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Tropenkrankheiten wandern nach Europa„Dengue-Fieber steht vor der Tür“

Tropenkrankheiten sind längst bei uns, weiß Jürgen May vom Bernhard-Nocht-Institut. Die Pharmaindustrie reagiert meist erst, wenn es weiße Tote gibt.

Kann zur Überträgerin gefährlicher „tropischer“ Viren werden: die Mücke Foto: Stefan Sauer / dpa

Hamburg taz | Noch vor 100 Jahren war Malaria in Norddeutschland weit verbreitet, sehr weit: In Ostfriesland war im Jahr 1826 jedes zweite Kind mit der Krankheit infiziert. Dass schließlich Moore trockengelegt und Kanalisationen gebaut wurden, sorgte dafür, dass wir Malaria heute als Tropenkrankheit kennen, als eine abstrakte Bedrohung. Dabei können solche Krankheiten auch heute noch zur Gefahr werden, nicht nur beim Besuch in einem fernen Land. Viele Erreger sind bei uns verbreitet, sogar heimisch – wie etwa der Fuchsbandwurm.

In Deutschland ist das Hamburger Bernhard-Nocht-Institut darauf spezialisiert, eine weitere Ausbreitung tropischer Krankheiten zu verhindern. Es wurde 1900 gegründet und beschäftigt heute etwa 380 Mitarbeiter*innen. Jürgen May leitet dort die Abteilung für Infektionsepidemiologie, beschäftigt sich also damit, wie sich Erreger wie Bakterien, Viren und Parasiten ausbreiten und welche Krankheiten sie auslösen.

Das Feld der Tropenkrankheiten ist riesig, etwa 1,5 Milliarden Menschen sind betroffen. Am häufigsten sind Darmparasiten, die über Essen übertragen werden. Auch das Dengue-Fieber kommt häufig vor.

Im Bernhard-Nocht-Institut behandeln die Ärzt*in­nen Patient*innen, die Krankheiten auf Reisen oder auch in Deutschland bekommen haben. Unspezifische Fiebererkrankungen seien häufig, sagt Jürgen May. Insgesamt sei die Arbeit vielfältig und deshalb spannend. Er sei immer wieder überrascht, welche Krankheiten es gebe – und fasziniert von ihren Verbreitungswegen.

Problematischer Begriff

Zum Beispiel von einem Parasiten mit dem Namen „Dicrocoelium dendriticum“. Das ist ein kleiner Darmegel, der sich in Schafen weiterentwickelt. Wenn die Schafe ihn ausscheiden, wird er von Ameisen gefressen. In den Ameisen wird der Parasit zum Puppenspieler, befällt die Kopfkapsel der Insekten und zwingt sie, sich am oberen Teil von Grashalmen festzubeißen, wo sie dann wieder von Schafen gefressen werden können.

„Tropenkrankheit“, sagt Jürgen May, sei ein veralteter, mitunter problematischer Begriff. Gemeint seien Krankheiten, die vor allem in tropischen und subtropischen Regionen vorkämen. Er spricht von Neglected Tropical Diseases (NTDs), also vernachlässigten tropischen Krankheiten. Denn der Begriff „Tropenkrankheit“ suggeriere, dass sie nur in bestimmten Regionen aufträten, was aber nicht stimme.

Mit dem Begriff „One Health“ aus der Entwicklungszusammenarbeit drücken For­sche­r*in­nen außerdem aus, wie sich Krankheiten in einer globalisierten Welt verbreiten, wie zum Beispiel importierte Mücken dafür gesorgt haben, dass im Jahr 2000 im New Yorker Central Park massenweise tote Vögel aus den Bäumen fielen.

In Europa, warnt May, könnten sowohl das Dengue- als auch das West-Nil-Fieber in den kommenden Jahren zu Problemen führen. „Dengue steht bei uns praktisch vor der Tür“, sagt May. Es wird durch Mücken übertragen, die bei wärmerem Wetter hier heimisch werden könnten, Klimakrise sei Dank. Vereinzelt gibt es auch schon Dengue-Mücken in Deutschland.

Weder Impfung noch Medikamente

Neben Fieber verursacht Dengue eine spezifische Hautrötung, an der die Krankheit zu erkennen ist. Besonders gefährlich wird es, wenn eine Person mit mehreren Typen des Fiebers infiziert ist, dann drohen starke innere Blutungen. Die muss die betroffene Person dann irgendwie überstehen, ohne Medikamente. Die gibt es ebenso wenig wie eine Impfung.

West-Nil-Fieber ist in den USA bereits verbreitet. 2021 infizierten sich 2.695 Personen damit, 191 starben daran. Auch in Ostdeutschland gab es 2021 ebenfalls vereinzelte Fälle. West-Nil-Fieber kann zu Lähmungen führen, die in seltenen Fällen tödlich für die Betroffenen sind. Auch gegen das West-Nil-Fieber gibt es weder eine Impfung noch Medikamente.

Woran liegt das? Zum einen an den Krankheiten selbst. Dengue- und West-Nil-Fieber werden durch Viren ausgelöst. Viren machen den Körper krank, indem sie in die Zellen eindringen und dort das Genom verändern. Medikamente dürfen nicht die körpereigenen Zellen angreifen, um das Virus zu töten.

Impfungen scheiterten oft daran, dass es weder genug Mittel noch Interesse gebe, sagt May. Meist beginne die Pharmaindustrie erst mit der Arbeit, wenn Reisende aus dem globalen Norden betroffen seien. Denn dann gebe es einen Markt. „Bei den Erkrankungen, die nur in den Tropen zu Hause sind, kümmert sich keiner drum“, sagt May.

Medizin für den Norden

Philipp Osten ist Medizinhistoriker am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg. Er sagt, diese Vernachlässigung sei auch Teil der Geschichte der Tropenmedizin-Forschung: „Bei Ebola hatten wir eine wirklich sehr bedrohliche Situation. Es hat die internationale Gemeinschaft erst interessiert, als es Tote in Europa gab.“ Also: weiße Tote.

Historisch hänge die Erforschung von Tropenkrankheiten auch mit dem Kolonialismus zusammen. Das begann mit Schiffs­ärz­t*in­nen der East India Company, die verhindern sollten, dass teilweise ein Viertel der Besatzung starb. Später nutzten die Na­tio­nal­so­zia­lis­t*in­nen Forschung zu Tropenkrankheiten als Propagandamittel.

Das Medikament Germanin half gegen die Schlafkrankheiten und wurde im gleichnamigen Film von 1943 als „koloniale Tat“ gefeiert. Forschung zu Bakterien, die Erfindung von Penicillin – das sei das erste Forschungsgebiet gewesen, durch das sich Deutschland wissenschaftlich profilieren konnte.

Heute gebe es andere Auffassungen, sagt Osten, und erwähnt das Konzept „One Health“. Tropenkrankheiten sind kein Problem der anderen. Die Folgen der Klimakrise, Armut, schlechte Gesundheitsversorgung – all das sind globale Probleme. Die Tro­pen­me­di­zi­ne­r*in­nen veränderten ihre Disziplin zum Positiven, insgesamt seien die Beteiligten sehr divers. Zusammenarbeit mit betroffenen Ländern finde heute auf Augenhöhe statt.

Kooperation beginnt

Das berichtet auch Jürgen May: „Wir bauen Kapazitäten auf, bilden Kolleginnen und Kollegen vor Ort aus und helfen bei der Ausbildung der Studierenden.“ Dazu gehören unter anderem Trainingsmodule, die Ausbildung von Dok­to­ran­d*in­nen und mobile Labore in sechs ostafrikanischen Ländern. Dort, wo das Gesundheitssystem eigentlich überhaupt nicht hinkommt.

In Deutschland, sagt May, laufe die Krankheitsüberwachung überwiegend gut. So würden Stechmücken kontrolliert und Daten zusammen getragen. Probleme gebe es aber bei der Kommunikation. Weil die Bundesländer einzeln ihre Daten an das Robert-Koch-Institut schickten und das manchmal zeitverzögert passiere, sei es teils schwierig, Ausbrüche über Bundesländergrenzen hinweg zu erkennen.

„Wir haben zum Glück ein sehr strenges Datenschutzgesetz, aber das führt dazu, dass man bei epidemischen Situationen vieles nicht weiß. Wir brauchen hier bei aller Vertraulichkeit einen besseren Überblick“, sagt May.

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7 Kommentare

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  • Das ist meines Wissens nach falsch:



    "Besonders problematisch ist es, wenn eine Person mit mehreren ... infiziert ist ..."

    Es gibt vier Hauptstämme.



    Die lebenslange Immunität für den einen, bedeutet keine Immunität für den anderen.



    Richtig ist, dass sich das Risiko schwerer Komplikationen (wie die genannten Blutungen) bei einer zweiten Infektion erhöht. Eine Immunität gegen alle vier gibt es wahrscheinlich nicht, weil man spätestens bei der vierten verstirbt.



    Dass man gleichzeitig mit zwei Stämmen infiziert sein könnte, wird nicht beschrieben und ist faktisch so gut wie ausgeschlossen:



    In einem Infektionsgebiet werden (wie bei der Grippewelle) quasi alle von infizirten Mücken gestochen, die Morbiditätsrate liegt bei unter einem Prozent.

    Ich weiß in etwa, wovon ich spreche:



    ich habe Dengue in Thailand 2x gehabt.



    Einmal mit knapp Zwanzig, das war übel, aber nach vier Wochen war ich wieder auf dem Damm.



    Das zweite Mal mit Fünfundvierzig war erheblich stärker. Ich hätte es tatsächlich fast nicht überlebt, allerdings nicht wegen unmittelbarer Komplikationen sondern wegen der schlagartigen Exsikkose.

    Von charakteristischen Hautötungen weiß ich übrigens nichts zu berichten.

  • "„Bei Ebola hatten wir eine wirklich sehr bedrohliche Situation. Es hat die internationale Gemeinschaft erst interessiert, als es Tote in Europa gab.“ Also: weiße Tote."

    Critical Whiteness in allen Ehren, aber bei Unter-5-Jährigen haben 40% einen Migrationshintergrund und ein nicht unerheblicher Anteil sind PoC. Zu behaupten, es gäbe also nur "weiße Tote" ist antifaktisches White-washing. Im Gegenteil: mit Blick auf Intersektionalität und Benachteiligungen im Gesundheitswesen dürften Menschen mit Migrationshintergrund sogar mit größerer Wahrscheinlichkeit an so einem Virus in Europa sterben als ohne.

  • "Neben Fieber verursacht Dengue eine spezifische Hautrötung, an der die Krankheit zu erkennen ist. Besonders gefährlich wird es, wenn eine Person mit mehreren Typen des Fiebers infiziert ist, dann drohen starke innere Blutungen. Die muss die betroffene Person dann irgendwie überstehen, ohne Medikamente. Die gibt es ebenso wenig wie eine Impfung."

    Tatsächlich gibt es eine Impfung die im Februar auch in Deutschland zugelassen wurde. Weiß jedoch nicht, ob die gegen alle 4 Serotypen wirkt.



    Grüße

    • @Frederic8:

      Es gibt sogar zwei Impfungen, Dengvaxia und Qdenga. Ersterer löste vor einigen Jahren auf den Philippinen einen größeren Skandal aus, weil er im Rahmen einer vorschnellen Impfkampagne auch jungen Kindern verabreicht wurde. Es stellte sich jedoch heraus, dass Dengvaxia für Menschen, die noch keine Dengue-Infektion durchgemacht haben, auch potenziell gefährlich sein kann, so dass die Impfung in Zusammenhang mit einigen Todesfällen junger Kinder gebracht wurde. Die Zulassung dort wurde entsprechend angepasst. Qdenga soll diese Probleme nicht mehr haben. In Deutschland zugelassen sind meines Wissens nach beide Impfstoffe, sie werden aber nicht verabreicht, da sie nur für Menschen empfehlenswert sind, die in Endemiegebieten leben, was Deutschland nicht ist.

      Den Appell von Herrn May, so lobenswert er an sich ist, am Beispiel Dengue festzumachen, ist also falsch.

      • @Agarack:

        Qdenga wird sehr wohl angewendet und ist im Gegensatz zu Dengvaxia auch verfügbar. Es gibt bisher aber keine STIKO-Empfehlung und nur eine vorläufige Empfehlung des Ständigen Ausschusses Reisemedizin der DTG (Deutsche Tropenmedizinische Gesellschaft). Die Stiko-Empfehlung soll im Oktober folgen.



        Nützlich sollte der Impfstoff vor allem für Kleinkinder in Endemiegebieten sein. Dort wurden auch die Zulassungsstudie v.a. mit Kindern und Jugendlichen gemacht. Wir werden sehen, in wie weit er dort verfügbar gemacht wird und zu welchem Preis.

        Unterm Strich muss man leider bemerken, dass der Artikel nicht gut recherchiert ist. Allein durch einen kurzen Check bei Wikipedia hätte dies auffallen müssen. Mein Beitrag diesbezüglich von gestern wurde leider nicht veröffentlicht. Schade, denn ich finde es bedauerlich, wenn ein Medium, das sich durchaus durch Qualität auszeichnet, solche Artikel offenbar ungeprüft veröffentlicht.

        Es befinden sich noch weitere Fehler im Artikel, die ich hier noch erwähnen möchte, da sie nicht von anderen Kommentatoren genannt wurden.



        Der Grund, warum es keine Therapie gegen Dengue gibt, liegt nicht daran, dass man gegen Viren nicht behandeln könnte.



        Die Aussage, Viren würden das Genom verändern ist pauschal falsch. Es gibt Viren, die ihr Erbgut in das Genom der infizierten Zellen einbauen, aber nicht alle (zum Glück..) Das Immunsystem zerstört übrigens infizierte Zellen, das tun Virostatika (so heißen die Medikamente gegen Viren) nicht, sondern sie blockieren bestimmte Schritte, die für die Virusvermehrung erforderlich sind.

  • "Viren machen den Körper krank, indem sie in die Zellen eindringen und dort das Genom verändern. Medikamente dürfen nicht die körpereigenen Zellen angreifen, um das Virus zu töten."

    auch das stimmt nicht so ganz - nicht jedes Virus wird in das Wirtsgenom eingebaut. Es gibt aber sehr wohl Virostatika, die spezifisch in bestimmte Prozesse der Virusvermehrung eingreifen und sie damit zumindest bremsen.

    do your research better next time...

  • Es gibt tatsächlich einen Impfstoff gegen Dengue Fieber - in Deutschland seit März zugelassen - QDenga.

    Das wundert mich sehr, dass das bei der Recherche nicht aufgefallen ist.