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US-Latinband Dos SantosGrenzüberschreitungen im Falsett

Die US-Latinband Dos Santos könnte mit ihrem dritten Album „City of Mirrors“ endlich ein größeres Publikum erreichen.

Die Chicagoer Band Dos Santos: Musikmix aus Mexiko, Panama und Puerto Rico Foto: Victor Duarte

Dass die geburtenschwachen Kartoffel-Almans sich irgendwann in naher Zukunft selbst abschaffen, frohlockte die taz („Raum ohne Volk“) bereits vor zehn Jahren. Die USA sind da schon weiter, und einen erheblichen Anteil daran haben die überall im Land lebenden Latinos. Zahlenmäßig sind sie inzwischen zur größten US‑Minderheit geworden, wobei Minderheit ein zunehmend unscharfer Begriff ist. Denn zusammen mit anderen Minderheiten werden die Hispanics bald schon die ­Mehrheit gegenüber den weißen US‑Amerikaner:innen ­bilden.

Kulturell angemessen spiegelt sich der Einfluss spanischsprachiger Menschen in den USA aber nur bedingt wider. Doch die Zeiten ändern sich allmählich. Dafür steht auch die Band Dos Santos aus Chicago: Mit ihrem dritten Album „City of Mirrors“ könnte die fünfköpfige Fusionband endlich ein größeres Publikum erreichen.

Anfang der Nullerjahre hatten es Chicano-Bands in der „Windy City“ am Michigansee noch schwerer – Bookerin Sandra Treviño erinnert sich im Stadtmagazin Chicago Reader an typische Reaktionen: „Latinrock? Was soll das sein? Spielen die etwa mit Maracas?“ – also mit Rumba-Rasseln.

Dabei leben auch in Chicago, dessen Großraum mehr als neun Millionen Menschen umfasst, viele Hispanics. Die nach New York und Los Angeles ­drittgrößte US-Stadt hat sogar die zweitgrößte mexikanische Community (nach East Los Angeles).

Das Album

Dos Santos: „City of Mirrors“ (International Anthem/Cargo)

Doch waren unter ihnen laut Dos-Santos-Leadsänger Alex E. Chávez lange nur bestimmte traditionelle Latinx-Stile wie Salsa und Mariachi populär und weniger jene, denen sich das Dos-Santos-Kollektiv vornehmlich verschrieben hat: Cumbia aus Kolumbien und Mexiko und Chicha, die psychedelischere, gitarrenlastige Cumbia-Schwester aus Peru. Dazu mischen Dos Santos stets noch mexikanische Folklore und gut abgehangene Einflüsse von Pop, Jazz und Rock – fertig ist die eigenwillige Klangmischung der Band.

Eröffnet wird „City of Mirrors“, das neue, von Elliot Bergman, auch bekannt als Hälfte des Popduos Wild Belle, produzierte Dos-Santos-Album mit „A Shot in the Dark“. Es ist ein Lied, das von einer unerwiderten Liebe handelt. Sänger Chávez trägt es – wie im mexikanischen Huapango-Stil üblich – im Falsett vor; zu traditionellen Einflüssen kommen hier für Dos Santos aber bisher ungewohnte elektronische Sounds hinzu und damit macht die Band sofort klar: Es geht also mitnichten um „authentische Klänge“.

Musik zwischen Hoffnung und Absurdität, Liebe und Einsamkeit, Euphorie und Trauer

Auch der titelgebende Song „City of Mirrors“ ist ein gebrochenes Liebeslied – in diesem Fall ist die Angebetete eine durch Hurricans und andere Katastrophen leidgeprüfte Insel: Puerto Rico, auf der Dos-Santos-Perkussionist Pete „Maestro“ Vale seine Wurzeln hat; einen „Ort der Schönheit und des Traumas“, nennt Chávez die Insel.

„Soledad“ ist währenddessen Cumbia-getrieben, „Cages and Palaces“ Merengue-artig und „A tu Lado“ („An deiner Seite“) erinnert mit seinem eingängigen Refrain an die baskisch-französischen Barden Manu Chao.

Abwechslungsreich und vielseitig

Insgesamt klingt die Musik auf „City of Mirros“ ausgesprochen ruhig, mit seinen 13, fast nur auf Spanisch gesungenen Songs ist das Album so abwechslungsreich und vielseitig wie die Einflüsse, die die fünf Musiker jeweils mit in die Band einbringen.

Während Schlagzeuger Daniel Villarreal-Carrillo aus Panama stammt, wo er beim Drummer der Reggaeton-Pioniere El General sein Handwerk lernte, ist Chávez aufgewachsen in Texas nahe der Grenze zu Mexiko, woher seine Familie kommt. Daher rührt sein Interesse an der rhythmisch komplexen Huapango-Musik, der sich Chávez auch als Anthropologe und Autor („Sounds of Crossing. Music, Migration, and the Aural Poetics of Huapango Arribeño“) nähert.

Die bereits vor der Coronapandemie begonnenen Kompositionen seien nachdenklich geworden, erklärt Chávez, die emotionale Bandbreite schwanke „zwischen Liebe und Einsamkeit, Hoffnung und Absurdität, Euphorie und Trauer“. Die Band setze sich in ihren Songs mit diesen Gegensätzen auseinander und überschreite sie, weil alle Bandmitglieder und ihre Familien selbst „Grenzen überschritten haben“.

Isolation und Entfremdung

Grenzen sind für Dos Santos darum „keine Metaphern“, sagt Chávez. „Wir selbst verkörpern die Grenzen.“ Diese Erfahrung macht auch die Musik des Albums aus. „Soledad“, „Cages and Palaces“ und „Lejos de ti“ („Weit weg von dir“) handeln von den Konflikten und Strapazen, die Mi­gran­t:In­nen auf dem Weg in die USA durchleben, und dem Gefühl von Isolation und Entfremdung fernab der Heimat.

In „Soledad“ („Einsamkeit“) greift Villarreal-Carrillo in Spoken-Word-Manier das Gedicht „Yo estoy enfermo de soledad“ des panamaischen Schriftstellers Ricardo Miró auf: „Ich bin krank vor Einsamkeit / Liebe die stillen, verlorenen Orte / Wo sie schlummernd ankommen / All die Geräusche der Stadt.“

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