Tropenkrankheiten wandern nach Europa: „Dengue-Fieber steht vor der Tür“
Tropenkrankheiten sind längst bei uns, weiß Jürgen May vom Bernhard-Nocht-Institut. Die Pharmaindustrie reagiert meist erst, wenn es weiße Tote gibt.
In Deutschland ist das Hamburger Bernhard-Nocht-Institut darauf spezialisiert, eine weitere Ausbreitung tropischer Krankheiten zu verhindern. Es wurde 1900 gegründet und beschäftigt heute etwa 380 Mitarbeiter*innen. Jürgen May leitet dort die Abteilung für Infektionsepidemiologie, beschäftigt sich also damit, wie sich Erreger wie Bakterien, Viren und Parasiten ausbreiten und welche Krankheiten sie auslösen.
Das Feld der Tropenkrankheiten ist riesig, etwa 1,5 Milliarden Menschen sind betroffen. Am häufigsten sind Darmparasiten, die über Essen übertragen werden. Auch das Dengue-Fieber kommt häufig vor.
Im Bernhard-Nocht-Institut behandeln die Ärzt*innen Patient*innen, die Krankheiten auf Reisen oder auch in Deutschland bekommen haben. Unspezifische Fiebererkrankungen seien häufig, sagt Jürgen May. Insgesamt sei die Arbeit vielfältig und deshalb spannend. Er sei immer wieder überrascht, welche Krankheiten es gebe – und fasziniert von ihren Verbreitungswegen.
Problematischer Begriff
Zum Beispiel von einem Parasiten mit dem Namen „Dicrocoelium dendriticum“. Das ist ein kleiner Darmegel, der sich in Schafen weiterentwickelt. Wenn die Schafe ihn ausscheiden, wird er von Ameisen gefressen. In den Ameisen wird der Parasit zum Puppenspieler, befällt die Kopfkapsel der Insekten und zwingt sie, sich am oberen Teil von Grashalmen festzubeißen, wo sie dann wieder von Schafen gefressen werden können.
„Tropenkrankheit“, sagt Jürgen May, sei ein veralteter, mitunter problematischer Begriff. Gemeint seien Krankheiten, die vor allem in tropischen und subtropischen Regionen vorkämen. Er spricht von Neglected Tropical Diseases (NTDs), also vernachlässigten tropischen Krankheiten. Denn der Begriff „Tropenkrankheit“ suggeriere, dass sie nur in bestimmten Regionen aufträten, was aber nicht stimme.
Mit dem Begriff „One Health“ aus der Entwicklungszusammenarbeit drücken Forscher*innen außerdem aus, wie sich Krankheiten in einer globalisierten Welt verbreiten, wie zum Beispiel importierte Mücken dafür gesorgt haben, dass im Jahr 2000 im New Yorker Central Park massenweise tote Vögel aus den Bäumen fielen.
In Europa, warnt May, könnten sowohl das Dengue- als auch das West-Nil-Fieber in den kommenden Jahren zu Problemen führen. „Dengue steht bei uns praktisch vor der Tür“, sagt May. Es wird durch Mücken übertragen, die bei wärmerem Wetter hier heimisch werden könnten, Klimakrise sei Dank. Vereinzelt gibt es auch schon Dengue-Mücken in Deutschland.
Weder Impfung noch Medikamente
Neben Fieber verursacht Dengue eine spezifische Hautrötung, an der die Krankheit zu erkennen ist. Besonders gefährlich wird es, wenn eine Person mit mehreren Typen des Fiebers infiziert ist, dann drohen starke innere Blutungen. Die muss die betroffene Person dann irgendwie überstehen, ohne Medikamente. Die gibt es ebenso wenig wie eine Impfung.
West-Nil-Fieber ist in den USA bereits verbreitet. 2021 infizierten sich 2.695 Personen damit, 191 starben daran. Auch in Ostdeutschland gab es 2021 ebenfalls vereinzelte Fälle. West-Nil-Fieber kann zu Lähmungen führen, die in seltenen Fällen tödlich für die Betroffenen sind. Auch gegen das West-Nil-Fieber gibt es weder eine Impfung noch Medikamente.
Woran liegt das? Zum einen an den Krankheiten selbst. Dengue- und West-Nil-Fieber werden durch Viren ausgelöst. Viren machen den Körper krank, indem sie in die Zellen eindringen und dort das Genom verändern. Medikamente dürfen nicht die körpereigenen Zellen angreifen, um das Virus zu töten.
Impfungen scheiterten oft daran, dass es weder genug Mittel noch Interesse gebe, sagt May. Meist beginne die Pharmaindustrie erst mit der Arbeit, wenn Reisende aus dem globalen Norden betroffen seien. Denn dann gebe es einen Markt. „Bei den Erkrankungen, die nur in den Tropen zu Hause sind, kümmert sich keiner drum“, sagt May.
Medizin für den Norden
Philipp Osten ist Medizinhistoriker am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg. Er sagt, diese Vernachlässigung sei auch Teil der Geschichte der Tropenmedizin-Forschung: „Bei Ebola hatten wir eine wirklich sehr bedrohliche Situation. Es hat die internationale Gemeinschaft erst interessiert, als es Tote in Europa gab.“ Also: weiße Tote.
Historisch hänge die Erforschung von Tropenkrankheiten auch mit dem Kolonialismus zusammen. Das begann mit Schiffsärzt*innen der East India Company, die verhindern sollten, dass teilweise ein Viertel der Besatzung starb. Später nutzten die Nationalsozialist*innen Forschung zu Tropenkrankheiten als Propagandamittel.
Das Medikament Germanin half gegen die Schlafkrankheiten und wurde im gleichnamigen Film von 1943 als „koloniale Tat“ gefeiert. Forschung zu Bakterien, die Erfindung von Penicillin – das sei das erste Forschungsgebiet gewesen, durch das sich Deutschland wissenschaftlich profilieren konnte.
Heute gebe es andere Auffassungen, sagt Osten, und erwähnt das Konzept „One Health“. Tropenkrankheiten sind kein Problem der anderen. Die Folgen der Klimakrise, Armut, schlechte Gesundheitsversorgung – all das sind globale Probleme. Die Tropenmediziner*innen veränderten ihre Disziplin zum Positiven, insgesamt seien die Beteiligten sehr divers. Zusammenarbeit mit betroffenen Ländern finde heute auf Augenhöhe statt.
Kooperation beginnt
Das berichtet auch Jürgen May: „Wir bauen Kapazitäten auf, bilden Kolleginnen und Kollegen vor Ort aus und helfen bei der Ausbildung der Studierenden.“ Dazu gehören unter anderem Trainingsmodule, die Ausbildung von Doktorand*innen und mobile Labore in sechs ostafrikanischen Ländern. Dort, wo das Gesundheitssystem eigentlich überhaupt nicht hinkommt.
In Deutschland, sagt May, laufe die Krankheitsüberwachung überwiegend gut. So würden Stechmücken kontrolliert und Daten zusammen getragen. Probleme gebe es aber bei der Kommunikation. Weil die Bundesländer einzeln ihre Daten an das Robert-Koch-Institut schickten und das manchmal zeitverzögert passiere, sei es teils schwierig, Ausbrüche über Bundesländergrenzen hinweg zu erkennen.
„Wir haben zum Glück ein sehr strenges Datenschutzgesetz, aber das führt dazu, dass man bei epidemischen Situationen vieles nicht weiß. Wir brauchen hier bei aller Vertraulichkeit einen besseren Überblick“, sagt May.
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