piwik no script img

Türkische Offensive in NordsyrienKurden fühlen sich von USA verraten

Die USA wollen keinen Bruch mit Erdoğan und kommentieren seinen Feldzug nicht. Leidtragende in Afrin sind auch viele Zivilisten.

Kurdische Kämpfer in Nordsyrien am 23. Januar 2018 Foto: reuters

Istanbul taz | Auch fünf Tage nach Beginn des Einmarschs in die syrisch-kurdische Region Afrin können türkische Truppen und die mit ihnen verbündeten Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) noch keinen großen Durchbruch melden. Obwohl die türkische Armee immer mehr Panzer zur Unterstützung der rund 25.000 Freischärler der FSA heranschafft, gibt es bislang offenbar keine stabilen Geländegewinne auf dem Weg zur Provinzhauptstadt Afrin im Nordwesten Syriens, die das Ziel dieses ersten Abschnitts des türkischen Feldzugs gegen die syrischen Kurden ist.

Die kurdischen YPG-Kämpfer leisten heftigen Widerstand, immer wieder müssen sich FSA-Kämpfer zurückziehen, was im türkischen Fernsehen ab und zu gezeigt wird. Schon in den ersten Tagen hat es offenbar viele Tote gegeben. Der türkische Generalstab gibt an, 270 YPG-Kämpfer „eliminiert“ zu haben, was die YPG bestreitet; die Zahl sei „übertrieben“. Auf türkischer Seite sterben vor allem FSA-Kämpfer, weil die Soldaten nur langsam mit ihren Panzern nachrücken. Auf Bildern im türkischen Fernsehen ist zu sehen, wie Dutzende Leopard-II-Panzer im Schlamm geparkt sind und offenbar auf ihren Einsatz ­warten.

Die türkische Armee und die Regierung haben sich jedoch auf einen längeren Krieg eingestellt. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wies alle Aufforderungen, eine zeitliche Begrenzung zu nennen, empört zurück und erklärte im Gegenteil erst am Mittwoch, dass der Einsatz bald auf die Region Manbidsch östlich von ­Afrin ausgedehnt werde.

Während die Türkei vom Westen nur sehr zurückhaltend kritisiert wird, fühlen sich die syrischen Kurden von ihren Verbündeten verraten. Sinam Mohammed, eine Sprecherin der PYD/YPG in den USA, sagte, das Schweigen in Washington sei „sehr enttäuschend“. Andere werden noch deutlicher. „Wir haben für die ganze Welt gegen den IS gekämpft“, sagte ein YPG-Vertreter, „jetzt lassen sie uns fallen.“

USA wollen völligen Bruch mit Erdoğan zu vermeiden

Tatsächlich haben die USA bislang deutlich gemacht, dass sie die Region um Afrin als russische Einflusssphäre ansehen, aus der sie sich heraushalten wollen. Ein Pentagon-Sprecher warnte die YPG sogar davor, Nachschub an Kämpfern und Waffen aus den östlichen Kurdengebieten nach Westen zu verlegen, offenbar um die Türkei nicht zu einem Einsatz östlich des Euphrats zu provozieren. Die US-Regierung ist dabei sichtlich bemüht, einen völligen Bruch mit Erdoğan zu vermeiden.

Die Hauptleidtragenden des Feldzugs sind bislang die Zivilisten in Afrin und der benach­barten Provinz Idlib. In Afrin leben nach Schätzungen 400.000 bis 800.000 Menschen, da­runter viele Flüchtlinge aus Aleppo. In Idlib sind fast 250.000 Menschen vor den Truppen Baschar al-Assads, die dort von Süden aus angreifen, auf der Flucht. Ihre einzige Möglichkeit war bislang, in Richtung Afrin zu laufen. Dort rückt nun von Norden her die türkische ­Armee ein.

Die UNO warnt deshalb, dass eine humanitäre Katastrophe bevorsteht, da es für die Flüchtlinge kaum Ausweichmög­lichkeiten gibt. Einige sollen wieder nach Aleppo zurückge­gangen seien, für andere bauen das Rote Kreuz und der tür­kische Rote Halbmond in dem von der Türkei kontrollierten Gebiet östlich von Afrin neue Lager auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Jetzt plötzlich von den USA verraten fühlen? Das zeugt von totaler Blauäugigkeit.

     

    Wer sich in derartigen Krisensituationen mit den USA einläßt, ist immer und ohne Ausnahme von vornherein verraten.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Sinam Mohammed, eine Sprecherin der DYP/YPG in den USA, sagte, das Schweigen in Washington sei „sehr enttäuschend“."

     

    Ich bin nicht gerne Klugsch***er, aber Die Partei heißt PYD, nicht DYP. Kann ja mal passieren, der Buchstabendreher.

  • 4G
    42676 (Profil gelöscht)

    Der menschliche Geist ist wandelbar, -er kann von brüderlicher Liebe im Sandkasten über das verächtliche Schlagen im Berufsleben bis hin zum Totschlag oder geplanten Massenmord gehen -und sogar dann noch in dieser letzten Konsequenz sich dafür eine Rechtfertigung zurechtlegen die dann auch öffentlich anerkannt wird.

    Solch eine Rechtfertigung in dem folgenden allgemeinen Gemurmel kann für menschliche Geister vorerst eine bequeme Liegewiese sein.

    Menschliche Geister können aber auch vollkommen entsetzt und starr vor Schock sein.

    Horror und Gemeinheit auf jedem Kontinent.

    Eine Lösung für diese irdische Katastrophe scheint kaum in Sicht.

    "Wir hier" als "nicht angegriffenene Völker" sind nicht privilegiert, als "nur reine Zuschauer" des vollkommenen Wahnsinns es "nur" zu schauen und darüber zu reden, -nein, morgen wird, nicht unmöglicherweise, auch hier geschossen und ausgeliefert.

    Herrschende Politiker sind nicht zwingend die guten "Eltern" für ihre Bürger, -sie suchen häufig und untertänigst eigennützige Kompromisse für ihre geldfressenden Gönner.

    Wir leben hier im Kapitalismus.

    Der Wille zur Maximierung von Gewinn (Profit) ist so stark, dass menschliche (humanitäre) Überlegungen zu Gunsten der Gewinnmaximierung in den Hintergrund treten. Die beschleunigte und sich ständig beschleunigende Technik der Gewinnmaximierung drängt darauf, die Werte des menschlichen Miteinanders weit hinter sich zu lassen.

    Die Zentralisierung des Weltkapitals ist nahezu abgeschlossen.

    Von "ganz oben" wird das Weltgeschehen gesteuert.

    Menschlichkeit hat da keinen Platz.

    Geld regiert die Welt.

    Was von "ganz oben" gewünscht wird, wird auch von dort bezahlt. Ganz am Ende zahlen, die mit Absicht irre geleiteten und manipulierten Geister mit ihrem Leben, ihrer Unschuld oder irreparabel drohender Verblendung.

    Es ist nicht nur so, dass die untergeordneten Macht- und Systemstrukturen in Form der menschlichen Leitfiguren irre sind, nein es sind gerade auch die Eigentümer des Weltkapitals.

    • @42676 (Profil gelöscht):

      * * * - ): Dank für Ihren Beitrag zur Aufklärung der treubraven Konsumbürger*innen!

       

      "Wir leben hier im Kapitalismus.

      Der Wille zur Maximierung von Gewinn (Profit) ist so stark, dass menschliche (humanitäre) Überlegungen zu Gunsten der Gewinnmaximierung in den Hintergrund treten. Die beschleunigte und sich ständig beschleunigende Technik der Gewinnmaximierung drängt darauf, die Werte des menschlichen Miteinanders weit hinter sich zu lassen.

      Die Zentralisierung des Weltkapitals ist nahezu abgeschlossen.

      Von "ganz oben" wird das Weltgeschehen gesteuert.

      Menschlichkeit hat da keinen Platz.

      Geld regiert die Welt.

      Was von "ganz oben" gewünscht wird, wird auch von dort bezahlt. Ganz am Ende zahlen, die mit Absicht irre geleiteten und manipulierten Geister mit ihrem Leben, ihrer Unschuld oder irreparabel drohender Verblendung.

      Es ist nicht nur so, dass die untergeordneten Macht- und Systemstrukturen in Form der menschlichen Leitfiguren irre sind, nein es sind gerade auch die Eigentümer des Weltkapitals."

       

      Das ist die Wirklichkeit in der wir (noch) überleben!

  • Erdogan, der mit Teilen des IS zusammengearbeitet hat und dies auch heute wieder tut. Assad und die Russen bleiben still, da sie dafür an anderer Stellen die Rebellen klanglos besiegen können. Die USA bleiben still, weil sie damit den russischen Einfluss in Nordsyrien reduziert sehen. Merkel bleibt still, weil es ihr schon immer mehr um Bündnistreue und weniger um Menschenrechte ging.

  • "It was a bloody mess" wird es später heißen.

  • Islam heißt - wie wir alle wissen - Frieden. Die Kurden setzen sich - wie wir alle wissen - für Freiheit, Demokratie und Frauenrechte ein.

     

    Warum sich die friedlichen Muslime und die freiheitsliebenden Kurden jetzt gegenseitig die Köpfe einschlagen, verstehen wir nicht wirklich.

     

    Schön wäre es allerdings, wenn Muslime und Kurden sich darauf verständigen könnten, dass dieser Konflikt nicht auf deutschem Staatsgebiet ausgetragen wird.

    • @A. Müllermilch:

      Die Kurden sind zum großen Teil ebenfalls Muslime, tatsächlich in der Region aber doch relativ weit was Emanzipation und Anerkennung anderer Minderheiten angeht, im Gegensatz zu den attackierenden Türken. Aber ihnen ist es sicher gleichgültig das ein ganzes Volk von allen Machthabenden in der Region unterdrückt und ausgebeutet wird. Sie verachten schließlich uns Gutmenschen denen das nicht egal ist. Ihrer Meinung ist Mitgefühl sicher auch Schwäche.

    • @A. Müllermilch:

      "Warum sich die friedlichen Muslime und die freiheitsliebenden Kurden jetzt gegenseitig die Köpfe einschlagen, verstehen wir nicht wirklich."

       

      Haben Sie wirklich den Kopf im Sand?

       

      "Schön wäre es allerdings, wenn Muslime und Kurden sich darauf verständigen könnten, dass dieser Konflikt nicht auf deutschem Staatsgebiet ausgetragen wird."

       

      Das ist Ihr Hauptproblem, nehme ich an. Dass Deutschland den Türken die Waffen verkauft hat, interessiert Sie wohl überhaupt nicht. Die Welt hat dann offene Grenzen, wenn es um Waffenverkauf und Geld geht. Ihren Krieg sollen sie anderswo austragen, man will den Konflikt vor seiner eigenen Türe nicht, und schon garnicht die resultierenden Flüchtlinge.

       

      Ich empfehle, etwas mehr über Weltpolitik zu lesen, vielleicht erweitert das nicht nur Ihren Horizont, sondern erhöht auch Ihr Mitgefühl. Da unten wird nämlich gerade gestorben, wie in so vielen Gegenden, in die Deutschland und andere westliche Mächte fröhlich Waffen verkauft haben und sich auch ansonsten politisch eingemischt haben.

  • Die deutschen haben Türkei billige Leo 2 Panzer _verkauft_ und den kurden teure Milan-Raketen _geschenkt_.

     

    Und jetzt schiessen die kurden die wehrlosen Türken in ihrem wertlosen Leopard 2 damit ab.

     

    USA muss Türkei endlich mit richtigen Panzern ausrüsten.

    • @Maike123:

      Wie bitte? Ich nehme an, Sie wollten ironisch sein.

      • @Sergej Prokofiev:

        Der Leo 2 ist nicht für den Krieg gegen Aufständische in Städten gebaut, sondern für den Kampf gegen andere Panzer auf freiem Feld.

         

        Durch einem Raketentreffer aus dem Hinterhalt auf die schlecht gepanzerten Seiten oder das Heck kann man dem ach so tollen Leo ebenso leicht knacken wie einen stacheligen Igel mit der Zwille.

  • Leider ist das nicht überraschend, denn es ist doch die übliche Politik der USA, dass sogenannte "Verbündete" fallen gelassen werden, wenn sie ihren Zweck erfüllt haben.

    • 8G
      87233 (Profil gelöscht)
      @Herbert Zahn:

      Wieso USA? Es ist die gabze NATO die hier versagt, und auch alle die gegen die IS gekämpft haben werden systematisch verraten.

      Erdogan ist ein Mörder und NATO ist dabei eine Komplize zu werden.

      Einen Zeit der Schande.

  • Wer die weltweite Geo-, Wirtschafts-, Rohstoff- und Militärpolitik der Vereinigten Staaten in der Geschichte kennt, der konnte es auch schon zuvor wissen, dass die vorgebliche und zeitweilige 'Unterstützung' der Kurden, die niemals eine Unterstützung für deren nationale Unabhängigkeit war, eben doch nur ein Teil der imperialistischen Globalstrategie der USA-Politik war (so auch schon in den Jahrzehnten vor Trump). Dieses Wissen, um die imperialistische und geopolitische Zielsetzung der Vereinigten Staaten, hatte auch schon zuvor die Führung der kurdischen Befreiungs- und revolutionär-emanzipatorischen Frauenbewegung. Trotz der nun aufbrechenden und erkennbaren Fakten, um die fortgesetzte imperialistische Politik der USA, eine nationalrevolutionäre und zugleich sozialrevolutionäre Befreiungs- und Frauenbewegung, - von rund 30 Millionen Kurden -, kann man damit nicht aufhalten! Der fortwährende inner-kurdische und türkisch-kurdische Bürgerkrieg, zwischen den sozio-ökonomischen Klassen und Schichten der kurdischen und türkischen Bevölkerung, wird aber auch zu einem fortgesetzten revolutionären Krieg in allen kurdischen Regionen in Nahost und Asien führen. Am vorläufigen Ende steht ein vereintes Kurdistan, die nationalrevolutionäre und sozialrevolutionäre Demokratische Republik Kurdistan! Auch hierfür bleibt die nationalrevolutionäre Befreiungsbewegung Vietnams ein historisches Beispiel, weltweit!

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, dass die PYD keinen Nationalismus vertritt. Auch Öcalan und die PKK sind meines Wissens nach von einer nationalistischen Ideologie abgerückt. Es sollen autonome basisdemokratische Kantone entstehen, die ihre Beziehungen und gemeinsamen Bestrebungen untereinander in gemeinsamen Räten klären. Einen Anschluss an einen syrischen oder einen kurdischen Nationalsstaat soll es nicht geben. Von kurdischen Nationalisten werden die PYD und die von ihr ausgerufenen Autonomieregionen deswegen auch nicht anerkannt.

       

      Thomas von der Osten-Sacken weist in einem taz-Interview zurecht darauf hin, dass auch die innerkurdischen Konflikte nicht unterschätzt werden dürfen. https://gazete.taz.de/article/?article=!5480194

       

      Man macht es sich aber auch zu einfach, wenn man der PYD einfach nur einen autoritären Herrschaftsstil vorwirft, wie es Thomas von der Osten-Sacken tut. In der Bundesrepublik wurden schon mehrere Parteien verboten, die die demokratischen Verhältnisse aushebeln wollten. Im Gegensatz zu einer basisdemokratischen Organisation ist eine Parteienherrschaft autoritär. Es gibt in der Organisationsstraktur der Räte der Autonomieregionen eine Ebene, in der Parteien und NGOs repräsentiert sind, auch die PYD selbst, so zumindest meine Informationen. Es ist keine Einparteiendiktatur. Wenn Parteien sich nicht damit abfinden wollen, dass sie nicht die alleinige politische Repräsentationsinstitution sind und eine nationalistische Parteienherrschaft errichten wollen, dann sind sie vielleicht auch "verfassungsfeindlich". Es wären in dem verlinkten Artikel zumindest genauere Informationen wünschenswert gewesen, welche Oppositionspolitiker aus welchen Gründen inhaftiert wurden.

       

      Ich möchte das mit dem autoritären Stil auch nicht einfach abtun, aber in Deutschland werden Reichsbürger auch wegen Amtsanmaßung verklagt, wenn sie die gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse nicht als demokratisch anerkennen und sich eigene Ämter gründen.

    • @Reinhold Schramm:

      Amen.

  • Die Kurden "fühlen" sich nicht nur verraten, sie wurden sowohl vom Westen (nicht nur die USA, wir sind zwecks Befriedung des Despoten vom Bosporus und seiner fünften Kolonen bei uns nicht besser) als auch den Russen verraten.