piwik no script img

Tschechische Koalition zerbrochenSobotka kündigt seinen Rücktritt an

Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka tritt sechs Monate vor der regulären Parlamentswahl zurück. Grund ist ein Streit mit Finanzminister Babis.

Sobotka kündigte an, Staatspräsident Zeman bis Freitag das offizielle Rücktrittgesuch zu überreichen Foto: ap

Prag dpa | Die tschechische Mitte-Links-Regierung tritt zurück. Das teilte Ministerpräsident Bohuslav Sobotka der Agentur CTK zufolge am Dienstag in Prag mit. Grund seien Vorwürfe des Steuerbetrugs gegen Finanzminister Andrej Babis, den Vorsitzenden des liberal-populistischen Koalitionspartners ANO. Er wolle mit diesem Schritt einen Ausweg aus der politischen Krise ermöglichen, gab Sobotka überraschend bekannt.

Sobotka kündigte an, Staatspräsident Milos Zeman bis Freitag das offizielle Rücktrittgesuch zu überreichen. Die letzte Entscheidung liegt bei dem 72-Jährigen. Die Verfassung setzt dem Präsidenten keine Frist, innerhalb derer die Demission der Regierung angenommen werden muss. Die regulären Wahlen zum Abgeordnetenhaus, dem Unterhaus des Parlaments, sind erst für den 20. und 21. Oktober geplant.

In der Affäre um Babis geht es um steuerfreie Schuldscheine, die der Milliardär und Unternehmer Ende 2012 seinem eigenen Unternehmen, der Agrofert-Holding, abgekauft hatte. Dies geschah kurz vor einer Gesetzesänderung, die das „Steuer-Schlupfloch“ schließen sollte.

Kritiker sehen in den Schuldscheinen im Nominalwert von jeweils einer Krone, die Millionenfach ausgegeben wurden, einen Missbrauch des Systems. Babis selbst verteidigte es als legale Steueroptimierung. „Wir alle zahlen Steuern nach dem Gesetz“, sagte Babis. „Niemand zahlt mehr als nötig.“

Übergangsregierung ohne Finanzminister

In der Schuldschein-Affäre ermitteln derzeit sowohl die Finanzbehörden als auch die Polizei. Auch das Parlament hatte Babis aufgerufen, sich zu erklären. Als Unternehmer gehörte dem Milliardär Babis ein Firmenimperium, das mehr als 250 Unternehmen umfasste – darunter auch den Herausgeber der großen Zeitungen Mlada Fronta und Lidove noviny. Vor einiger Zeit gab er die Holding in einen Trust, dem seine Frau und Vertraute vorsitzen.

Sobotka schloss nicht aus, dass die bisherigen Koalitionsparteien ihre Arbeit in einer neuen Übergangsregierung fortsetzen – dann aber ohne Babis als Finanzminister. „Ich möchte mit diesem Schritt den Koalitionsparteien ermöglichen, in Verhandlungen einen Ausweg aus der Situation zu finden“, sagte der Regierungschef.

Zunächst war darüber diskutiert worden, dass Sobotka nur Babis entlassen könnte. Er habe Babis nicht zu einem Märtyrer machen wollen, erklärte Sobotka zu dieser Variante. Neben Sozialdemokraten und ANO sitzen auch die Christdemokraten (KDU-CSL) als Juniorpartner in der Regierung, die seit Januar 2014 an der Macht ist.

Eine aktuelle Umfrage sieht die ANO von Andrej Babis klar als stärkste Kraft. Laut der Agentur STEM käme die Partei auf 28,3 Prozent. Die Sozialdemokraten würden auf 16,6 Prozent abstürzen. Drittgrößte Partei wären die orthodoxen Kommunisten (KSCM) mit 12,2 Prozent.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!