Überraschende Wahlkampfoffensive: Rettet dieses Insekt die Grünen?
Pelzig, fleißig und süß: Bienen sind Sympathieträger. Das wollen sich die Grünen jetzt zunutze machen. Doch gibt es den Maja-Effekt tatsächlich?
„Warum grün wählen? Weil wir auch die parlamentarische Vertretung der Bienen sind“, twitterte Spitzenkandidat und Parteichef Cem Özdemir am Mittwochabend. Der Vorstoß auf dem Kurznachrichtendienst kam gut an – über 50 Nutzer retweeteten den Satz, über 120 gaben ihm ein Herzchen.
Katrin Göring-Eckardt legte am Donnerstag nach. „Wir gehen vom Menschen aus und haben die ganze Umwelt im Blick, natürlich auch die Bienen“, sagte sie der taz. „Artenschutz ist bei uns zu Hause.“ Özdemir und Göring-Eckardt geben den Ton an bei den Grünen. Sie führen die Partei als Spitzenkandidaten in den Bundestagswahlkampf und haben die Bienenstrategie offenbar sorgsam abgestimmt.
Der Klimawandel, Parasiten und Insektizide in der industrialisierten Landwirtschaft machen den Bienen in Deutschland zu schaffen. Die Grünen treibt einerseits die ehrliche Sorge um die Zukunft der possierlichen Immen um. Ihr Programm sieht deshalb relevante Verbesserungen für den Bienenschutz vor.
Süßer Honig, saftige Wiesen
Doch Özdemir und Göring-Eckardt erhoffen sich wohl auch einen Imagegewinn. Die im Kreuzfeuer stehenden Spitzenleute setzen darauf, dass die sensationellen Beliebtheitswerte der Biene auf sie abstrahlen. Der Plan könnte aufgehen: Süßer Honig, saftige Wiesen, sanftes Summen, wer denkt da noch an 7-Prozent-Umfragen?
Die Zeichentrickbiene Maja und ihr Freund Willi gelten selbst in ökobürgerlichen Milieus als irgendwie okaye Kinderbespaßung, und die Biene an sich findet eigentlich jeder klasse. Rettet die Grünen der Maja-Effekt?
Während Özdemir und Göring-Eckardt nachgesagt wird, zu glatt, zu beliebig und nicht kämpferisch genug aufzutreten, steht die Biene für einen urgrünen Kurs. Sie gehört weltweit zu den wichtigsten Bestäubern, setzt sich sich in Deutschland seit Jahrhunderten kompromisslos für die Umwelt ein und genießt allseits Respekt wegen ihres giftigen Wehrstachels. So gesehen ist sie die ideale Ergänzung des grünen Spitzenteams.
Die Biene ist zudem anschlussfähig in alle Richtungen. Einerseits trudelt sie von Blume zu Blume und verkörpert die locker-lässige Lebensart. Nicht ohne Grund twitterte Özdemir, wie man so sagt, mit einem Augenzwinkern: „Die Sache mit den Blumen und den Bienen sollte man nicht unterschätzen.“
Zartes Signal für Jamaika
Gleichzeitig sind viele Bienenarten schwarz-gelb, etwa die häufig vorkommende Wollbiene – sie tragen also die Farben der Liberalkonservativen. Der neue Coup der Grünen lässt sich deshalb durchaus als zarte Sympathiebekundung für eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen lesen.
Agrarwende: Mehr als die Hälfte der deutschen Fläche wird laut dem Umweltbundesamt landwirtschaftlich genutzt, ein Großteil von konventionell wirtschaftenden Bauern. Die Grünen fordern, den Ökolandbau deutlich auszuweiten und das vom Nachhaltigkeitsrat ausgegebene Ziel "20 Prozent Ökolandbau in 2020" einzuhalten. Außerdem will die Partei die Agrarförderung ändern. Bauern, die zum Beispiel artenreiche Wiesen oder Blühstreifen erhalten, bekämen mehr Geld.
Pestizide: Bienen und andere Insekten leiden unter den chemischen Substanzen, mit denen Landwirte Schädlinge und Unkraut bekämpfen. Die Grünen möchten ein wirksames Pestizidreduktionsprogramm auflegen. Dazu gehört eine schärfere Prüfung von Substanzen, bevor sie zugelassen werden. Kurzfristig müsse die Bundesregierung den Ausstieg aus der Nutzung der Neonicotinoide einläuten. Diese hochwirksamen Insektizide sind für Bienen besonders giftig. Die Grünen wollen ein umfassendes Verbot, das über EU-Vorschläge hinausgeht.
Beobachtung: Die Grünen möchten ein Wildbienenmonitoring aufbauen, um die Bestände genauer beobachten zu können. Während die Honigbienen-Bestände leicht steigen, weil immer mehr Menschen imkern, gibt es immer weniger Wildbienen. (us)
Die Bienenoffensive, das ist entscheidend für die regierungswilligen Grünen, funktioniert lagerübergreifend. „Die Bewahrung der Schöpfung ist ein Kernelement der Programmatik von CDU und CSU“, sagte Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin der Unions-Fraktion im Bundestag. Dazu, so Dött, gehörten auch die Bienen. Die fleißigen Tausendsassas könnten also als Türöffner für Schwarz-Grün funktionieren.
Auch bei den Naturschutzverbänden kommt die neue Schwerpunktsetzung gut an. „Gut, dass die Grünen das Thema auf die Tagesordnung setzen“, sagte Rüdiger Rosenthal, Sprecher des BUND. „Sie sollten dafür sorgen, dass es im Koalitionsvertrag einer neuen Regierung endlich einen wirksamen Bienenschutzplan gibt.“
Ihren Bienen-Schwerpunkt haben die Grünen offenbar von langer Hand geplant. Im April 2016 wurde ein Bienenstock im Reichstag aufgestellt – auf Anregung der Grünen. Harald Ebner, der sich in der Bundestagsfraktion um Bioökonomie kümmert, verteilte bereits im Wahlkampf 2013 Samentütchen mit dem Aufdruck: „Bienen würden Ebner wählen“. Ebner sagte: „Die Rechnung ist einfach: keine Bienen, keine Bestäubung, kein Obst und Gemüse.“
„Bienen sind einfach toll“
Die Grünen, die von allen gemocht werden wollen, leiden sehr darunter, wenn Journalisten böse über sie schreiben. Auch deshalb waren die vergangenen Wochen nicht einfach für Özdemir und Göring-Eckardt, alle Zeitungen druckten Abgesänge. Aber der Bienen-Coup hat das Zeug, den Trend zu drehen. Ein süßes Tierchen, ein Jahrhundertthema, ein Alleinstellungsmerkmal, das begeistert sogar kundige Journalisten.
Ulf Poschardt, liberaler Leitartikler der Welt, zeigte sich in einer ersten Reaktion auf Twitter angetan. „Cem Özdemir zu den Bienen hat mir gezeigt, was ich bei den Grünen so oft vermisse: Humor und Selbstironie.“ Auch die taz, die eigentlich immer etwas zu nörgeln hat, ist entzückt. „Die redaktionelle Unabhängigkeit ist für uns ein hohes Gut“, sagte Parlamentsbüroleiter Ulrich Schulte. „Aber Bienen sind einfach toll.“
Nur eine Frage bleibt offen: Wollen die Bienen eigentlich von den Grünen vertreten werden? Oder empfinden sie das Ganze als Ranwanze einer nervigen Bevormundungspartei? Im Berliner Regierungsviertel ließ sich am Donnerstag keine einzige Biene auftreiben, die zu einer Stellungnahme bereit war. Was ja auch schon wieder ein Alarmsignal ist.
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