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UN-Bericht zur ErderhitzungWie lange bis zur +1,5-Grad-Grenze?

Ein einziges Jahr, das im Schnitt 1,5 Grad zu heiß ist, bedeutet nicht, dass das Ziel aus dem Pariser Abkommen verfehlt wird. Aber es wird knapp.

Vor einigen Jahren war die Lagune Aculeo in Chile noch mit Wasser gefüllt Foto: Matias Basualdo/ZUMA Press/dpa

Bald ist es also soweit: Demnächst wird erstmals ein Jahr 1,5 Grad Celsius heißer sein als der Durchschnitt vor der Industrialisierung. Was für das alltägliche Wetter wie eine kleine Zahl klingt, ist für das Klima erheblich, denn an vielen Orten hat sich die Welt seit der Industrialisierung weit stärker erhitzt. In Deutschland hat die Erderhitzung beispielsweise bereits +1,6 Grad erreicht, in der Arktis sind es sogar mehr als +3 Grad.

Das baldige Überschreiten der +1,5-Grad-Marke ist symbolträchtig, denn im Pariser Abkommen haben die Mitgliedsstaaten der UN sich verpflichtet, die Erderhitzung möglichst unter dieser Marke zu halten. Nun meldet die Weltwetterorganisation der UN, dass mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit bereits bis 2026 erstmals +1,5 Grad gemessen werden. Im Jahr 2015 war diese Wahrscheinlichkeit noch 0. Ist der Klimaschutz kurz vor dem Scheitern?

„Ein einziges Jahr über +1,5 Grad heißt noch nicht, dass die ikonische Schwelle des Pariser Abkommens überschritten ist“, sagte Leon Hermanson, Mitautor des Berichtes, „aber es zeigt doch, dass wir einer Situation immer näher kommen, in der 1,5 Grad für einen längeren Zeitraum überschritten werden könnten.“

Darüber, wann es soweit ist, gibt eine Studie aus dem Jahr 2017 Aufschluss. In der Klimawissenschaft wird in der Regel die durschnittliche Erhitzung mehrerer Jahrzehnte als Erderhitzung verstanden, also der Durchschnitt der Werte von 20 oder 30 Jahren. Der Grund ist, dass die Werte einzelner Jahre aus unterschiedlichen Gründen schwanken können, beispielsweise wegen der Auswirkungen der Phänomene El Niño und La Niña. So war das bislang heißeste gemessene einzelne Jahr 2016. Seitdem hat sich die Erde allerdings weiter erhitzt, obwohl die nachfolgenden Jahre einzeln alle kühler waren.

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Die ForscherInnen um Joeri Rogelj, der kürzlich einer der leitenden Autoren des IPCC-Klimaberichts war, simulierten mit 24 Modellen wie sich die Temperaturen der Erde zwischen 1900 bis 2090 entwickeln würden. Ihr Fazit: Eine Welt, die sich nur um 1 Grad erhitzt hat, wird sich statistisch kein einziges Jahr um +1,5 Grad erhitzen. Und in einer Welt, die +1,5 Grad Erderhitzung überschritten hat, wird jedes zweite Jahr heißer sein als +1,5 Grad – die andere Hälfte der Jahre wird entsprechend darunter liegen.

Mit einem ersten Jahr über +1,5 Grad kann also mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass wir nicht mehr in einer +1-Grad-Welt leben; bis das +1,5-Grad-Ziel gerissen ist, muss noch einiges passieren. Allerdings wird das wohl recht schnell gehen: Laut Weltklimarat wird das Anfang der 2030er Jahre der Fall sein.

Um das zu verhindern, bleibt allerdings kaum noch Zeit: Die Szenarien aus dem neuesten Weltklimabericht legen nahe, dass die weltweiten Emissionen vor 2025 ihren Höchstwert erreichen und bis 2025 bereits drastisch reduziert werden müssen. Und selbst dann könnte das +1,5-Grad-Ziel zumindest zeitweise gerissen werden.

Studienautor Rogelj schrieb anlässlich des Berichtes der Weltwetterorganisation auf Twitter: „Dass jährliche Erhitzungswerte nicht das Gleiche sind wie Erderhitzung, heißt nicht, dass dringende Emissionsminderung nicht nötig ist. Im Gegenteil.“

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1 Kommentar

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  • "Um das zu verhindern, bleibt allerdings kaum noch Zeit..."

    Ich kann mit dem Wort "verhindern" nichts anfangen. In einem optimistischen, aber unrealistischen Szenario können wir den Klimawandel möglicherweise minimal verlangsamen.

    Der Kapitalismus produziert Wegwerfartikel, der Konsument definiert sich über Konsum von Produkten und Erlebnissen (Reisen etc.), die Politiker brauchen das Wachstum, um die die Zinsen der Schulden zu bezahlen, um Aktienmärkte und die Altersvorsorge stabil zu halten.

    Sicher können wir einige Mobilitätsbereiche auf erneuerbare Energien umstellen, aber den weltweiten Flugverkehr, all die Container und Kreuzfahrtschiffe, alle Autos?



    Was braucht das an Batterieleistung? Gibt es dafür die Rohstoffe? Was braucht deren Herstellung an Energie?

    Eine drastische Einschränkungen von Mobilität und Konsum, die sich auf das Notwendigste beschränken, wären möglicherweise effektiv, sind aber gesellschaftlich und wirtschaftlich nicht vermittelbar und umsetzbar. Diese Beschränkungen wären nur in einer "Ökodiktatur" machbar und das ist nicht wünschenswert und würde die Gesellschaft drastisch destabilisieren.

    Der Klimawandel ist nicht aufzuhalten, multiple Krisen überlagern sich und übersteigen das Vorstellungsvermögen eines Menschenhirns. Dazu kommt das die Triebkräfte des Menschen in die entgegengesetzte Richtung einer „Verhinderung“ wirken.

    Wir werden lernen müssen mit den Auswirkungen zu leben.

    Am ehesten kann ich mir vorstellen, dass sich nach Dürren und Missernten der Nutzviehbestand und der Fleischkonsum senken läßt und neue Ernährungsformen mit Fleisch aus dem Bioreaktor oder aus Algen entwickelt werden.