hatte es eine Baggerattacke auf das Haus gegeben, ein Loch war in die Mauer geschlagen worden, die Polizei hatte daraufhin Absperrband angebracht.

Verdacht lag auf der Hand

Ein Haufen aus zertrümmertem Mauerwerk, Holzbalken, Dachziegeln war alles, was von dem Haus übrig war, das dort rund 180 Jahre lang gestanden hatte. Eines der letzten nicht vollends gentrifizierten Fleckchen in der Stadt, in der Immobilienspekulanten ihr Unwesen treiben wie sonst kaum wo in Deutschland. Tags darauf schlossen sich die Anwohner zusammen, hängten große Banner auf mit Schriftzügen wie „Mit krimineller Energie ein Denkmal zerstört“. Auch die Landeshauptstadt schloss sich dem Protest an – und machte sich daran zu verhindern, dass der Hauseigentümer Andreas S. Profit aus der Zerstörung des Hauses schlagen würde.

Denn der Verdacht lag auf der Hand, dass S., Betreiber eines Handwerksbetriebs aus dem Münchner Umland, hinter der Aktion stand – um dort neu zu bauen, drei- oder vierstöckig. Da würden einige Eigentumswohnungen reinpassen, die man zu höchsten Preisen verkaufen könnte. S. soll das Haus im Jahr zuvor für 650.000 Euro gekauft haben. Klingt nach wenig für Münchner Verhältnisse. Allerdings war das Haus sanierungsbedürftig, denkmalgeschützt, bewohnt und klein. Die Stadt München, die das Vorkaufsrecht hatte, habe denn auch gleich wegen Größe und Zustand des Hauses abgewinkt, wie der als Zeuge geladene Voreigentümer am Montag dem Gericht erzählte.

So sei das Haus selbst für einen Eigentümer kein gewinnversprechendes Objekt gewesen, sagte der vorherige Eigentümer aus. Er habe das Gebäude vor wenigen Jahren von seinem Onkel geerbt, der noch selbst darin gewohnt und die übrigen drei Wohnungen vermietet habe. Das Haus sei eine Bruchbude gewesen, erzählte der Mann, er habe sich außer Stande gesehen, sie zu sanieren. Als ihm ein Bekannter von einem eventuellen Kaufinteressenten berichtete, habe er sich daher sehr gefreut: „Ich war froh, dass jemand diese Hütte nimmt.“ Es habe dann zwar noch andere Gebote gegeben, aber das von S. sei das höchste gewesen: 460.000 Euro. Als ihm der Richter vorhält, bisher sei man von 650.000 Euro ausgegangen, meint der Zeuge allerdings, das sei auch möglich, er müsse noch mal in seinen Kontoauszügen nachsehen.

Gute Laune beim Prozess

Der 44-jährige Andreas S., ist nun gemeinsam mit dem damaligen Baggerfahrer, dem 51-jährigen Cüneyt C., wegen „gemeinschädlicher Sachbeschädigung“ sowie Beihilfe dazu angeklagt. S. wird zudem beschuldigt, die letzten verbliebenen Mieter des Hauses rausgeekelt zu haben, indem er etwa im Winter die Haustür ausgehängt und wegen der dann vereisten Leitung das Wasser und den Strom abgestellt habe. Damit konnte auch die Heizung nicht mehr betrieben werden.

S. ist ein schmächtiger Mann mit schnittiger Frisur. Immer wieder unterhält er sich während der ersten Prozesstage rege mit seinen beiden Verteidigern. Er wirkt gut gelaunt. Einmal fragt der Richter ihn: „Kichern Sie etwa, Herr S.?“ – „Nein, nein.“

Der ehemals bei S. angestellte Kundendienstmonteur Sebastian O. ist so etwas wie der Kronzeuge der Anklage. Nach seiner Aussage wurde das Uhrmacherhäusl zweifelsfrei aus Kalkül abgerissen. Während sich andere Beschäftigte der Firma unwissend geben, sagt O., dass er damals bei der Oberen Grasstraße „mehr oder weniger die rechte Hand“ seines Chefs gewesen sei. In der Firma sei bekannt gewesen, „dass es abgerissen werden soll“. Von S. selbst habe er erfahren, dass das Haus aber unter Denkmalschutz steht.

Zwar habe S. bei der Stadt die Sanierung beantragt. Dies sei aber nur geschehen, um den Abriss vorzubereiten, „ohne dass es auffällt“. S. habe ihm gesagt, dass er sich erkundigt hätte: Für einen illegalen Abriss würde man „maximal 150.000 Euro Strafe zahlen müssen“ und das sei die Sache wert. S. habe geplant, mehrstöckig zu bauen: „Er wollte das Maximalste raushauen.“

Die Version, die S. und der Baggerfahrer C. hingegen von ihren Anwälten über das Niederreißen mitteilen lassen, klingt wenig wahrscheinlich: S. habe sanieren wollen, doch aufgrund eines „psychischen Ausnahmezustands“ habe der Baggerfahrer die Häuser verwechselt. Eigentlich habe er ein Haus in Neuenstein bei Schwäbisch Hall abreißen sollen und nicht bemerkt, dass er sich in München befand. Eine damalige Geschäftspartnerin von C. hatte jedoch ausgesagt, auf der Baustelle in Neuenstein sei zu diesem Zeitpunkt gar nichts mehr abzureißen gewesen.

Die Verteidiger von S., das kündigten sie bereits an, werden dennoch auf kompletten Freispruch plädieren. Der Abriss sei ein Versehen gewesen. So stellten sie auch am Montag erneut einige Beweisanträge und forderten die Befragung weiterer Zeugen. So sollen Fotos des Hauses unmittelbar vor dem Abriss „Ungereimtheiten in der Hypothese der Staatsanwaltschaft“ belegen. So habe es dort Aktionen gegeben, die mit Blick auf einen geplanten Abriss überhaupt keinen Sinn ergäben. Zudem weckten die Bilder Zweifel an der Aussage des Hauptbelastungszeugen O., wonach es im Haus schon Vorbereitungen für den Abriss, nämlich Einschnitte in Ziegel und Dachbalken, gegeben habe. Weitere Zeugen sollen belegen, dass es Gespräche, in denen der Angeklagte C. gestanden haben soll, den Abriss gegen Bezahlung vorgenommen zu haben, so nie gegeben habe.

Immerhin nicht mit allem durchkommen

Sollten die Angeklagten das Uhrmacherhäusl aus kalter Berechnung niedergerissen haben, dürfte der Plan, damit das ganz große Geschäft zu machen, jedenfalls nicht aufgegangen sein. Die Stadt hat S. angewiesen, das Haus im Originalzustand wieder aufzubauen – eine Verfügung, die zwar vom Verwaltungsgericht gekippt, dann aber vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt wurde. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) forderte in der Abendzeitung bereits, es dürfe keine „Ausweitung der ursprünglichen Fläche geben, also keine zusätzlichen Räume im Keller, die über große Abgrabungen belichtet werden, und auch keine Erweiterung auf zwei Wohnungen“.

Somit dürften die Giesinger unabhängig von dem frühestens für Ende des Monats erwarteten Urteil nun zum einen ihr Uhrmacherhäusl – oder zumindest eine gute Nachbildung – zurückbekommen und zugleich die Genugtuung haben, dass Immobilienspekulanten nicht mit allem durchkommen. Vorausgesetzt zumindest, sie gehen so unprofessionell wie in diesem Fall vor.

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