Türken und Kurden in Nordsyrien: Erdoğans Vormarsch ist gescheitert
Syrische Kurden haben Manbidsch zu ihrem vierten autonomen Kanton erklärt. Für Ankara ist das die zweite große Niederlage im Nachbarland.
Die Nachricht ist ein schwerer Schlag für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der seit Monaten versucht, zunächst die USA, später dann auch Russland, dazu zu bringen, ihre jeweilige Unterstützung für die in der PYD organisierten syrischen Kurden einzustellen.
Die türkische Regierung sieht in der PYD und ihrem militärischen Arm, der YPG, einen direkten Ableger der türkisch-kurdischen PKK und ist deshalb zunehmend verbittert, dass sowohl die USA als auch Russland die syrischen Kurden unterstützen.
Als die türkische Armee im Sommer letzten Jahres ihre Militärintervention „Euphrat Shield“ startete, definierte Erdoğan zwei Ziele für den Einmarsch im Nachbarland. Erstens wollte er den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) von der türkischen Grenze vertreiben, zweitens die kurdische YPG-Miliz wieder aus Manbidsch auf das Gebiet östlich des Euphrats zurückdrängen.
Dadurch sollte verhindert werden, dass die Kurden ihr Gebiet östlich des Euphrats mit dem westlich gelegenen Kanton Afrin verbinden. Denn sonst hätten die Kurden ein zusammenhängendes Territorium entlang der türkischen Grenze geschaffen, dass über kurz oder lang zur weitgehend unabhängigen autonomen Region erklärt werden könnte.
Seit 2014 arbeitet jedoch die US-Armee im Kampf gegen den IS mit der YPG erfolgreich zusammen. Entsprechend weigerte sich die Obama-Administration, die PYD-YPG zur Terrororganisation zu erklären und ihre Unterstützung einzustellen, wie Erdoğan wiederholt gefordert hatte.
Trump-Regierung hat die Kurden nicht fallen gelassen
Auch die Hoffnung auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump ist für Erdoğan bislang nicht in Erfüllung gegangen. Statt die YPG fallen zu lassen und den Sturm auf die IS-Hauptstadt Rakka mit türkischen Truppen vorzubereiten, wie Erdoğan dem neuen amerikanischen Präsidenten vorgeschlagen hat, hat Trump zugelassen, dass das Pentagon seinen bisherigen Partner weiter aufrüstet und die YPG immer enger mit amerikanischen Spezialtruppen verzahnt.
Aktuell steht die YPG zusammen mit US-Soldaten sechs Meilen vor Rakka. Als Gegenleistung für die militärische Unterstützung der Kurden, duldet das US-Militär, dass die YPG die von ihr westlich des Euphrats eroberte Region Manbidsch weiter kontrollieren kann.
Erdoğan kündigte deshalb vor zehn Tagen großspurig an, die türkische Armee werde gemeinsam mit ihren syrischen Verbündeten von der FSA (Free Syrian Army) die Kurden in Manbidsch dann eben ohne amerikanische Erlaubnis angreifen, doch ausgerechnet der russische Präsident Putin machte Erdoğan einen Strich durch die Rechnung.
Wie die USA spielt auch Putin in Syrien schon länger die kurdische Karte. Das Verhältnis der Kurden zu dem von Russland unterstützten syrischen Regime ist ambivalent. Seit Ausbruch des Krieges gibt es eine stillschweigende Übereinkunft, sich gegenseitig nicht anzugreifen, auch wenn Baschar al-Assad eine kurdische Autonomiezone bislang nicht anerkennt.
Doch Putin drängt seinen Verbündeten, die kurdischen Forderungen zu akzeptieren, um wenigstens im Norden des Landes Ruhe zu haben. Mit einem auch für den unübersichtlichen Syrienkrieg bislang einmalig trickreichen Manöver hat Putin jetzt die Allianz von Assad mit den Kurden gestärkt und dabei Erdoğan ausmanövriert. Auf Drängen der Russen und in Absprache mit den USA erlaubten die Kurden den Truppen des Assad-Regimes, in sechs Dörfer in der Region Manbidsch einzumarschieren und damit einen Puffer zwischen den türkischen Truppen und der von den Kurden kontrollierten Region zu bilden.
Erst Assad, dann die Kurden
Der Vormarsch Erdoğans in Syrien ist damit vorerst gestoppt. Weder die USA noch Russland wollen der Türkei mehr Einfluss in Syrien zugestehen. Beide Großmächte akzeptieren die Forderungen der Kurden nach einer eigenen autonomen Region.
Daran änderte auch ein Besuch Erdoğans bei Putin am vergangenen Freitag nichts. Putin will zwar mit der Türkei beim Bau von Gaspipelines und Atomkraftwerken zusammenarbeiten; was Syrien angeht, machte er jedoch keinerlei Konzessionen. Statt die Kurden dort fallen zu lassen, erlaubte er, dass diese neben den bereits existierenden kurdischen Kantonen – Qamischli, Kobane und Afrin – Manbidsch zum vierten Kanton erklärten.
Erdoğan ist damit in Syrien erneut gescheitert. Nachdem er bereits akzeptieren musste, dass Assad an der Macht bleibt, muss er nun auch hinnehmen, dass die Kurden in Syrien eine autonome Region bekommen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung