Turbulenzen bei Hertha BSC: Man schaut verzückt zu ihr auf
So hätte es doch sein sollen, wenn man ihn nur richtig gelassen hätte. Meint Jürgen Klinsmann. Die Hertha idealerweise, ach, was für ein Traum.
E s gibt Menschen, die behaupten, Hertha BSC sei ein Fußballverein und spiele in der Bundesliga. Das ist falsch oder jedenfalls eine optische Täuschung.
Denn Hertha BSC ist vor allem eine Idee. Die Idee von einem Verein, wie er idealerweise in der bundesdeutschen Hauptstadt zu sein hat. Dieser Verein ist groß und bedeutend. Er misst sich auf einem Niveau mit dem FC Bayern und Borussia Dortmund. Er spielt jedes Jahr in der Champions League und gewinnt Pokale; selbst der FC Barcelona hat Respekt vor der Schlagkraft der Charlottenburger. Die ideale Hertha kann sich aussuchen, wen sie als Investor aus der langen Schlange der Interessenten herauspickt. Ihr Stadion, ein futuristischer Neubau auf dem Maifeld, ist an jedem Spieltag ausverkauft, und es besteht eine Direktverbindung von der Tesla-Arena zum BER.
Die Hertha spielt begeisternden Offensivfußball, was etliche Union-Fans zum Übertritt zu den Blau-Weißen verleitet hat, sie mischen sich unter die Hipster aus Neukölln, die Studenten aus Prenzlauer Berg und die Zugezogenen aus Schwaben. Sie alle haben ihre Liebe zur Hertha entdeckt. Ein Run auf die Tickets hat eingesetzt, Dauerkarten werden von einer Generation auf die nächste vererbt. Auf den Transparenten der Fans steht: „Im Herzen weht nur eins, unsere Fahne!“ Pep Guardiola hospitiert regelmäßig im Berliner Westen, angeblich überlegt er sogar, künftig den Posten des Cheftrainers von Jürgen Klinsmann zu übernehmen, der als Chef-Disruptor den Weg bereitet hat für den Magier unter den Coaches. Klinsmann hatte zum Glück schon vor langer Zeit verstanden, worauf es in Berlin ankommt: die richtigen Ideen zum richtigen Zeitpunkt.
Nur so konnte aus der Hertha, die einst wie ein Untoter in Parvenüpolis umherwandelte, aus einer Hertha, die als Statist in einem dystopischen Fußballdrama verspottet wurde, ein dynamischer Big Player werden. Längst vergessen sind die überforderten Sachwalter des Elends wie Hertha-Manager Michael Preetz oder der Präsident Werner Gegenbauer, die schon zufrieden gewesen sein sollen, wenn diese angeblich real existierende Hertha mit 35 Punkten die Saison beschloss und knapp dem Abstieg entronnen war. Das zugige Stadion, nicht mehr als ein offener Führerbunker, soll fast nie ausverkauft gewesen sein, die Stimmung unterirdisch, die Stadionwurst lappig und sündhaft teuer, erzählt man sich im Darknet des Fußballs. All das hat die ideale Hertha hinter sich gelassen. Sie steht als Aureole über der Stadt. Sie strahlt und glänzt. Man schaut verzückt zu ihr auf.
Und dann in die Abgründe der Realität.
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