US-Regierung soll 1,2 Billionen einsparen: Sind die USA noch zu retten?
Ein "Supercommittee", das parteipolitisch paritätisch besetzt ist, soll gigantische Einsparungen für den US-Haushalt vorschlagen. Die Aussichten sind dürftig.
Whasington taz | "Persönlich habe ich großen Respekt vor jeden von Ihnen", sagt Erskine Bowles, "aber kollektiv befürchte ich, dass Sie versagen. Und dass Sie dem Land nicht gerecht werden." Der 66-Jährige ist als "Zeuge" geladen. Er spricht vor dem mächtigsten Komitee der Geschichte des US-Kongresses.
Das "Supercommittee" jongliert mit gigantischen Geldsummen. Bis zum 23. November - Thanksgiving, dem wichtigsten Familienfest im Kalender - soll es dem Kongress einen Vorschlag unterbreiten, der mindestens 1,2 Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren einspart.
Der "Zeuge" Bowles ist Geschäftsmann, demokratischer Politiker und Haushaltsexperte. Er spricht in einem großen ovalen Saal in einem Bürogebäude des US-Kongresses. An den Wänden des Saals hängen goldgerahmte Porträts von Männern. Vor ihm sitzen die zwölf Mitglieder des "Supercommittees", die über die US-Haushaltspolitik der Zukunft entscheiden sollen.
Das Komitee ist paritätisch besetzt: mit je sechs Mitgliedern aus Repräsentantenhaus und Senat und mit je sechs Mitgliedern aus demokratischer und republikanischer Partei; auch ein Afroamerikaner und ein Latino sind dabei.
Aber bei den Geschlechterverhältnissen hört die Gleichberechtigung schlagartig auf: Im "Supercommittee" sitzen elf Männer und eine einzige Frau, die demokratische Senatorin Patty Murray aus dem nordwestlichen Bundesstaat Washington.
"Mindestens 4 Billionen Dollar kürzen"
Die bloße Existenz des "Supercommittees" ist das Resultat eines Scheiterns: Im Hochsommer konnten sich die beiden Kammern des Kongresses nicht auf einen neuen Haushalt einigen. Sie bewilligten einen Übergangshaushalt und delegierten die Absprache über Einsparungen an das "Supercommittee". Falls diese Kommission sich nicht einigen kann, werden 1,2 Billionen Dollar im Rasenmäherprinzip gestrichen.
Schon bei seiner konstituierenden Sitzung im August kündigen mehrere Mitglieder, die der rechten Tea-Party-Bewegung nahestehen, ihr mögliches Veto an: für den Fall, dass auch Steuererhöhungen im abschließenden Vorschlag des Komitees enthalten sein könnten. Umgekehrt erklären demokratische Mitglieder, dass sie sozialen Einschnitten nur dann zustimmen würden, wenn auch Steuererhöhungen für SpitzenverdienerInnen kämen.
Damit ist der Ton vorgegeben. Zwei politische Glaubensrichtungen prallen aufeinander. Die zwölf Mitglieder tagen fast immer hinter verschlossenen Türen. Angeblich ist die Arbeit ohne Öffentlichkeit effizienter. Unter anderem erörtern sie tiefe Einschnitte in die Gesundheitsversorgung, die das Leben von Millionen einkommensschwachen US-AmerikanerInnen beeinflussen werden.
An diesem ersten Dienstag im November, drei Wochen vor Ablauf der Deadline, hält das "Supercommittee" seine fünfte öffentliche Sitzung ab. Vier ZeugInnen sind geladen. Neben Bowles sind es drei andere Washingtoner HaushaltsexpertInnen, die in früheren Kommissionen des Kongresses gearbeitet haben. Die wenigen Informationen, die bislang über die Arbeit des "Supercommittees" an die Öffentlichkeit gesickert sind, klingen nicht nach einer nahen Einigung.
Zeuge Bowles sagt dem Komitee, dass eine Kürzung von 1,2 Billionen Dollar viel zu wenig sei, um auch nur mittelfristig das US-Defizit zu senken. "Sie sollten mindestens 4 Billionen Dollar kürzen", rät er. Die anderen ZeugInnen stimmen ihm zu.
Seit Beginn der Arbeit des Komitees hat sich die Stimmung radikal geändert. Anders als im August steht jetzt nicht mehr das Defizit, sondern die soziale Ungleichheit im Vordergrund der Debatte. Dafür hat die Bewegung der "99 %" gesorgt.
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