Turnier der unbekannten Länder: Die kleinere Welt des Fußballs
Bei der Conifa kicken Länder wie Abchasien, Padanien oder Vanuatu. Doch auch in der Konföderation der unabhängigen Fußballverbände gibt es Streit.
Im kalten Februar dieses Jahres platzte James & James der Kragen. „Wir treten aus der Conifa aus“, beschlossen die beiden Fußballexperten Jerseys. Auf der britischen Kanalinsel wird es in den Wintermonaten ungemütlich. Eisiger Wind, dazu ständig Graupel- oder Regenschauer – süßes Leben sieht anders aus. Die schlechte Laune der beiden Fußballenthusiasten James Scott und James Blower rührte aber weniger von der Kälte auf ihrer Insel her als von der Tatsache, dass ihr liebstes Kind, das Fußballteam Parishes of Jersey (PoJ), mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Die Jersey-Fußballer hatten sich so auf ihr Saisonhighlight gefreut: die Conifa-Europameisterschaft 2021. Aber PoJ wurden nicht eingeladen.
„Das ist nur eine billige Retourkutsche dafür, dass wir den aktuellen Verantwortlichen bei der Conifa zuletzt nicht mehr blind gefolgt sind“, ist sich James Blower, der Teammanager von PoJ, sicher. Parishes of Jersey, übersetzt Grafschaft von Jersey, ist die inoffizielle Fußballnationalmannschaft dieser Insel, sie wird trainiert vom zweiten Part von James & James. James Scott. Für den 40-Jährigen – auf Jersey aufgewachsen und auf dem Fußballplatz einst eisenharter Verteidiger – war die Isolation als Jersey-Fußballer stets ein ärgerlicher Umstand, weil die Insel zwar formal zum britischen Kronbesitz gehört, aber nie in den englischen Ligabetrieb aufgenommen wurde. Also blieben die Fußballer der 100.000-Einwohner-Insel stets unter sich.
Nach dem Ende seiner aktiven Karriere machte sich Scott gemeinsam mit Namensvetter Blower, der als Geschäftsmann zuvor als Sponsor aufgetreten war, daran, Jerseys Fußballaktivitäten in Schwung zu bringen. Die beiden stellten 2016 einen Aufnahmeantrag beim europäischen Fußballverband Uefa, der im Februar 2018 abschlägig beschieden wurde. Noch im gleichen Jahr gründeten sie daher ein „wildes“ Team, PoJ, um sozusagen außerhalb des organisierten Weltfußballs internationale Spiele austragen zu können. Denn sie hatten mittlerweile von Sascha Düerkop, dem damaligen Generalsekretär der Conifa, ein Aufnahmeangebot erhalten.
Die Conifa (Confederation of Independent Football Associations) ist gewissermaßen ein Dachverband für Fußballteams außerhalb des Weltverbandes Fifa: für Staaten ohne internationale Anerkennung, für ethnische Minderheiten, für Regionen oder für Mikronationen. In der „ewigen Tabelle“ der seit 2014 alle zwei Jahre stattfindenden Welt-Fußballmeisterschaften (WFC) der Conifa liegt aktuell Abchasien, eine formal zu Georgien gehörende Region am Schwarzen Meer, vor Padanien aus Norditalien, Nordzypern und Punjab aus dem indisch-pakistanischen Grenzgebiet. Gern hätte der Verband auch finanzstarke Regionen wie Korsika, die Bretagne, Tirol, das Baskenland oder Katalonien dabei, denn chronischer Geldmangel ist eines der Hauptprobleme der Conifa.
Das Spiel der Fußballaußenseiter ist für weltweites TV uninteressant, potente Sponsoren haben kaum Interesse. WFC und die stets in den Zwischenjahren ausgerichtete Europameisterschaft finden daher auf sehr einfachem, kostenneutralem Niveau statt. Gespielt wird auf Bezirkssportanlagen, die Übernachtungen werden normalerweise in Jugendherbergen oder ähnlich günstigen Unterkünften organisiert. Dennoch können sich manche Teams noch nicht einmal die Anreise zu den Turnieren leisten.
Ein Deutscher als Generalsekretär
Die zweite ständige Herausforderung für die Conifa liegt in zähen politischen Verhandlungen, denn die Ressentiments gegen eine Vielzahl ihrer zu besten Zeiten rund 50 Mitglieder sind mitunter groß. Schließlich sind es oft Auswahlmannschaft nicht anerkannter Staaten, die seit Jahren um ihre Unabhängigkeit kämpfen. Hier sind vonseiten der Conifa vor allem diplomatisches Geschick und Hartnäckigkeit gefragt – Tugenden, die den Deutschen Sascha Düerkop einst in den Verband brachten.
Düerkop, Mathematiker mit ausgeprägter Sammelleidenschaft für Fußball-Nationaltrikots, war 2013 durch einen großen Zufall zu einem der wichtigsten Männer der Conifa geworden. Er hatte auf einer Konferenz den ebenfalls gerade erst dazugekommenen Conifa-Chef Per-Anders Blind kennengelernt. Wie das Leben manchmal so spielt, konnte Düerkop den schwedischen Unternehmer bald von seiner Hartnäckigkeit im Umgang mit Fußballfunktionären und -verbänden überzeugen. Denn genau die hatte Sammler Düerkop in seiner jahrelangen Korrespondenz mit potenziellen Trikotbesitzern in aller Welt beinahe bis zur Perfektion gelernt.
Düerkop machte Karriere bei der Conifa, erwies sich in der Organisation der Europa- und Weltmeisterschaften des Verbandes als Macher für alles. Sowohl bei der WM 2014 in Östersund wie auch bei der folgenden EM 2015 in Debrecen, der WM 2016 in Abchasien und schließlich der WM 2018 in London kümmerte er sich um die schwierigen Fälle. 2014 beispielsweise rang er bis zum Eröffnungstag der WM um die Teilnahme eines Teams aus Darfur – erst drei Stunden vor Abflug erhielten die Spieler ein von der französischen Botschaft ausgestelltes Visum. Dass sich fast alle der 23 Teammitglieder letztlich in Schweden absetzten und untertauchten, war ein harter Schlag für die Conifa. Aber letztlich dennoch eine menschlich erfolgreiche Mission: „Alle Spieler sind letztlich in Schweden sesshaft geworden, fanden Jobs und konnten dort ein neues Leben beginnen“, berichtet Düerkop.
Die WM 2016 in Abchasien fand offiziell in einer Kriegsregion statt – entsprechend schwierig war die Anreise der zwölf Teams. Die „Republik Abchasien“ begreift sich als eigenständiger Staat, wird von Georgien und den meisten Ländern der Welt aber als Teil von Georgien betrachtet. Anerkannt und unterstützt wird Abchasien von Russland, daher war die Anreise der Fußballer auch ausschließlich über das russische Sotschi möglich. Aber in der abchasischen Hauptstadt Sochumi direkt am Schwarzen Meer war die Stimmung dann großartig. „Wir hatten jedes Mal ausverkauftes Haus, und nachts wurde auf den Straßen weitergefeiert“, erinnert sich Düerkop.
Erfolgsgeheimnis: Handynummer des Staatspräsidenten
Die Integration ansonsten isolierter oder nicht akzeptierter Minderheiten ist gewissermaßen Alltagsarbeit der Conifa. 2018 in London lag Düerkop vor allem die Teilnahme der Region Matabeleland aus Simbabwe am Herzen. Aber auch hier: Die Dinge waren schwierig, die Spieler erhielten keine Visa. Letztlich schaltete sich Simbabwes Ex-Nationalkeeper Bruce Grobbelaar ein, der Düerkop die Handynummer von Staatschef Emmerson Mnangagwa gab. Der lenkte schließlich nach täglichen Anrufen Düerkops ein und gab die Visa frei.
Besonders ans Herz gewachsen waren Düerkop auch die Fußballer aus Tuvalu. Der Fußballverband des kleinen pazifischen Inselstaates, dessen Landmasse aus vielen kleinen Korallenatollen besteht, hatte sich viele Jahre vergeblich um Aufnahme in die Fifa bemüht. Düerkop half nicht nur bei den Verhandlungen Tuvalus mit dem Weltverband, er lud das Team auch zur WM 2018 in London ein und unterstützte die Reisevorbereitungen. Auf ihrer 40-stündigen Flugreise, die pro Kopf rund 4.000 Euro kostete, musste das Team viermal umsteigen und kam völlig übermüdet in der englischen Hauptstadt an – um nur 24 Stunden später auf einem ungewohnten Kunstrasenplatz am nördlichen Rand von London sein erstes WM-Spiel zu bestreiten. Aber es war dabei.
London war letztlich aber auch so etwas wie eine Abschiedsvorstellung Düerkops. Denn anschließend krachte es im Verband. Verbandspräsident Per-Anders Blind und sein Europachef Alberto Rischio aus Padanien wollten einen Kurswechsel vorantreiben: Um künftig finanzkräftigere Kandidaten bevorzugen zu können, sollte unter anderem das von Düerkop entwickelte Qualifikationssystem abgeschafft werden, mit dem sich die Bewerber bis dahin die Teilnahme an den Wettbewerbe verschaffen konnten. Die Teams sammelten Punkte über Freundschaftsspiele, selbst Niederlagen brachten Zählbares. „Aktivität stand hier im Vordergrund“, erklärt Düerkop. „Eine Niederlage war in meinen Augen immer mehr wert, als überhaupt nicht zu spielen.“
Blind und Rischio setzten sich bei einer Versammlung des Verbandes Anfang 2020 mit ihrer kommerzielleren Ausrichtung aber durch – es ging hier auch um Posten. Denn vor allem der Lombarde Rischio war bei Düerkop und seinen Leuten nie unumstritten. Dem Unternehmer aus der Automobilbranche haftete stets der Verdacht einer Mitgliedschaft in der Lega an. Die rechte Partei, auch als Lega Nord bekannt, tritt seit vielen Jahren für die Spaltung Italiens in einen Nord- und Südteil ein. Und weil die Lega für eine nationalistische Politik steht und migrationsfeindliche Stimmung macht, passt sie eigentlich so gar nicht zu den Conifa-Werten. „Es geht bei der Conifa ja gerade darum, Menschen, Länder und Völker durch Fußball miteinander zu verbinden“, erklärt Düerkop.
Es kam also zum Machtkampf in der Conifa, in dessen Folge Düerkop und ein Teil seiner Anhänger von ihren Ämtern zurücktraten. Der Deutsche verließ den Verband. Mit ihm gingen auch beispielsweise die Vertreter Darfurs. Die gründeten wenige Wochen später mit der World Unity Football Alliance (Wufa) sozusagen einen Alternativverband zur Conifa – ohne Düerkop übrigens. Dafür aber mit James & James von Jersey, die wie mittlerweile 16 weitere einstige Conifa-Mitglieder der Wufa beitraten.
Nun gibt es also zwei statt nur noch einen Alternativverband zur Fifa – es ist ein gehöriges Durcheinander entstanden. Denn für die nächste Männer-Europameisterschaft der Conifa, die nach aktuellem Stand im Juli in Nizza stattfinden soll, wurden die Plätze willkürlich per Einladung vergeben. Jersey wurde nicht berücksichtigt. Offiziell, weil es die 500 Euro Jahresbeitrag nicht gezahlt hatte. James Blower ist sich aber sicher, das die Gründe woanders liegen: „Weil wir damals für Düerkop und seine Leute gestimmt haben.“
Von seinen Plänen mit seinem Fußballteam PoJ will sich Blower dennoch nicht abbringen lassen. „Wir haken die aktuelle Saison ab, wegen Corona geht ja ohnehin kaum etwas. Stattdessen konzentrieren wir uns ganz auf die Spielzeit 2021/22, wo wir viele Freundschaftsspiele planen und auch gern ein Turnier auf Jersey ausrichten möchten“, erklärt er. Gut möglich, dass auf Jersey dann auch eine Art Weltmeisterschaft stattfindet. Nur, dass sie dann nicht unter dem Dach der Conifa, sondern unter dem der Wufa ausgerichtet wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut