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US-Ökonom über Griechenlandhilfe„Das Geld lieber direkt auszahlen“

Der US-Ökonom James Galbraith findet, Brüssel sollte bei der Griechenland-Hilfe die korrupte Verwaltung umgehen. Das werde die Arbeitslosigkeit senken.

Was würde sie mit dem Geld machen? Die Wirtschaft ankurbeln, sagt Galbraith. Bild: dpa
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Herr Galbraith, Sie fordern mehr Solidarität innerhalb Europas. Was meinen Sie damit?

James Galbraith: Deutschland fertigt sehr gute Maschinen und Fahrzeuge, die die Griechen gerne erwerben. Solche Erfolge sind nicht nur das Verdienst der gegenwärtigen Generation, denn der deutsche Vorsprung in Technik und Arbeitsorganisation hat einen langen Vorlauf. Die Griechen dagegen haben Pech, dass zwei ihrer stärksten Branchen – Schifffahrt und Tourismus – in der Wirtschaftskrise unter die Räder gerieten. Solidarität bedeutet, solche Zusammenhänge anzuerkennen. Es bedeutet auch, dass zusätzliches Geld in die ärmeren Staaten fließen muss.

Ist der Umfang der Hilfe nicht schon groß genug?

Die EU hat es immer als ihre Aufgabe betrachtet, den Abstand zwischen reichen und armen Staaten zu verringern. Früher gerieten die Mittel in Griechenland und anderen Ländern oft in die Hände von schlechten Verwaltungen. Jetzt könnte es der richtige Weg sein, diese Regierungen zu umgehen und Geld direkt an die Bevölkerung auszuzahlen. Dadurch stiege die Konsumnachfrage, die Wirtschaft hätte eine Chance, sich zu erholen.

Soll man Lastwagen mit Geldscheinen in die griechischen Dörfer schicken?

Die Europäer sollten darüber nachdenken, ein gemeinsames öffentliches System der sozialen Sicherung aufzubauen. Brüssel könnte die Mittel direkt auf die Konten der Privathaushalte in Griechenland und anderen Ländern überweisen – zuerst etwa an Arbeitslose und Rentner.

DER INTERVIEWTE

James K. Galbraith, 60, lehrt und forscht an der Universität von Austin, Texas. Er ist ein Verfechter linksliberaler, nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik -und Sohn des Ökonomen John Kenneth Galbraith, der schon US-Präsident John F. Kennedy beriet.

Die griechische Regierung wird nicht begeistert sein, wenn sie von Brüssel umgangen wird. Und die Bevölkerung in Holland, Finnland und Deutschland fragt sich schon heute: Wer kommt für diese Überweisungen auf?

Was würden Rentner in Griechenland oder Portugal mit ihrem zusätzlichem Geld anfangen, wenn man einen europäischen Mechanismus der sozialen Sicherung aufbaut? Sie würden etwa Pflegepersonal und andere Hilfskräfte beschäftigen. Dadurch sinkt die Arbeitslosigkeit, der Staat nimmt mehr Steuern ein. Die soziale Sicherung finanziert sich zum guten Teil selbst. Um das System zu starten, müssten allerdings zunächst Milliarden Euro an die Menschen in den südlichen EU-Staaten überwiesen werden. Sollten sich die deutschen Steuerzahlen darüber Sorgen machen? Nein, Deutschland pflegt damit auch die Märkte, auf denen es seine Autos verkauft.

Sie warnen vor der wachsenden sozialen Kluft innerhalb Europas. Warum?

Gegenwärtig versucht die Eurogruppe die Krise in den Griff zu bekommen, indem die verschuldeten Peripherie-Staaten ihre Staatsausgaben und sozialen Sicherungssysteme zusammenstreichen. Die daraus resultierende Verarmung fördert die Auswanderung in die wohlhabenden Staaten. Gerade die leistungsstarken Beschäftigten werden die verschuldeten Länder verlassen, wodurch die Qualität der öffentlichen Verwaltung und anderer Dienstleistungen dort noch weiter abnimmt. Dadurch steigt der Stress, der wegen des sinkenden Lebensstandards ohnehin schon hoch ist.

Das Ergebnis ist zunehmende Gewalt, vornehmlich gegen Immigranten. Denken Sie an die Partei „Goldene Morgenröte“ in Griechenland, die Einwanderer aus Nordafrika und dem Nahen Osten terrorisiert. Ein solcher Prozess kann sich sehr schnell ausbreiten und zum völligen Zusammenbruch einer staatlichen Ordnung führen.

Sie halten es für möglich, dass es in Europa erneut zu Ereignissen kommt, die den Zuständen im jugoslawischen Bürgerkrieg ähneln. Ist das nicht etwas übertrieben?

Man kann jetzt in Europa wieder Auflösungserscheinungen von Staaten beobachten. Sehen Sie sich Spanien an. Während der ökonomische Druck auf das Land steigt, will die reichste Region, Katalonien, aus der Nation aussteigen. Eine Ursache dafür ist die zunehmende Ungleichheit zwischen den Regionen des Landes. Jugoslawien war ebenfalls eine moderne Gesellschaft, die unter anderem unter großem ökonomischen Stress stand. Dieses Beispiel sollten sich die Europäer vor Augen halten.

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11 Kommentare

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  • KK
    Karl K

    @ … aus Unterhaching…hä?

     

    Was ne fitte Kappe.

    In so einem Kurzinterview mal eben

    die Striche ziehen, die Orientierungsbojen ausbringen

    für eine Abwendung vom WTO-La-Solaria et al. Kaputtsparen!

    Chapeau.

     

    Und dabei noch locker die ein oder andere

    insuffiziente Frage von Hannes Koch auspendeln.

    Das hat Stil.

    Die Mehrbegabten der taz auf diesem Problemfeld

    können gern die Fäden weiterverknüpfen.

    Immer gern gelesen.

  • K
    Kinnal

    Philippe Van Parijs, Mitglied von BIEN (Basic Income Earth Network) und Berater der EBI (Europäische Bürgerinitiative) für ein Grundeinkommen hat in diesem Zusammenhang die Idee formuliert, allen EU-Bürgern ein Grundeinkommen in Form einer »Eurodividende« auszuzahlen. Auch wenn diese anfangs nicht sehr hoch wäre (z.B. 400 Euro), so könnten viele ärmere Länder (Rumänien, Griechenland etc.) in Ruhe ihre Steuer- und Sozialsysteme reformieren, da die eigene Bevölkerung keine Angst vor dem wirtschaftlichen Absturz haben müsste (auch reichere Länder könnten – so gewollt – die Eurodividende nutzen, um die sozialen Sicherungssysteme zu modernisieren).

     

    Die Eurodividende wäre sofort einführbar, denn sie schreibt den einzelnen Mitgliedsländern nicht vor, wie man auf nationaler Ebene sein Sozialsystem organisiert (da darf Brüssel laut EU-Verträge nicht reinreden).

     

    http://www.youtube.com/watch?v=8McAdz6Tof0

  • M
    miri

    Der gute Mann glaubt also tatsächlich, dass die einfachen Griechen irgendwas bekommen? Armer Irrer. (Vulgo: US-Ökonom.) Ich wär ja auch dafür, statt der Buchgeld-Überweisungen an Griechenlands Gläubiger(-Banken) die gleichen Beträge in Geldscheinen an die RentnerInnen auszuteilen. Mal sehen, vielleicht tut sich da ja Weihnachten was. Das Christkind vielleicht... da glaubt der US-Ökonom bestimmt auch dran... oder wenn Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen...

  • OM
    Oh mein Gott!

    Der Hannes, der Umverteilungssozialist nun wieder.

     

    Hannes, wie wär's denn, wenn sich die lieben Griechen, statt zu demonstrieren und zu streiken, endlich mal an den Bau der Angel machen würden, um die Fischlein selber zu fangen, statt sie sich wieder und wieder auf dem Tablett servieren zu lassen?

     

     

     

    Eigenverantwortung statt Umverteilung!

  • KS
    Karl Sauer

    Die Öffentlichkeit wird überhaupt nicht richtig informiert. In Spanien wurden staatliche Suppenküchen eingerichtet. Der Ansturm ist so groß das die Guardia Civil Leute mit Gewalt abhalten müssen wenn nichts mehr da ist. Die Behindertenzentren werden mangels Geld einfach geschlossen und Behinderte nach Hause geschickt. All das kommt in keiner Zeitung hier. Es ist um Europa viel schlimmer bestellt als uns gesagt wird. Auch um Deutschland.

  • AM
    Andreas Müller

    Angesichts der katastrophalen Situation eines großen Teils der griechischen Bevölkerung, angesichts des Zusammenbruchs des öffentlichen Gesundheitssystems, aus dem die Pharmakonzerne buchstäblich Kapital schlagen, scheinen die menschenfreundlichen Vorschlägen Galbraiths auf den ersten Blick überzeugend. Bei näherer Betrachtung offenbaren sie jedoch die Begrenztheit, um nicht zu sagen die Borniertheit des linkskeynesianischen Programms. Es würde in diesem Falle nicht zu einer nachhaltigen Stärkung der Kaufkraft und mithin des Lebensstandards der Bevölkerung führen, sondern Griechenland auf Dauer von der Alimentierung durch die EU abhängig machen. Was Keynes von Anfang an übersah, dass die Wertschöpfung volkswirtschaftlich betrachtet eben nicht nur in der Schaffung irgendeiner zahlungsfähigen Nachfrage besteht, worunter dann auch das staatlich finanzierte Buddeln und anschließende Zuschütten von Erdlöchern zählt. Tatsächlich aber wird à la longue betrachtet unter den Bedingungen des Prinzips der Kapitalrentabilität nur dann eine Überwindung der Krise eintreten, wenn die so induzierte Nachfrage zur Investition von Kapitalgütern führt, die ihrerseits die Bedingungen der Profitabilität durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität nach sich ziehen. Aus diesem Grunde ist der Vorschlag von James Galbraith zwar gutgemeint, aber völlig untauglich zur Verbesserung der Lebensbedingungen der griechischen Bevölkerung. Womit sich wieder einmal bewahrheitet, dass 'gut gemeint' das Gegenteil von 'gut' ist.

  • SB
    Siegfried Bosch

    Was für ein altbekannter Blödsinn: Im Wesentlichen soll Deutschland seine Exporte einfach verschenken. Hier wird aber einfach übersehen, dass es für derlei Solidarität keinen Grund gibt: Wenn man Solidarität um der Solidarität willen will, soll er mit gutem Beispiel vorangehen und sein Geld den Griechen (den armen Leuten, nicht dem Staat und seinen Gläubigern und Bediensteten) geben; und er soll versuchen, die US-Regierung zu einem Solidaritätsakt zu bewegen. Sie würden damit ja nur ihre Exportmärkte pflegen oder sogar ausbauen! Das macht übrigens sogar mehr Sinn als wenn es D tut: Denn die USA haben ein Außenhandelsdefizit, benötigen also mehr Export.

    Die Griechen hatten übrigens nicht "Pech", sie haben sich ihre derzeitige Lage selbst zuzuschreiben: Wer ein Leistungsbilanzdefizit in der Höhe von ca. 10% des BIP zulässt und damit auf Kosten anderer lebt, hat kein Recht auf Perpetuierung dieser Situation. Deutschland hatte in der Krise übrigens noch mehr Pech, weil als (leider) exportabhängiges Land es einen sehr hohen Wirtschaftseinbruch hatte (sogar noch höher als G: 2008-09 gab es -5,1% in D und -3,1% in G). Griechenland hatte dabei übrigens keine Solidarität mit D, genauso wie das Jahrzehnt zuvor, als D EU-Nettozahler mit geringem Wachstum und G EU-Nettoempfänger mit hohem Wachstum war.

  • UP
    Ute Plass

    Ja, sehr gut, geht in Richtung solidarische Grundsicherung, sprich bedingungsloses Grundeinkommen für alle.

    Bei dem Galbraith-Vorschlag fehlt nur noch der Schritt, das Geld nicht nur an Arbeitslose und Rentner zu geben, schon alleine deshalb, weil das wieder zusätzlichen Verwaltungsaufwand und Korruptionsmöglichkeiten schafft.

  • GA
    Grüße aus GR

    Etwas vereinfacht und plakativ als Gesamtdarstellung, ein Punkt ist jedoch goldrichtig:

    Die korrupte Verwaltung umgehen.

    Diesen Schlüssel haben Brüssel und Deutschland nicht gefunden, wahrscheinlich interessiert es aber niemanden, wie es scheint. Angela Merkel wollte ihren Wunschkandidat als Premierminister in GR haben, den hat sie jetzt.

    Aber wie gesagt, zum Korrupten gehört der Korrumpierer, das Spiel kann sonst nicht gespielt werden. Bis jetzt sind beide im Spiel, beste Voraussetzungen für das Wohl aller Völker!

  • W
    Wolfgang

    Griechenlands Regierung und EU-Regierungen durchgeknallt!

     

    Nach Informationen ... hatten Spekulanten griechische Staatsanleihen (während der offiziellen Krise) zum Nennwert von 15. aufgekauft und nun, aktuell, an die greichische Regierung zum Preis von 30. verkauft. Ein fettes Plus von 100 Prozent, vor allem für die (internationalen, griechischen und europäischen) Spekulanten.

     

    Empfehlung

     

    Die werktätige griechische Bevölkerung sollte militärische Freiwilligenverbände aufstellen, und auch damit entschlossen gegen griechische und EU-Spekulanten und (schweizerische) Spekulanten-Oasen vorgehen!

     

    Es gibt keine friedliche Lösung im Interesse der griechischen und europäischen Bevölkerungsmehrheit!

     

    Trotz alledem!

  • AH
    Aus Haching

    Erste Frage: Bedeutet die Solidarität auch, dass Griechenland uns Geld zahlt, wenn Tourismus und Schiffsverkehr gut laufen? Kriege ich dann einen Rabatt auf meinen Kreta-Urlaub? Oder ist Solidarität eine Einbahnstraße?

     

    Zweite Frage: Wenn wir Geld nach Griechenland schicken sollen, damit die Griechen weiter deutsche Autos kaufen, wäre es dann nicht besser, das Geld gleich BMW/VW usw. bzw. den Mitarbeitern zu geben, und die Autos nicht zu produzieren? Oder mir Geld zu geben, damit ich ein deutsches Auto kaufen? Warum nicht den Menschen im Kongo allen einen Porsche hinstellen, die haben das nötiger als die Griechen?

     

    Dritte Frage: Wenn sich Sozialstaat (weitgehend) selbst finanziert, können wir je beliebig viel Geld umverteilen, oder? Jeder Arbeitslose kriegt eine Million im Jahr und kauft damit so viel ein, dass die Wirtschaft ganz von alleine läuft? Kann ich da auch mitmachen?

     

    Vierte Frage: Wenn die griechischen Probleme an der seit 2008 bestehenden Krise von Tourismus und Schiffsverkehr liegen, warum konnte Griechenland dann schon ab 2005 mit den Staatseinnahmen nicht mehr die Staatsausgaben plus Zinsen für die Staatsverschuldung decken (Primärdefizit)?

     

    Herr Galbraith ist Professor. Mir scheint, er wäre mit dem Betrieb einer Würstchenbude überfordert.