Übers „Allahu akbar“-Rufen: Schrei nach Liebe
Wenn, wie in München, jemand „Allahu akbar“ ruft, denken alle gleich an Terror. Dabei könnte man den Spruch vom schlechten Image befreien.
Ob der „Barfuß-Killer“ von Grafing wirklich „Allahu akbar“ gerufen hat, bevor er losstach oder nicht viel mehr die hawaiianische Variante „Aloha akbar“, ist immer noch unklar. Ob der Mann bloß ein verwirrter Irrer und Ungläubiger ist oder Anhänger einer diffusen Religion von IS bis NSU, auch.
Die polizeiliche Verwirrtheitsvermutung gilt in Deutschland bisher in der Regel für Nazi-Messerstecher. Allein deshalb sollte man vorsichtig sein. Nur weil es heißt, der junge Mann sei schon mal in der Psychiatrie gewesen, heißt das noch lange nicht, dass er nicht auch schon mal bei den Nazis gewesen ist.
Vielleicht aber haben wir es bei dem Mörder von Grafing tatsächlich nur mit einem Irren zu tun, dessen Allahu-akbar-Ruf nur ein Hilferuf, ein Schrei nach Liebe und Aufmerksamkeit war. Denn der Allahu-akbar-Ruf ist der letzte Schrei unter denjenigen, die einfach nur auf sich aufmerksam machen wollen.
Es herrscht große Verwirrung, seit die Terroristen den normalsterblichen Muslimen ihren Slogan abgeknöpft haben. Empört und beleidigt sind nun Letztere darüber, dass nun alle, die Allahu akbar sagen, unter Terrorverdacht stehen. Linke können das gut verstehen. Auch die sind immer noch beleidigt und empört, dass Che Guevara als Werbeträger für Biotee „Mountain Harmony“, der Pyramiden-Beutel für 3,80 Euro das Stück, instrumentalisiert wurde.
Aber es ist nun mal so, dass Allahu akbar und Che Guevara nicht Allahu akbar™ oder Che Guevara™ heißt. Allahu akbar ist nicht als Waren- oder Dienstleistungsmarke registriert, auch wenn sich diverse islamische Staaten und islamistische Gangs und auch normalsterbliche Gläubige das gern wünschen. Jeder in Deutschland darf Allahu akbar oder Aloha akbar sagen, ohne damit rechnen zu müssen, wegen Markenrechtsverletzung vor Gericht gestellt zu werden.
Der Moschee-Wecker rief „Allahu akbar“
Eine Zeit lang wurde ich in Kreuzberg mit dem Ruf „Allahu akbar“ geweckt. Er kam aus einem Moschee-Wecker. Den hatte ich geschenkt bekommen, weil ich immer verschlief und man hoffte, ich würde dem Ruf des Muezzin nicht ignorieren können. Der Wecker wurde Teil der Hate Poetry, einer Show, in der Journalisten mit komischen Nachnamen rassistische Liebesbriefe vorlesen. Ich ließ die Plastikmoschee „Allahu akbar“ ins Mikrofon singen und erzählte, wie der Wecker paradoxerweise Gegenstand eines Textes über die Islamisierung Kreuzbergs in einem linken Szeneblatt wurde.
Anstatt über die Paranoia der Linken zu lachen, gab es unter den linken Zuschauern Empörung, weil ich als „Weiße“ die Muslime beleidigt hätte. Nun argumentierte ich, dass dieser Plastikwecker als solcher die Beleidigung ist. Nichts gegen einen ordentlichen Muezzin-Gesang aus einer ordentlichen Moschee. Aber dieser scheppernde, gieksende, krächzende Ton, der aus dem Gerät kommt, ist doch keines Propheten würdig. Derartige Erklärungen halfen nichts. Die Beleidigten blieben beleidigt.
Lektion: Es führt kein anderer Weg aus dieser Misere, als ständig und überall Allahu akbar zu rufen. Nur der inflationäre Gebrauch von Wörtern wie Revolution hat schließlich auch dazu geführt, dass irgendwann niemand mehr Revolution machen wollte, weil keiner mehr genau wusste, was das eigentlich sein soll.
Und so muss man auch mit Allahu akbar verfahren. Wenn in U-Bahnen, Banken und Supermärkten ständig der Handyklingelton „Allahu akbar“ zu hören wäre, würde niemand mehr gleich an Terroristen denken. Und niemand würde sich dazu gezwungen fühlen, sich sofort nach einem Teppich und nach Mekka umzuschauen, um das Gebet zu verrichten.
Wenn der Bademeister im Schwimmbad seine Ansagen mit Allahu akbar beenden würde, das Martinshorn der Polizei durch Allahu akbar ersetzt würde, es würde kein psychisch Verwirrter und kein Terrorist mehr auf die Idee kommen, die Trademark für sich zu beanspruchen, und kein Gläubiger könnte sich daran stören, dass jeder Zivilist nun statt „voll krass“ oder „Achtung, Achtung“ lieber „Gott ist groß“ ruft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter