Terroranschlag in Istanbul: Besser Kurden als Dschihadisten

Stecken wirklich kurdische Kräfte hinter dem Anschlag in Istanbul? Fest steht: Eine Eskalation käme dem türkischen Präsidenten nicht ungelegen.

Ein Meer von roten Nelken

Am Anschlagsort: Rote Nelken werden in der Istiklal-Straße abgelegt Foto: Khalil Hamra/ap

Es ist eine erstaunlich runde Sache. Da geht eine Bombe mitten in Istanbul los und tötet sechs Menschen. Wenig später wird eine Hauptverdächtige festgenommen. Sie gesteht die Tat und erklärt, sie habe Verbindungen zur YPG, also zu jener Kurdenmiliz im Nachbarland Syrien, die von Ankara mit der PKK gleichgesetzt wird.

Dass wirklich kurdische Kräfte hinter dem Anschlag stecken, ist möglich. Die PKK führt seit Jahrzehnten einen bewaffneten Aufstand gegen die Türkei, bei dem Tausende getötet wurden. Die syrischen Kurden verfolgen zwar durchaus eigene Ziele, haben aber enge Verbindungen zur PKK.

Doch einiges lässt Zweifel aufkommen an der Erzählung. Nicht nur die Informationssperre, die die türkische Rundfunkbehörde am Sonntag verhängte, macht misstrauisch. Auch Erdoğans mehrfach angekündigter Plan, erneut militärisch in Nordsyrien zu intervenieren, lässt aufhorchen. Der Präsident plant seit Monaten eine weitere grenzüberschreitende Offensive gegen kurdische Milizen in Nordsyrien, diesmal vor allem westlich des Euphrats. Weite Teile Syriens werden weiter nicht vom Assad-Regime kontrolliert, sondern teils von Kurden und teils von türkischen Hilfstruppen.

Doch für eine Syrienoffensive ist Erdoğan auf die Zustimmung vor allem der russischen Führung angewiesen, die in Syrien das Sagen hat. Erdoğans ursprünglich im Mai vorgestellter Plan hat Kritik nicht nur aus den USA, sondern auch aus Moskau hervorgerufen. Ob ein perfider Anschlag von syrisch-kurdischen Kräften daran etwas ändert?

Fest steht: Eine Eskalation des Konflikts mit den Kurden käme Erdoğan wenige Monate vor den Wahlen in der Türkei und inmitten einer schweren Wirtschaftskrise gelegener als ein Anschlag von Dschihadisten, die sich in Syrien aktuell neu aufstellen.

Innenminister Soylu hat sich den Anschlagden Anschlag bereits zunutze gemacht: Prompt wiederholte er seinen Vorwurf an die USA, Terrororganisationen zu unterstützen. Gemeint war die YPG. In einem diplomatischen Affront erklärte er, die Kondolenzwünsche des US-Botschafters nicht anzunehmen.

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ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann

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