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UN-Vertreter kritisiert MigrationspolitikGroße Koalition kontert

Ein Vertreter des UNHCR bemängelte in der taz die Obergrenze und die sogenannten „Anker“-Einrichtungen. CSU und SPD verteidigen sich jetzt.

Diese „Aufnahme- und Rückführungseinrichtung“ in Bamberg soll Vorbild der Anker-Zentren sein Foto: dpa

Berlin taz | Vertreter der Regierungsparteien haben die Kritik des UNHCR an der Flüchtlingspolitik der Großen Koalition zurückgewiesen. Dabei geht es vor allem um zwei Punkte, die Dominik Bartsch, neuer Deutschland-Repräsentant des UN-Flüchtlingshilfswerks, im Interview mit der taz bemängelt hatte: Laut Koalitionsvertrag sollen bestimmte Asylbewerber bis zum Abschluss ihres Verfahrens in Zukunft in zentralen, sogenannten „Anker“-Einrichtungen untergebracht werden.

Bartsch kritisierte, dass es in bestehenden Vorbildeinrichtungen in Bayern keine unabhängige Asylberatung gebe. Zur geplanten Begrenzung der Flüchtlingszahl auf 220.000 sagte Bartsch, im Völkerrecht sei „eine Obergrenze nicht vorgesehen“.

Die CSU-Politikerin Andrea Lindholz, Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, verteidigt die Zahl dagegen: Obergrenzen seien zulässig und aus ihrer Sicht auch geboten, sagte sie der taz. Die Genfer Flüchtlingskonvention verpflichte lediglich dazu, „die unmittelbare Einreise aus Krisengebieten zu gewähren“.

Im Koalitionsvertrag bekenne man sich zur humanitären Verpflichtungen, aber eben auch zur begrenzten Aufnahmefähigkeit Deutschlands, so Lindholz. Deshalb gelte: „Das Grundrecht auf Asyl muss nicht schrankenlos gewährt werden.“ Kritik an den „Anker“-Zentren wies Lindholz ebenso zurück: „Man sollte erst die Einrichtung der Zentren abwarten, bevor man reflexartig kritisiert.“ Im Koalitionsvertrag stehe, dass man unabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung gewährleisten wolle.

„Wichtiger Beitrag für die schnelle Integration“

Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, möchte zwar nicht von Obergrenzen sprechen. Er sagte der taz, die Zahlen würden lediglich einen „groben Rahmen für die dauerhafte Integrationsfähigkeit Deutschlands“ geben. Die „Anker“-Zentren hält Lischka dagegen wie Lindholz für eine Möglichkeit, „die Aufnahme und Identifikation von Flüchtlingen sowie die Bearbeitung von Asylanträgen zu beschleunigen“.

Solche „integrierten Zentren“ würden „einen wichtigen Beitrag für eine schnelle Integration derer“ leisten, die gute Chancen haben, Asyl in Deutschland zu erhalten. Andererseits sei eine zügige Zurückführung derjenigen schnell durchzuführen, deren Asylantrag abgelehnt wird. Sowohl menschenwürdige Unterbringung als auch eine unabhängige Asylberatung würden gewährleistet, so Lischka.

Das Bundesministerium für Inneres indessen beantworte Fragen der taz zur UNHCR-Kritik nicht. Für Fragen zum Koalitionsvertrag seien die betroffenen Parteien verantwortlich. Zudem könne das Ministerium „keine abschließenden Auskünfte“ geben, da die Arbeiten an den „Anker“-Zentren noch fortdauerten.

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10 Kommentare

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  • Stellungnahme des Instituts für Menschenrechte zur Aussetzung des Familiennachzugs.

     

    Der Rechtsanspruch auf Familiennachzug ist Teil des Menschenrechts auf Familienleben, das nicht nur im Grundgesetz (Art. 6), sondern ebenso in menschenrechtlichen Konventionen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) (Art. 8) oder der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) (Art. 16) kodifiziert ist. In der KRK werden die staatlichen Verpflichtungen zur Realisierung des Rechts des Kindes auf Familienleben zudem konkretisiert, wobei vorliegend insbesondere Art. 10 Abs. 1 KRK und Art. 3 Abs. 1 KRK von Relevanz sind.

    Deutsche Auslandsvertretungen müssen Anträge auf einen Familiennachzug zu subsidiär Geschützten demnach weiterhin in jedem Einzelfall entgegennehmen und prüfen. Den menschenrechtlichen Vorgaben können die bearbeitenden Behörden dadurch entsprechen, dass sie während der Geltungsdauer von § 104 Abs. 13 AufenthG regelmäßig § 22 Satz 1 AufenthG anwenden. Demzufolge müssen die bearbeitenden Behörden im Einzelfall eine Aufenthaltserlaubnis (Visum) erteilen, wenn sich aus „völkerrechtlichen Gründen“, sprich menschenrechtlichen Konventionen, eine Ermessensreduktion auf null ergibt. Geht es um Anträge zur Wiederherstellung der familiären Einheit etwa von syrischen Minderjährigen und ihren Eltern, sind die Anträge unter Berücksichtigung grund- und menschenrechtlicher Garantien wegen einer Ermessensreduktion auf null positiv zu bescheiden. Die Rechtspraxis muss entsprechend angepasst werden; sofern im Rahmen der Visaverfahren ein Zustimmungserfordernis der Ausländerbehörden angenommen wird, haben diese zuzustimmen. Außerdem müssen für die Betroffenen während der Geltungsdauer von § 104 Abs. 13 AufenthG Informationen über die Möglichkeit der Antragstellung nach § 22 Satz 1 AufenthG aufbereitet und zugänglich gemacht werden, insbesondere auf den Webseiten des Auswärtigen Amtes, deutscher Auslandsvertretungen, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und der Ausländerbehörden.

    • @Stefan Mustermann:

      Der Gesetzgeber sollte im Übrigen die Aufhebung von § 103 Abs. 13 AufenthG prüfen, um die damit verbundenen Unklarheiten in der Gesetzgebung und in der Rechtspraxis zu beseitigen und den Familiennachzug grund- und menschenrechtskonform sicherzustellen.

       

      Das Auswärtige Amt sollte dringend sicherstellen, dass die deutschen Auslandsvertretungen die bestehenden Auslegungs- und Ermessenspielräume bei den Regelungen zum Familiennachzug im AufenthG so ausüben, dass sie in Fällen, in denen unbegleitete Minderjährige gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannt worden sind, grund- und menschenrechtskonforme Entscheidungen treffen. In Fällen, in denen neben den Eltern auch minderjährige Kinder/Geschwister im Herkunftsland oder in einem Drittland ausharren, sind unter Berücksichtigung insbesondere von Art. 6 GG, Art. 10 Abs. 1 KRK und Art. 3 Abs. 1 KRK auch den Kindern/Geschwistern gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG Visa zu erteilen, um die Herstellung der Familieneinheit zu ermöglichen. Hat ein unbegleiteter Minderjähriger in einer solchen Konstellation subsidiären Schutz erhalten, sind die erforderlichen Visa zur Herstellung der Familieneinheit während der Geltungsdauer von § 104 Abs. 13 AufenthG unter Berücksichtigung insbesondere von Art. 8 EMRK, Art. 16 KRK, Art. 10 Abs. 1 KRK und Art. 3 Abs. 1 KRK auf der Grundlage von § 22 Satz 1 AufenthG zu erteilen.

      http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Stellungnahmen/Stellungnahme_Das_Recht_auf_Famile.pdf

  • "Eine Obergrenze ist mit europäischem Recht nicht vereinbar"

     

    Interview mit einer Juristin und Migrationsexpertin, Frau Christine Langenfeld

     

    ZEIT ONLINE: Frau Langenfeld, die CSU und Teile der CDU wollen festlegen, wie viele Flüchtlinge Deutschland im kommenden Jahr aufnehmen kann und eine entsprechende Obergrenze einführen. Halten Sie das für eine gute Idee?

     

    Christine Langenfeld: Das ist mit dem europäischen Recht nicht vereinbar. Schließlich ist die Dublin-Verordnung immer noch geltendes Recht, auch wenn deren Vollzug am Boden liegt. Sie besagt, dass grundsätzlich der Staat, in dem zum ersten Mal ein Antrag auf Asyl gestellt wird, feststellen muss, ob er selbst oder aber ein anderer EU-Staat für die Durchführung des Schutzverfahrens zuständig ist.

    http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-11/fluechtlinge-obergrenze-kontingente-christine-langenfeld

    • @Stefan Mustermann:

      "Sie besagt, dass grundsätzlich der Staat, in dem zum ersten Mal ein Antrag auf Asyl gestellt wird, feststellen muss, ob er selbst oder aber ein anderer EU-Staat für die Durchführung des Schutzverfahrens zuständig ist."

      Hier liegt das Problem, die Migranten stellen in den Ländern, welches sie durchreisen keinen Asylantrag, weil sie alle nach Deutschland wollen, und den anderen Ländern ist das nur Recht, weil sie die Migranten nicht haben wollen.

      Jedoch besagt das Deutsche Grundgesetz in Artikel 16a: Auf Asyl kann sich niemand berufen, wer über ein sicheres Drittland nach Deutschland eingereist ist! +++ (2) 1Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.+++ https://dejure.org/gesetze/GG/16a.html

       

      Leider wird in Deutschland das Grundgesetz nur teilweise beachtet!

    • @Stefan Mustermann:

      Ja ebend. Es muss wieder für eine Umsetzung der Dublin-Verordnung gesorgt werden, mit der Folge, dass nur noch Flüchtlinge mit Familienbezug nach Deutschland kommen und alle anderen außen vor bleiben. Dann wird eine Obergrenze stets unterschritten und es gibt keinen Konflikt mit den EU-Gesetzen.

  • FOCUS stellt fest: „Die GroKo hat bei der „Obergrenze“ keine Entscheidungsmacht.“

     

    Die Union hat eine "Obergrenze" für Flüchtlinge ins GroKo-Programm geschrieben. Doch eine Obergrenze kann die Regierung in Berlin gar nicht festlegen. Das EU-Parlament hat mit einer Entscheidung die nationalen Regierungen quasi entmachtet.

     

    Das EU-Parlament hat in Straßburg am 16. November 2017 über die Neufassung der Dublin-Verordnung abgestimmt. In dieser Verordnung steht – noch: Ein Flüchtling muss in dem Staat um Asyl ersuchen, in dem er den EU-Raum erstmals betreten hat. Das Betreten europäischen Bodens erfolgt häufig an den EU-Außengrenzen. Diese Länder haben bislang die Pflicht zur Registrierung und zur Erstaufnahme.

     

    Behauptet ein Flüchtling, Verwandte in einem Mitgliedsstaat zu haben, die anerkannten Schutz oder einen legitimen Aufenthaltsstatus haben, wird dieser betreffende Mitgliedsstaat automatisch zuständig für den neuen Asylantrag. Auf Deutsch gesagt: Das wird in der weit überwiegenden Zahl aller Fälle Deutschland sein.

     

    Beweise braucht es dafür nicht: Geben die Angaben des Antragstellers keinen offensichtlichen Grund für Zweifel, reicht das.

     

    Damit nicht genug: „Antragstellern wird auch gestattet, sich als Gruppen von höchstens 30 Personen erfassen zu lassen“, wie es in der Begründung heißt, und sie können sich auch zusammen in einen Mitgliedsstaat überstellen lassen. Dafür reicht es, sich während der Reise nähergekommen zu sein.

    https://www.focus.de/finanzen/experten/fluechtlings-obergrenze-eu-bestimmt-die-regeln-die-groko-hat-beim-thema-nichts-zu-melden_id_8481689.html

    • @Stefan Mustermann:

      Bisher hat ja nur das Parlament entschieden. Eine solche Beschlussfassung hat keine bindende Wirkung für die Bundesrepublik. Sollte der EU-Rat der Beschlussfassung des Parlaments folgen, sollten wir ergebnisoffen die Vor-und Nachteile eines Exits diskutieren.

  • Voßkuhle: Obergrenze laut Grundgesetz unzulässig!

     

    Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, brachte sich auch in die Diskussion um eine Obergrenze für Flüchtlinge ein. Asylrecht gilt für jeden und kann daher auch nicht beschränkt werden.

    http://www.fr.de/politik/flucht-zuwanderung/fluechtlingsdebatte-vosskuhle-obergrenze-unzulaessig-a-389826

  • Eine sehr gute Replik der Beteiligten auf die etwas merkwürdigen Vorwürfe von Herrn Bartsch. Falls der UNHCR weiterhin versuchen sollte, sich in innenpolitische Fragen einzumischen, sollte über Budgetkürzungen nachgedacht werden.

     

    Im Übrigen kennt das Recht auf Asyl zwar keine Höchstgrenzen, jedes Land hat jedoch das Recht, seine Außengrenzen zu schließen und gegebenenfalls zu verteidigen. Es gibt kein Recht auf ungehinderte Einreise. So hat es zuletzt auch der EUGH zur Frage des humanitären Visums entschieden.

  • " ... unabhängige Asylberatung ..." was soll das sein? Etwa von Flüchtlingsräten oder Pro-Asyl oder dem UN-Flüchtlingswerk? Wie unabhängig wäre das denn?

    Bisher war immer noch der Staat die unabhängigste Stelle ...