Twitterfieber ohne Ende: Und es hat Pling gemacht
Rund um Ereignisse wie Wahlen verbringt unser Autor viel Zeit auf Twitter. Warum, erklärt er in diesem Text. Ob er dafür eine Twitterpause schafft?
Upsi, gerade gemerkt: Während ich diesen Text hier schreiben soll über Chancen und Grenzen von Twitter als Mikrobeitrag zur großen öffentlichen Debatte in Zeiten von Wahlkampf und Wahl (so in der Art), twittere ich die ganze Zeit mehr oder weniger sinnvolle, lustige und wohl kaum den Diskurs bereichernde Sachen. Gerade in den Trends: Kommentare zu den Instagram-Bildern der vier grün-gelben Vorsondierer. Da halte ich mich aber raus, weil’s mich schon wieder langweilt.
Gut, der Vorsatz hält eine Stunde. Dann twittere ich doch was dazu.
Rund um Ereignisse wie wichtige Wahlen läuft Twitter heiß, es bietet Interaktionsmöglichkeiten, es kanalisiert Empörung und lenkt ab. Heute normal ist: Plasberg, Illner, Will gucken und zeitgleich Kommentare abgeben, vereint in einer Hashtag-Gemeinde. Das Doofe: Die Kollegen warten auf meinen Text, Abgabetermin Mittwochmittag um 12 Uhr. Und auch sie verfolgen Twitter und sehen, was ich twittere. Das dürfte dazu beitragen, dass sie nicht nur Redaktionsschlusspanik kriegen, sondern sich auch ärgern: Jetzt schreib' mal, vertändele nicht die Zeit.
Oh, Moment, ich muss mal kurz weg, rüber zu Twitter, da hat jemand einen Tweet von mir kommentiert. Ein Like für einen wirklich platten Wortwitz! Zu einem Bild des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Rolf Mützenich, der auf dem Weg zu einer Sitzung Maske trägt, hatte ich getwittert: „Mützenich, Maske ja“.
Sechs Likes habe ich schon bekommen. Das ist natürlich schön, denn wir alle suchen ja nach Resonanz. Andererseits macht dieses dauernde Getwittere und Hingegucke Twitter zu einem Zeitfresser: Jeder auch noch so platte Tweet erfordert Gedankentätigkeit. Animiert durch die Twitter-Frage „Was gibt’s Neues?“ entsteht eine Idee im Kopf und landet als Text im Eingabefeld des Kurznachrichtendienstes. Erzeugt der Tweet Resonanz in Form von Likes oder Retweets oder Entgegnungen, macht es „Pling“ oder – ha, da schon wieder – eine Zahl neben dem Glöckchensymbol zeigt Reaktionen an.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Passiert das oft oder sehr oft, kommt man gar nicht mehr los und findet’s super, wobei es auch ausarten kann, wenn ein Tweet trendet, wie man es in der Expertensprache nennt. Kaum vorstellbar, wie etwa Friedrich Merz klarkommt, wenn es auf @friedrich_merz rund geht. Na gut, er hat sein „Team Merz“, aber irgendwie auch krass, Leute zu beschäftigen, um Likes zu sortieren oder irgendwas zu machen, wenn ich zum Beispiel ihn direkt antweete, um zu fragen, ob er wirklich mal so lustig war wie in einem alten Wahlwerbespot, den er getwittert hatte.
Natürlich antwortet er nicht. Das hat mit der Illusionsmaschine zu tun, die Twitter ist. Dazu komme ich noch. Erzeugt ein Tweet so gar nichts, kommt das in Gang, was wir den Slot-Machine-Effekt nennen: Wer die erwünschte Resonanz nicht bekommt, legt noch eins drauf, wird mutiger – was auf Twitter bezogen heißt: lauter, unsachlicher, zugespitzter. Robert Habeck, der 2019 Twitter verlassen hat, sagt, das sei eine der weisesten Entscheidungen gewesen. Twitter verführe dazu, „einen drüber zu machen“, weil „jeder will, dass sein Video oder Text geteilt wird“. Gut, dafür hat Habeck jetzt Instagram.
Schwierig, aus dieser Suchtmaschine rauszukommen. Kollegen beschreiben, wie sie gescheitert sind. Sie schaffen es gerade mal, die App zu deaktivieren, um dann doch über den Browser auf Twitter zu schauen. Oder sie legen im Urlaub Twitterpausen ein, nur um anschließend sofort wieder voll einzusteigen.
Twitter ist auch eine einzige große Illusionsmaschine. Wir, die wir uns da versammelt haben, sind nur sehr wenige. Laut Studien gibt es in Deutschland gerade mal 1,4 Millionen aktive Nutzer, die wiederum in Sphären unterwegs sind. Die „Theo-Bubble“ tauscht sich über theologisch-pfarramtliche Fragen aus, die „Histo-Bubble“ redet über Historisches – und da könnte man jetzt weitere Bubbles aufzählen und hätte die Illusion, Twitter sei nützlich und bringe Diskurse voran.
Twitter ist aber vor allem auch Hass schürend, weil sich aus der Anonymität so leicht jemand fertig machen lässt. Frauen erleben das andauernd, auch Menschen, die nicht so aussehen oder heißen, wie es ins Weltbild irgendwelcher Rechtsextremisten passt.
Wie ein behaglicher Raum, in dem man sich sicher fühlt
Weil die Sphären tatsächlich oft sehr klein sind, kennt man sich. Es wirkt wie ein vertrauter, behaglicher Raum, in dem man sich sicher fühlt und deshalb auch gern mal über die Stränge schlägt.
Verbringt man zu viel Zeit auf Twitter, übersieht man aber schnell, dass es „da draußen“ andere Themen gibt, andere Ansichten. Und wenn sich bei Twitter wie zuletzt Kritik an dem gescheiterten CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet den Weg bahnt und alle fordern, er müsse sein Amt als Parteivorsitzender aufgeben, dann wundert sich der Twitterer, dass es Laschet nicht augenblicklich tut, also nicht auf die Leute hört, die es bei Twitter alle so genau wissen. Die Politologin Ursula Münch hat die wahre Bedeutung von Twitter da sehr gut auf den Punkt gebracht: „Ein paar Tweets machen noch keine allgemeine Rücktrittsforderung daraus.“
Natürlich gibt es auch relevante Inhalte, Twitter ist ein Medium geworden, das Einblicke in den Politikbetrieb ermöglicht wie kaum ein anderes. Wer etwa dem Welt-Journalisten Robin Alexander folgt, erfährt Nachrichten aus Gremiensitzungen von CDU und CSU, als sei er selbst dabei. Aber: Sehr oft haut der Witz-Tweet aber viel besser rein. Wahrscheinlich, weil er einfacher zu konsumieren ist. Sicher auch, weil es nett ist, wenn der Alltag punktuell aufgehellt wird.
Und dann gibt es noch das Problem der falschen Nähe. Tweets wirken oft informell, locker im Ton, der Rezipient liest sie, als wären sie nur für ihn. Aber nur weil du dem FDP-Chef Christian Lindner folgst und seine Tweets empfängst, nimmt er noch lange nicht deine wahr. Du kannst dich zwar über ein Interview von Wolfgang Kubicki empören, in dem er den SPD-Kollegen Karl Lauterbach als „Spacken“ bezeichnet, du kannst deshalb @c_lindner auch direkt antwittern, ob er sich da nicht mal einschalten wolle, es wird auch bei ihm Pling machen, weil er angeschrieben wurde, aber das wird verhallen, weil Du dann doch nur @felixzimmermann bist.
Du könntest auch mit deiner Wand reden, aber das macht viel weniger Spaß – sie antwortet ja nie. Bei Twitter passiert wenigstens manchmal was, und vielleicht antwortet @BarackObama ja irgendwann noch mal auf den Tweet, den ich an ihn geschrieben habe.
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