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Überleben in Gaza„Während ich schreibe, schwirrt mir der Kopf vor Hunger“

Im Gazastreifen gibt es kaum noch Lebensmittel zu kaufen, Wasser ist ein Luxusgut geworden. Unser Autor in Gaza versucht, weiter zu überleben.

Jabalia, Gaza, 6. Mai: Umm Khaled hält gesiebtes Mehl, um Schimmel und Insekten zu entfernen, damit sie Brot für ihre Kinder backen kann Foto: Imad Haitham/epa

W ährend ich diese Zeilen schreibe, schwirrt mir der Kopf vor Hunger. Was wir essen, hat keinerlei Nährwert und lässt uns hungrig zurück. Seit Anfang März sind die Grenzübergänge gesperrt. Wir werden ausgehungert.

Während der Waffenruhe im Februar sind wir nach Hause zurückgekehrt. Unser Haus hat vier Etagen. Wir leben dort mit meinen Onkeln, jede Familie auf einem Stockwerk. Das Haus wurde teilweise zerstört. Wir haben versucht, es so gut wie möglich wieder aufzubauen. So wie auch unser eigenes Leben. Während wir uns gleichzeitig darum bemühen, an Wasser zu kommen.

Shuja'iyya, das Viertel von Gaza-Stadt, in dem wir leben, fühlte sich an wie eine Wüste. Die Straßen waren so staubig, dass man manchmal kaum noch etwas sehen konnte, besonders an heißen Tagen. Viele Häuser waren zerstört, die Wasserversorgung unterbrochen.

Um an Wasser zu kommen, sind wir damals täglich mit der Karre meines Vaters und Kanistern einen halben Kilometer zu einer Schule gelaufen, wo es noch welches gab. Nach Wochen hat die Verwaltung in Shuja'iyya eine Wasserleitung repariert, und einmal in der Woche hatten wir zu Hause plötzlich wieder Wasser.

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Ein Glücksmoment: Die Toilette zu benutzen

Wir haben sofort die Kanister befüllt und Wasser in einen 250-Liter-Tank im zweiten Stock gepumpt. Eine Woche später begann der Ramadan und der Krieg ging wieder los. Das Wasser kam jetzt zu merkwürdigen Tageszeiten, denn es wurde von der Besatzung kontrolliert. Manchmal kam es genau zum Fastenbrechen bei Sonnenuntergang, und wir ließen unser Essen stehen, um die Tanks zu befüllen.

Einmal gab es zwei Wochen lang gar kein Wasser. Wir stellten einen 1.000-Liter-Tank aufs Dach und ließen ihn von einem Tankwagen befüllen. Eine Füllung kostete 60 Dollar, aber es war die seltene Chance, so etwas wie fließendes Wasser zu Hause zu haben. Es war ein Glücksmoment: endlich wieder bequem zur Toilette gehen und sich waschen zu können. Aber schon bald hatten die Tankwagenfahrer Angst vor dem dauernden Beschuss – das war’s dann wieder mit dem Wasser.

Seitdem stehen wir wieder Schlange an Tankwagen. Doch es gibt auch viele Menschen, denen es viel schlechter geht. Viele Familien haben ihre Ernährer verloren, so dass Frauen, Kinder und alte Menschen mit Kanistern über lange Strecken Wasser tragen. Wir sehen, wie sie am Straßenrand vor Schwäche kollabieren.

Jeden Tag sammeln wir Brennholz zum Kochen, das wir auf Ruinengeländen sammeln, denn Gas gibt es keins mehr. Wenn wir nichts finden, müssen wir welches kaufen. Viele Menschen, die ihre Jobs verloren haben, sammeln Holz und verkaufen es auf der Straße. Wir kochen, was man auf dem Markt bekommt.

Man kommt kaum noch an Bargeld

Lebensmittel sind knapp – wir leben hauptsächlich von dem, was es noch an Reis, Nudeln und Konserven gibt. Straßenverkäufer und Ladeninhaber verkaufen noch ein paar Dinge. Man kann dort nur noch per Banking-App bezahlen, obwohl dann die Preise höher sind als auf dem Markt. Aber wegen der Bombardierungen haben die meisten Menschen kein Bargeld mehr. Um an Bargeld zu kommen, muss man zunächst Geld an Menschen überweisen, die noch welches haben. Die verlangen dann eine Provision von 40 Prozent. Das ist gerade die einzige Möglichkeit.

Tomaten kosten acht Dollar pro Kilo, Gurken und Auberginen sechs. Es gibt nur noch sehr wenig frisches Gemüse, und auch Dosengemüse ist sehr teuer. Eine Dose Favabohnen kostet 5 Dollar, ein Kilo Linsen vier. Die Preise sind von Händler zu Händler verschieden. Kinder verhungern, und das Risiko für schwere Krankheiten wächst täglich, viele Menschen sind dem Tod nahe.

Begriffe wie „Belagerung“ und ‚Hungersnot‘ werden ständig verwendet, aber sie beschreiben nicht das tägliche Leid und die harte Realität, die sich hinter diesen Begriffen verbirgt. Neulich haben zwei Verwandte von mir ihr Leben verloren, als sie versuchten, in ihr Haus in Shuja'iyya zurückzukehren. Sie wurden von der Besatzung getötet, als sie gerade Mehl aus ihrem Haus holten.

Als die Menschen das letzte Mal vertrieben wurden, konnten sie nicht alle ihre Habseligkeiten mitnehmen, auch keine Lebensmittelvorräte, weil sie es einfach nicht alles transportieren konnten und der Treibstoff knapp ist. Einige machen alle ihre Besorgungen zu Fuß, andere fahren mit Eselskarren. Einige wenige Autos fahren mit Diesel, andere mit Speiseöl, was die Ölknappheit noch verschlimmert. Einige Menschen riskieren, in ihre Häuser zurückzukehren, um Mehl oder andere Lebensmittel aus ihren Vorräten zu holen, einfach, weil sie so unter Hunger leiden. Aber nicht selten sterben sie, bevor sie mit dem Essen wieder bei ihren Familien sind.

Esam Hani Hajjaj (28) kommt aus Gaza-Stadt und ist Schriftsteller und Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch ist er innerhalb des Gazastreifens mehrfach geflohen.

Internationale Jour­na­lis­t*in­nen können seit Beginn des Kriegs nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der taz.

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