Trotz Eiseskälte in Syrien: Tausende kehren nach Aleppo zurück
Es ist kalt, die Häuser sind zerbombt, bieten keinen Schutz. Trotzdem gehen die ersten Flüchtlinge in die evakuierte Stadt zurück. Aus Angst vor Plünderungen.
BEIRUT rtr | Rund zwei Wochen nach der Rückeroberung Ost-Aleppos durch die syrischen Regierungstruppen kehren die ersten Flüchtlinge in die einst von Rebellen kontrollierten Stadtteile zurück. Sie trotzen der Eiseskälte, die in Nordsyrien herrscht und vor der sie in den zerbombten Gebäuden kaum Schutz finden. Allein in den vergangenen beiden Tagen seien rund 2200 Familien in den Stadtteil Hanano zurückgekehrt, berichtet Sadschad Malik vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR der Nachrichtenagentur Reuters aus Aleppo. „Die Menschen kommen nach Ost-Aleppo, um zu schauen, ob ihre Geschäfte, ihre Häuser noch stehen und ob sie nicht geplündert wurden“, sagt der Syrien-Beauftragte des UNHCR. „Sie wollen ausloten, ob sie wirklich zurückkehren sollten.“
Zehntausende waren vor den Kämpfen in den Westteil der Stadt oder andere Gebiete geflüchtet, rund 35.000 Kämpfer und Zivilisten waren Mitte Dezember von der Regierung in Konvois aus Ost-Aleppo evakuiert worden. Wer jetzt nach Ost-Aleppo zurückkommt, wird mit erbärmlichen Lebensbedingungen konfrontiert, weswegen die UN die Menschen auch nicht zur Rückkehr ermutigt.
Krankenhäuser, Schulen, Wohnhäuser und Straßen sind durch den monatelangen Bomben- und Granatenhagel ebenso zerstört wie die beiden Haupt-Wasserwerke der einstigen Wirtschaftsmetropole des Landes. Das Ausmaß der Zerstörung übertreffe alles, was er in Kriegsgebieten wie Afghanistan und Somalia gesehen habe. „Es ist schlicht unvorstellbar“, berichtet Malik.
In Aleppo sei es extrem kalt. „Die Häuser, in die die Menschen zurückkehren, haben weder Fenster noch Türen noch Kochgelegenheiten“, beschreibt Malik die Zustände. Der Wiederaufbau werde lange dauern. Hilfe sei dringend nötig, damit nicht noch mehr Menschen stürben.
Kinder wieder in die Schule
Vordringlichste Aufgabe sei es, die Menschen vor der Kälte zu schützen und mit Nahrung zu versorgen, sagt Malik. Die UN verteilten Plastikplanen, mit denen die Rückkehrer Fensterhöhlen abdichten könnten, sowie mit Matten und Schlafsäcken. So könnten sie erst einmal ein Zimmer ihrer alten Wohnung wieder nutzen. Partnerorganisationen versorgten 21.000 Menschen zweimal pro Tag mit warmem Essen, 40.000 erhielten jeden Tag einen Laib Brot.
Über 1,1 Millionen Menschen hätten wieder Zugang zu sauberem Trinkwasser. Mobile Krankenstationen seien eingerichtet und funktionierten, über 10.000 Kinder seien gegen Polio geimpft worden. Eine besondere Aufgabe bestehe darin, Tausende Kinder, die wegen des Krieges nicht zur Schule gehen konnten, wieder in das Schulsystem zu integrieren. Dafür müsse aber in besonderen Förderkursen erst einmal ihr Vertrauen wiederhergestellt werden, sagt Malik.
Leser*innenkommentare
markstein
"Zehntausende waren vor den Kämpfen in den Westteil der Stadt oder andere Gebiete geflüchtet, rund 35.000 Kämpfer und Zivilisten waren... evakuiert worden."
War da vorher nicht von 250.000 bis 300.000 Einwohnern die Rede?
Scheinbar gibt es etwas außerhalb auch weniger zerstörte Stadtteile. Ich hoffe, das trifft auch so zu. Die Rückkehrer scheinen auch keine Angst vor den "Schergen Assads" zu haben wie noch vor wenigen Wochen suggeriert wurde.
Leider haben die "Rebellen" den Einwohnern noch massenhaft Minen und Sprengfallen zurückgelassen, die erst noch entschärft werden müssen.
Aufräumarbeiten in diesem zentral gelegenen Stadtteil haben schon begonnen: http://syria.liveuamap.com/en/2017/3-january-aleppo-repairment-at-the-neighborhoods-of-alansari
Dorian Müller
@markstein Sie lassen außer acht, dass schon seit drei Jahren Menschen aus Aleppo fliehen, und nicht nur Assad-Gegner. Russische und syrische Bomben haben flächendeckend alles getötet, islamistische Krieger, Frauen, Kinder, Babies. Auch Assad-Freunde und Neutrale in dem Gebiet sind geflohen, die können nun wieder zurück in die Ruinen.