Türkei geht gegen linke Partei HDP vor: „Rekrutierungsbüro für die PKK“
Vor den Wahlen möchte die türkische Regierung noch schnell die Konkurrenz ausschalten. Die erste Hürde zum Verbot der HDP hat sie genommen.
Die HDP war bei den letzten Wahlen mit rund 6 Millionen Wählern drittgrößte Partei im türkischen Parlament geworden und stellt insgesamt 56 Abgeordnete. Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Partei noch vor den spätestens im Juni dieses Jahres stattfindenden neuen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen aus dem Rennen genommen werden soll, um die Opposition zu schwächen. Nimmt die HDP dagegen an den Wahlen teil, könnte sie zum entscheidenden Faktor sowohl bei der Wahl eines neuen Präsidenten als auch für die Mehrheiten im Parlament werden.
Schon Ende letzter Woche hatte das Verfassungsgericht mit einer knappen Mehrheit von 8 zu 7 Stimmen die HDP vorläufig von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen, bis über das Verbotsverfahren entschieden ist.
Urteil soll noch vor den Wahlen kommen
Für ein Verbot muss allerdings eine Zweidrittelmehrheit der 15 Verfassungsrichter zustimmen. Rein formal bekommt die Partei nun erst einmal selbst die Gelegenheit, zu den Vorwürfen des Generalstaatsanwaltes Stellung zu nehmen. Dafür hat die Partei 30 Tage Zeit. Danach wird der zuständige Berichterstatter aus dem Richterkollegium eine Entscheidung vorbereiten. Liegt die Empfehlung vor, kann das Gericht jederzeit ein Urteil fällen.
Innerhalb der HDP rechnet man damit, dass das Urteil noch vor den Wahlen kommt. Entsprechend hat die Partei sich vorbereitet und eine Alternative aufgebaut. Die Partei Linke-Grüne, die bislang unter dem Dach der HDP existierte, soll so ausgebaut werden, dass sie notfalls statt der HDP antreten kann.
Die Opposition hat sich in einem Bündnis von sechs Parteien zusammengeschlossen und will einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schicken. Die HDP ist nicht Teil dieses Bündnisses, hat aber in einer ähnlichen Konstellation bei den Kommunalwahlen 2019 in den Städten, in denen sie selbst keine Chance hatte, den Oberbürgermeister zu stellen, zur Wahl des Oppositionskandidaten aufgerufen. Dadurch gelang es dem Bündnis von sozialdemokratischer CHP und nationalistischer İyi-Partei, die wichtigsten Großstädte wie Istanbul und Ankara zu gewinnen. Allerdings hat die HDP dem Bündnis jüngst angedroht, selbst einen Präsidentschaftskandidaten zu nominieren.
Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist angesichts der Wirtschaftskrise und der extrem hohen Inflation angeschlagen und muss um seine Wiederwahl fürchten – wie noch nie in den 20 Jahren, die er nun bereits regiert.
Mit dem möglichen Verbot der HDP versucht die Regierung nun, die Konkurrenz bereits im Vorfeld der Wahlen auszuschalten – genauso wie zuvor schon mit einem politisch motivierten Urteil gegen den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu, der als gemeinsamer Präsidentschaftskandidat der Opposition gehandelt wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz