Truppenchef über Abzug aus Afghanistan: „Es hat sich gelohnt“
Der Kommandeur der deutschen Truppen, Generalmajor Jörg Vollmer, über die Lage in Kundus und den Fall, in dem die Bundeswehr zurückkehren könnte.
taz: Herr Vollmer, welche Rolle spielt die Übergabe des Camps Kundus für dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan?
Jörg Vollmer: Wir haben in Kundus viele Soldaten im Einsatz gehabt, die verwundet worden sind, die traumatisiert nach Haus gekommen sind. Und wir haben unsere Gefallenen. Daher war es unser aller Ziel, Kundus ordentlich zu übergeben. Wir wollen am Ende sagen können: Was wir hier gemacht haben, haben wir gut gemacht, und das ist uns gelungen.
Als die Deutschen 2003 nach Kundus kamen, war es dort ruhiger.
Man hat von 2003 bis 2009 ein Vakuum zugelassen, das zu einer deutlichen Verschlechterung der Situation beigetragen hat. Hier gab es ja vor zehn Jahren keine funktionierende Polizei und keine Armee mehr.
Das ist jetzt anders?
, 56, Chef der deutschen Truppen in Afghanistan und Kommandeur des Isaf-Regionalkommandos Nord. Das Interview entstand im September in Masar-i-Scharif.
Wir haben aus dem Nichts heraus die Sicherheitskräfte aufgebaut. Alle Schulen mussten u. a. komplett neu aufgebaut werden: eine Infanterieschule, eine Pionierschule, eine Logistikschule, eine Einrichtung ähnlich unserer Führungsakademie. Das Gleiche gilt parallel für die Polizei.
In Gebiete, aus denen die Bundeswehr schon abgezogen ist, wurden später doch wieder deutsche Soldaten geschickt. Wird es wirklich keine Bundeswehr mehr in Kundus geben?
Es wird keine Bundeswehr mehr im Raum Kundus sein. Niemand. Wir werden ausschließlich von hier aus Masar-i-Scharif betreuen. Wir sind in der Lage, wenn unsere afghanischen Kameraden dort stark in Bedrängnis geraten und noch mal unsere Unterstützung brauchen, sie mit unserer Reserve zu unterstützen. Das passiert aber nur im absoluten Notfall.
Aber es wird in Kundus ein „Camp in Camp“ geben, das die Bundeswehr nutzen kann?
Wir werden in der Liegenschaft in Kundus, das ist mit den Afghanen vertraglich vereinbart, einen eigenen Bereich haben. Wir nennen das CISB, Contingency Interim Staging Base – also eine für Notfälle zeitlich befristete Unterkunft. Und in diesen Bereich werden wir dann unsere Reserve verlegen, wenn es notwendig ist.
Und wann wird es notwendig sein ?
Dann, wenn es einer größeren Gruppierung tatsächlich gelingt, eine ganze Ortschaft unter ihre Kontrolle zu bringen. Oder wenn sie einen Distrikt so kontrolliert, dass die Polizei nicht mehr in der Lage ist, auch nicht mit Unterstützung der afghanischen Armee, dort Sicherheit und Ordnung durchzusetzen. Das ist aber eine ganz hohe Eskalationsstufe.
Am 7. September 2013 hat die afghanische Armee um Luftnahunterstützung gebeten, als Aufständische in der Ortschaft Isa Khel nahe dem Camp Kundus einen Checkpoint angriffen. Der deutsche Kommandeur in Kundus hat die Luftschläge durch US-Kampfflugzeuge genehmigt. Könnte es in einem ähnlichen Fall nach dem Abzug der Bundeswehr noch Luftnahunterstützung geben?
Die Voraussetzung ist, dass wir ganz genau wissen, wo etwas passiert, dass wir die genauen Koordinaten haben, dass wir genau beobachten können. Das kann man auch aus der Entfernung durch Drohnen mit hochauflösenden Kameras machen. Wir müssen aber ganz genau wissen: Gibt es dort tatsächlich eine Gefechtshandlung? Stehen afghanische Kräfte im Feuerkampf und werden sie bedroht? Wir müssen ganz genau unterscheiden können zwischen den gegnerischen Kräften, die als solche eindeutig identifiziert sein müssen, und afghanischen Kräften. Es darf nirgendwo Luftnahunterstützung eingesetzt werden, wo so etwas passieren kann, was wir zivilen Begleitschaden nennen – also ein Gebäude beschädigt wird oder Zivilisten zu Schaden kommen.
Kein Kommandeur hat den Einsatz über einen solch langen Zeitraum verantwortet wie Sie. Welche Bilanz ziehen Sie?
Auch jetzt haben wir eine Vielzahl von Konflikten. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben auch weiterhin Verluste. Ich will nichts schönreden. Aber hier gibt es jetzt eine Generation, die ist aufgewachsen in relativer Sicherheit. In den letzten Ecken dieses Landes können Sie Ihr Handy herausholen und mit der Welt telefonieren. Sie haben flächendeckend Radio- und TV-Abdeckung. Das lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Wenn sich diese Generation noch drei oder vier Jahre weiterentwickeln kann, dann können wir vorsichtig optimistisch sein. Deshalb sage ich: Es hat sich gelohnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht