Trolle auf Facebook: Labor digitaler Demagogen
Afrika biete ideale Bedingungen, um günstig die Effektivität von Kampagnen zu prüfen. Das Thema Datenschutz kommt zu kurz.
K napp 350.000 sudanesische Facebook-Nutzer werden sich am 1. November gewundert haben: Die Nachrichtenseite Radio Africa war über Nacht gesperrt worden. Dahinter steckte nicht die eigene Regierung, sondern Facebook. Ein am Vortag erschienener Bericht der Universität Stanford hatte die Seite bis nach Moskau zu dem Oligarchen und Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin zurückverfolgt, dem die USA Desinformationskampagnen und das Betreiben von Troll-Farmen während der Trump-Wahl anlasten.
Über Radio Africa hatte er prorussische Inhalte ausspielen lassen und Werbung für den russlandfreundlichen Diktator Omar al-Bashir gemacht. Laut der Stanford-Studie hatte die Söldnertruppe „Wagner“ die Seiten erstellt und in Prigoschins Auftrag überwacht. Die Gruppe „Wagner“ ist nicht nur für Informationskampagnen berüchtigt.
Im Syrien-Krieg kämpfte sie auf der Seite Baschar al-Assads, Medien warfen ihr Anfang des Jahres die Ermordung von drei Investigativjournalisten und vergangene Woche einen Lynchmord vor. Neben Radio Africa hatten die Söldner Seiten in Mosambik, Kamerun, im Sudan, in Libyen, dem Kongo und der Elfenbeinküste betrieben, die ins Visier der Wissenschaftler gerieten. Alle hatten, als Nachrichtenseiten getarnt, politisch Stimmung gemacht.
Aus acht afrikanischen Ländern führt die Spur von der Gruppe „Wagner“ zu Prigoschin und seiner Propagandamaschinerie in Moskau. Typisch Russland, meinen die einen. Doch es gibt eine Vorgeschichte. Schon 2013 probte das britische Unternehmen Cambridge Analytica in Kenia seine Psychogramm-Strategie und verbreitete gewaltverherrlichende Videos, um ihren Einfluss auf das Wahlverhalten zu messen.
Afrika ist Spielplatz von Informationskriegen
„Kenia war die Generalprobe für viele der Strategien, die Cambridge Analytica während der Brexit- und Trump-Kampagnen einsetzte“, resümiert die in Harvard ausgebildete Juristin Nanjala Nyabola in ihrem Buch „Digital Democracy, Analogue Politics“. Es scheint, als hätte Stanford diesmal unverhofft ein Scheinwerferlicht auf die Generalprobe für die US-Wahl 2020 geworfen – und diesmal steht Russland im Lichtkegel.
Diese Ausschnitte zeigen: Afrika ist inzwischen zum Spielplatz von Trollen und selbsternannten Informationskriegern geworden. Das liegt vor allem an den idealen Bedingungen, eine Kampagne kostengünstig durchzuführen und ihre Effektivität zu messen. Während in Europa die Datenschutzbestimmungen immer weiter steigen, haben viele afrikanische Länder ihre seit Jahren nicht mehr erneuert. Viele Nutzer, so Nyabola, sind für das Thema nicht sensibilisiert, weil es kaum eine öffentliche Debatte darüber gibt.
Auch die Tech-Unternehmen schenken dem Kontinent und seinen 1,2 Milliarden Einwohnern gewöhnlich eher wenig Aufmerksamkeit. Twitter hat in Afrika nicht einmal ein Büro, die Geschäftsstelle London sei für den Kontinent zuständig. Und, das ist auch nach Veröffentlichung der Stanford-Studie traurige Wahrheit, bleibt der weltweite Aufschrei bei Einmischungen in die afrikanische Politik gewöhnlich aus.
In Afrikas digitalem Raum haben sich so in den vergangenen Jahren ausbeuterische Strukturen entwickelt. Es geht nicht um Rohstoffe, sondern um Nutzerdaten. Nathaniel Gleicher, Leiter der Cybersicherheitspolitik bei Facebook, berichtete sogar von Gesprächen russischer Unternehmen mit Bürgern, um mehr über das Nutzerverhalten der Menschen zu lernen. Afrikanische Nutzer sind dabei nur Mittel zum Zweck.
Regierungen sollten mehr für Datenschutz tun
Einher geht damit eine Manipulation von Informationen und letztlich demokratischen Prozessen in besonders empfindlichen politischen Systemen. Der Sudan, Libyen wie auch der Kongo halten den Frieden – falls überhaupt – nur mit Mühe. Drei Dinge lassen sich daraus schließen. Zuerst einmal bleibt die Vermutung, dass die Stanford-Studie nur einen Bruchteil dessen aufgedeckt hat, was tatsächlich zum Alltag afrikanischer Nutzer gehört.
Wissenschaftler, Großkonzerne und unabhängige Forschungsinstitute arbeiten mal mehr, mal weniger vereint daran, diese Aktivitäten zu enthüllen und wenn möglich zu unterbinden. Diese Bemühungen müssen verstärkt werden, besonders in Regionen, die nicht die höchsten Werbeeinnahmen einspielen.Wichtiger aber ist, dass afrikanische Regierungen ihre Bemühungen um besseren Datenschutz für ihre Bürger vorantreiben.
Kenia ist Vorbild: Eine Woche nach den Enthüllungen unterzeichnete Präsident Uhuru Kenyatta ein Datenschutzgesetz, das mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung vergleichbar ist. Das sollte aber nicht über ein Kernproblem hinwegtäuschen: In der Vergangenheit profitierte die Regierung vom geringen Datenschutz. Bei der Wahl 2013 heuerte Kenyattas eigene Partei Cambridge Analytica an. Zuletzt müssen auch die Tech-Konzerne aktiv werden.
Es wäre ein erstes Signal, wenn Twitter auf dem Kontinent ein Büro eröffnen würde. Facebook hat das Potenzial bereits erkannt und veranstaltet Konferenzen in afrikanischen Hauptstädten. Was Wahlwerbung und politische Beeinflussung angeht, hat Facebook bisher noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden. Mark Zuckerberg stellte noch im Oktober vor dem US-Kongress klar, dass sein Unternehmen keine fehlleitenden Beiträge während der kommenden US-Wahl entfernen werde.
Damit leistet er jenen Vorschub, deren Strategie Desinformation lautet. Twitter-Chef Jack Dorsey steuert in die entgegengesetzte Richtung: Er will bezahlte politische Werbung ganz von der Plattform verbannen. Aber auch das wird wohl dazu führen, dass nur noch die lautesten, provokativsten Beiträge sich weit verbreiten. Seiten wie Radio Africa zu sperren, ist zwar nötig, trägt aber nichts zur Lösung des Problems bei.
Solange weder internationale Konzerne noch die Regierungen Afrikas Nutzer ernst nehmen, wird der Kontinent ein Labor für digitale Demagogen bleiben.
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