: Überschreibungen
Martin Luther gegen Thomas Müntzer, Befriedungsstrategie gegen Vorschein der Revolution: Wie der Bauernkrieg von allen Seiten vereinnahmt wurde
Von Stefan Reinecke
Vielleicht ist kein Ereignis der deutschen Geschichte so gründlich vergessen, überschrieben, für eigene Zwecke benutzt worden wie der Bauernkrieg. Die Revolutionäre von 1848, die Arbeiterbewegung, die Nazis, die DDR, die Bundesrepublik, sie alle haben die Ereignisse nach eignen Bildern geformt, mal subtil, mal rustikal.
Der Aufstand der Bauern und Handwerker 1524/25 war die Urszene revolutionären Scheiterns. Es hatte schon zuvor Revolten gegeben, die von dem feudalen System niedergeschlagen wurden. 1524/5 kristallisierte sich etwas Neues heraus: Bewegungen, die lokal agierten, aber ein gemeinsames Programm vertraten.
Luther war für die Aufständischen von tragischer Bedeutung. Seine Schrift „Über die Freiheit des Christenmenschen“ (1520) war ein gedanklicher Funke der Revolte, sein Aufruf von 1525 an die Fürsten, die Bauern zu massakrieren, ein zentraler Schritt in Richtung Fusion der Reformation mit der Macht und deren Verstaatlichung.
Im 19. Jahrhundert wurde Luther zur Heldenfigur des deutschen Nationalismus modelliert, als der Deutsche, der mit der Bibelübersetzung die deutsche Sprache kodifizierte und gegen die (römische) Fremdherrschaft aufstand. „Der größte Deutsche unserer Geschichte ist Martin Luther“, so Adolf Hitler 1933.
Im kollektiven Gedächtnis
Thomas Müntzer der Radikale und Martin Luther der Moderate haben sich als Antipoden in das kollektive Gedächtnis eingraviert. Das ist eine vertraute historische Konstellation, wie Danton und Robespierre, Kerensky und Lenin, Ebert und Luxemburg.
Thomas Müntzer, ein Prediger mit polemischen Talent, war eine tragische, rätselhafte Figur, dessen messianischer Glaube an die Notwendigkeit der radikalen Umkehr sich unglücklich mit Unfähigkeit zur Realpolitik verband. Von Müntzer ist (wie Günter Vogler und Siegfried Bräuer dargelegt haben) nur wenig Biografisches bekannt. Müntzers übersichtliche Schriften sind von christlicher Mystik, hochfahrender Moral und revolutionärem Gleichheitsversprechen geprägt. Den Bauern wandte er sich erst zu, nachdem die Fürsten seine Lehre abgelehnt hatten. 1524/25 verschmolzen Müntzers religiöse Erlösungsideen mit dem sozialen Aufstand.
Die SED versuchte Müntzer als Anti-Luther und Schlüsselfigur einer spezifischen DDR-Nationalgeschichte zu inszenieren. Dafür wurde der Bauernaufstand als frühbürgerliche Revolution verstanden und der christliche Visionär Müntzer als Vorfahr von Karl Liebknecht. In einem 1987 im Militärverlag der DDR erschienenen Werk ist zu lesen, dass die DDR „die Erfüllung der Hoffnungen und Sehnsüchte der Akteure des Bauernkrieges“ sei. Die Idee, dass die Sehnsucht des evangelischen Mystikers Müntzer ausgerechnet die eher gottlose DDR war, ist eine auffällige retrospektive historische Verbiegung.
Davor war auch die bundesdeutsche Geschichtsschreibung nicht gefeit. Der Historiker Peter Bickle (über-)betonte, dass es in süddeutschen Gemeinden nach dem Bauernkrieg neue Kompromissbildungen zwischen Herrschern und Bauern gab. Die Revolution war gescheitert, aber die Reform erfolgreich – das war auch eine gefällige historische Rückspieglung bundesdeutschen Selbstverständnisses.
Zudem widersprach Bickle der These, dass der extrem blutige Rachefeldzug der Fürsten, der 100.000 Bauern das Leben kostete, die Grundlegung des deutschen Untertanengeistes gewesen sei. Auch das fügte sich in ein liberales bundesdeutsches Selbstbild.
Kreatives Missverständnis
Die intensive Instrumentalisierung des Bauernkriegs in der DDR produzierte nebenbei eines der kreativsten künstlerischen Missverständnisse des 20. Jahrhunderts in Deutschland: das Bauernkriegspanorama von Werner Tübke. Es steht im thüringischen Bad Frankenhausen, einem Ort der Niederlage der Bauernheere gegen die deutschen Fürsten, unweit des Ortes, an dem Müntzer vor 500 Jahren geköpft wurde. Es ist ein eindrucksvolles Monument, 18 Meter hoch, von der SED konzipiert als wuchtige Krönung des Bauernkriegsgedenkens.
Beeindruckend ist dieses Panoramagemälde nicht nur wegen des an die Renaissance erinnernden Malstils. Diese Rotunde ist ein Exempel dafür, wie ein Künstler die Zwänge politischer Auftragskunst unterläuft. Das Panorama bebildert das zyklische Weltbild der Bauernkriegszeit und ist schon damit ein Dementi des mechanischen Fortschrittsdenkens der SED. Tübkes Welttheater ist ein Totentanz, eine bildliche Versenkung in den Geist des 16. Jahrhunderts, ein geschichtspessimistisches Spektakel.
Eröffnet wurde es im September 1989, ein paar Monate später war die DDR Geschichte. Das ist ein ironisches Aperçu in der windungsreichen Nachgeschichte des Bauernkriegs.
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