Türkisch-russischer Konflikt: Irak wird zum Schauplatz
Moskau und Ankara streiten wegen der Entsendung türkischer Soldaten in den Irak. Putin schickt zusätzliche Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer.
Ende letzter Woche wurde die Türkei von der Regierung in Bagdad zu ihrer Überraschung ultimativ aufgefordert, türkische Truppen im Nordirak, die dort kurdische Perschmerga-Kämpfer gegen den „Islamischen Staat“ (IS) für eine Rückeroberung der Stadt Mossul trainieren, sofort aus dem Irak abzuziehen. Anlass war nach türkischen Angaben eine Truppenrotation, bei der alte durch frische Einheiten ersetzt und dabei zahlenmäßig aufgestockt werden sollten.
Die Aufstockung, zu der auch ein Panzerverband gehören sollte, begründete die türkische Seite mit einer erhöhten Gefährdung der Ausbilder, die geschützt werden müssten.
Iraks Ministerpräsident Haider al Abadi drohte daraufhin, den UN-Sicherheitsrat einzuschalten, wenn die Türkei ihre Truppen nicht bis Dienstagabend abzieht. Am Montag machte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu einen Rückzieher und sagte, man werde die zusätzlichen Truppen zunächst an der Grenze positionieren, bis der Streit mit Bagdad geklärt sei.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat die irakische Regierung und die Kurden aufgerufen, die Einheit des Landes zu wahren. Dies sei gerade mit Blick auf den gemeinsamen Kampf gegen die radikal-islamische IS-Miliz nötig, sagte er am Dienstag in Erbil.
Die Bundesregierung werde die militärische Hilfe für die kurdischen Peschmerga im Nordirak auch weiter über die Regierung in Bagdad abwickeln, sagte Steinmeier nach einem Treffen mit dem Präsidenten der Kurden im Nordirak, Massud Barsani. Das Verhältnis zwischen den Kurden und der Führung in Bagdad solle nicht unnötig verkompliziert werden.
Er setze darauf, dass die Verteilung der Öleinnahmen einvernehmlich geregelt werde, sagte Steinmeier. Dies sei der Kern des Problems. „Ansonsten bin ich kein Freund von neuen Grenzziehungen im Mittleren Osten“, fügte er mit Blick auf eine Abspaltung der Kurdengebiete hinzu. Dies würde zur Lösung nicht viel beitragen. (rtr)
Der Präsident des kurdischen Autonomiegebietes, Masud Barsani, auf dessen Territorium die türkischen Soldaten, ähnlich wie die Bundeswehr, Peschmerga-Truppen ausbilden, erklärte das Ganze zu einem Missverständnis. Barsani wird am Mittwoch in Ankara erwartet.
Gezielter russischer Druck
Tatsächlich handelt es sich bei dieser Krise wohl kaum um ein Missverständnis, sondern um gezielten Druck Russlands. Wohl auf Bitten Putins hatte Iran in Bagdad darauf gedrängt, dass die türkischen Soldaten aus dem Nordirak abgezogen werden. Die Regierung in Bagdad kooperiert eng mit dem Regime in Teheran und Iran und Russland bilden eine gemeinsame Front zur Unterstützung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Der plötzliche Ärger, den die Türkei nun im Irak hat, dürfte deshalb ein Teil der russischen „Rache“ sein.
Türkische Medien berichteten in den vergangenen Tagen mehrfach über Äußerungen russischer Parlamentarier, die davon sprechen, die Türkei durch die Unterstützung der kurdischen PKK und Armeniens weiter unter Druck zu setzen. Das könnte der Hintergrund dafür sein, dass kurdische YPG-Milizen in Syrien, die mit der PKK verbündet sind, türkischen Drohungen zum Trotz den Euphrat nach Westen hin überschritten und dort jetzt Kämpfe mit turkmenischen und islamistischen Milizen ausfechten, die wiederum von der Türkei, Saudi-Arabien und den USA unterstützt werden.
Gestern wurde außerdem bekannt, dass Russland als weitere Drohkulisse Kampfhubschrauber an die türkische Grenze in Armenien verlegen will. Außerdem werden zusätzliche russische Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer verlegt. Dabei kam es am Wochenende zu einem Eklat, weil auf dem Deck eines russischen Kriegsschiffes während der Durchfahrt durch den Bosporus Soldaten mit Flugabwehrraketen auf der Schulter platziert worden waren.
Forderung nach Bosporus-Durchfahrverbot
Seitdem werden in der Türkei Stimmen lauter, die fordern, die Meerengen des Bosporus und die Dardanellen, die russische Schiffe aus dem Schwarzen Meer auf dem Weg ins Mittelmeer passieren müssen, für russische Kriegsschiffe vorübergehend zu sperren. Die Sperrung des Bosporus allerdings wäre ein so massiver Eskalationsschritt, dass die USA wohl alles tun werden, um die türkische Regierung davon abzuhalten.
Zur Rettung einer gemeinsamen Front gegen den IS versucht US-Präsident Obama verzweifelt, Putin und Recep Tayyip Erdoğan an einen Tisch zu bringen. Ein erstes Treffen des türkischen und russischen Außenministers am Rande einer OSZE-Konferenz blieb am Wochenende ergebnislos.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund